Afrika mitten in Bern

Auch auf die Gefahr hin, wegen zu grossen Zulaufs nächstes Mal keinen Platz mehr zu finden: Wer pikant gewürztes Fleisch, exotisch zubereitetes Gemüse, sämige Suppen und ein unkompliziert-herzliches Ambiente schätzt, ist bei Big Mama im Muritreff an der Muristrasse 75a im Berner Ostring bestens aufgehoben. Jeden zweiten Samstag im Monat kreieren dort eine Mutter und ihre beiden Töchter ein original afrikanisches Nachtessen, das weder in kulinarischer noch in servicetechnischer Hinsicht irgendwelche Wünsche offenlässt (und wenn, höchstens den, dass der Magen endlos aufnehmen möge, was die Augen am Buffet sehen).  

Mein Schatz und ich liessen uns bei Big Mama gestern zum zweiten Mal rundumverwöhnen. Wir würden das gerne auch weiterhin tun. Wenn ich den Geheimtipp jetzt trotzdem verraten habe, dann nur, weil auch beim Essen gilt: geteilte Freude ist doppelte Freude. 

Trauer, marsch!

Gut. Also. Trauern wir.
Heute um: Steve Lee, Sänger der Schweizer Rockband Gotthard, gestorben bei einem Töffunfall in den Vereinigten Staaten.

Dass die meisten von uns den Verblichenen höchstens vom Hörenlesen her kannten, soll uns nicht daran hindern, kollektiv in tiefe Betroffenheit zu versinken. Wie das geht, wissen wir spätestens seit jenem 11. September, an dem Terroristen Flugzeuge in Bomben verwandelten und damit 3000 Leute ermordeten. Kaum hatten sich die dicksten Rauchschwaden verzogen, titelten die Zeitungen: „Die Welt in Trauer“, „Die Schweiz in Trauer“ oder, falls sich mit Mühe und Not ein lokaler Bezug konstruieren liess: „Konolfingen trauert“.

An Gelegenheiten, das nationale und internationale Trauern um völlig unbekannte Menschen weiter zu üben, fehlte es in den folgenden Jahren nicht. Es gab einen Tsunami, es gab Erdbeben, es gab Kriege und es gab Michael Jackson.

Was mich dabei immer ein wenig irritierte, war: Von alleine stellten sich bei mir in all diesen Fällen nie Trauergefühle ein. Staunen? Oft. Wut? Teilweise. Fassungslosigkeit: Manchmal. Aber dass ich traurig bin: Das mussten mir jedesmal erst die Medien einhämmern. 

Wie, eben: jetzt wieder im Fall von Steve Lee. Die Nachricht von seinem Tod war noch keine halbe Stunde lang durchs Internet gejagt worden, als ich mit mir eine Wette abschloss, dass es keine weitere halbe Stunde dauern würde, bis mir jemand mitteilt, dass „die Schweiz trauert“. Und siehe da: 20 Minuten später ereilte mich via Facebook die Nachricht: „Die Schweiz trauert.“

In dem Moment, in dem ich das schreibe, spielen die Radiostationen landauf und -ab Gotthard-Songs nonstopp. Auch das restliche Trauerbewältigungsprogramm wird in den bewährten Bahnen verlaufen: Am Abend würdigt jeder Sender zwischen Basel und Lugano das Schaffen des Musikers. In Internetforen überbieten die Verschwörungstheoretiker mit Berichten von Augenzeugen, die ganz in der Nähe der Unfallstelle Männer mit kleinen Knöpfen im Ohr, Sonnenbrillen vor den Augen und T-Shirts mit der Aufschrift „CIA“ gesehen haben wollen.

Morgen haben die Psychologen das Wort, um das Geschehen für die verheulten Massen „einzuordnen“ und einigermassen fassbar zu machen. Voraussichtlich am Samstag wird sich ein Verkehrsexperte mit dem Satz zitieren lassen, dass „immer ein Restrisiko“ bleibe, wenn ein Mensch von einer Harley Davidson getroffen wird. In den Sonntagszeitungen wirft womöglich ein Onkel des Sängers die Frage auf, wieso der Leichnam seines Neffen nicht längst in die Schweiz überführt worden sei, worauf ein Rega-Sprecher sagen wird, dazu dürfe er nichts sagen. Das wiederum veranlasst die eigentlich längst ermatteten Verschwörungstheoriker dazu, ihre Computer erneut hochzufahren. 

Vielleicht erinnern sich nächste Woche in diesem und jenem Heftli ein paar Prominente an „meine schönsten Stunden mit Steve“; mit besonderer Spannung werden die Einlassungen von Nella Martinetti erwartet.

Dann – sagen wir: um nächsten Mittwoch herum – hat die Trauergemeinde das Gröbste überstanden.

Und wenn in einem Jahr ein Gotthard-Song am Radio läuft, diskutieren nur noch Vereinzelte darüber, ob der glatzköpfige Gitarrist dieser Band damals eigentlich an einer Überdosis gestorben sei oder nicht doch beim Schwimmen im Meer.

Und los gehts!

Heute lege ich im „Forum“ bei der Berner Zeitung in Bern los.
Ich freue mich wie gstört darauf.

Nachtrag: Das war vielleicht eine Überraschung. Am Nachmittag schickte mir mein Schatz einen wunderschönen Strauss Rosen ins neue Büro:

Auch, aber nicht nur deshalb gefällt es mir an meinem neuen Arbeitsplatz so gut, dass ich heute gleich nochmal hinfahre und -gehe.

Eine märchenhafte Zugfahrt

Der Bub hatte schon auf dem Perron gequengelt. Als er mit seiner Mutter im Abteil sass, schränzte er los, dass Gott erbarm. Den 14 Leuten, die an diesem strahlenden Sonntagnachmittag von Zug nach Zürich fahren wollten, schwante Mühsames.

Doch kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt, entnahm die Mutter ihrem Rucksack ein Buch und fragte ihren Junior, welche Geschichte er hören möchte. „Die vom Zebra und vom Gespenst“, stiess der Kleine zwischen zwei Schluchzern hervor.

Die Mutter begann, mit einer tiefen, warmen Stimme zu erzählen. Erst verstummte ihr Sohn. Nach und nach stellten auch die anderen Passagiere ihre Aktivitäten ein. Sie unterbrachen ihre Gespräche, legten die Zeitungen und Bücher beiseite und hörten der Frau ebenfalls zu.

Kurz vor Zürich war die Geschichte zu Ende (Fazit: es gibt keine Gespenster. Und wenn, dann nur liebe). Als die Mutter das Märchenbuch wieder im Rucksack verstaute, applaudierte jemand leise. Sekunden später klatschten alle mit. Die Vorleserin lächelte, fast peinlich berührt.

Der Bub schlief selig.

In alter Frische

Mit grossem Vergnügen habe ich mich soeben zum ersten Mal durch „Rimix“, die neue CD von Polo Hofer, gehört. Der Mundart-Pionier hat – zusammen mit seinem langjährigen Produzenten und Tonmeister Eric Merz – eine Auswahl von Songs aus den 80er-Jahren sowie bisher unveröffentlichtes Material aus dem Archiv geholt und entstaubt.

Er wolle es jetzt „etwas ruhiger“ angehen lassen, sagte Hofer vor zwei Jahren. Unabhängig davon, ob man diese Aussage als Drohung oder Versprechen verstand: lange gültig war sie nicht. Wenig später war der bekennende Müssiggänger schon wieder an verschiedenen Fronten präsent: In Luke Gassers Film „Die Nagelprobe“ spielte der Mann, der mit Beamten zeitlebens wenig am Hut hatte, einen Staatsarchivar, im Musical „Ewigi Liebi“ hatte Hofer einen Gastauftritt; im selben Zeitraum gab der Sänger und Komponist das Songbuch „Das alles und no vil meh“ heraus und schuf mit „Prototyp“ eine CD, die ohne jede Despektierlichkeit als beeindruckendes Alterswerk bezeichnet werden darf. Es folgte – natürlich – eine Tournee durch volle Häuser, in denen 16-Jährige mit offenen Mündern neben ihren mitwippenden Grossvätern im Publikum standen.

Und jetzt, eben: der „Rimix“. Sam Mumenthaler, der frühere Züri West-Schlagzeuger und Hofer-Biograf, rühmt in der Berner Zeitung, die restaurierten Aufnahmen würden „keck“ und „forsch“ klingen. Für mich besteht das grosse Plus der CD darin, dass Hofer den Mut hatte, auf eine Neuauflage seiner Megahits „Alperose“, „Kiosk“ oder „D Rosmarie und i“ zu verzichten, obwohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch davon noch Rohfassungen in irgendwelchen Kellern ihrer Wiederentdeckung harren.

Bei den Restaurierungsarbeiten – für die scheints auch ein auf genau 58 Grad geheizter Ofen verwendet wurde – gingen manche Mäscheli und Bändeli verloren, mit denen Hofer und seine Band(s) ihre Lieder oft verzierten. Von all dem technischem Schnickschnack befreit, der vor 3o Jahren quer durch die Musikszene schwer angesagt war, klingen die Songs nun wesentlich natürlicher, direkter und ehrlicher als im Original.

Natürlich: Wer mit Polo Hofer bis heute nichts anfangen konnte, wird ihn wegen „Rimix“ nicht auf einmal lieben. Alle anderen aber haben dank dieser CD die Gelegenheit, ihn – beziehungsweise einen kleinen Teil seiner Lieder – von einer entschlackten und sehr entspannten Seite kennenzulernen.

Das ist bei einem Mann, der in den letzten Jahren mehrmals im Spital war, weil die Bauchspeicheldrüse, die Galle oder die Stimmbänder nicht mehr wollten, wie sie sollten, alles andere als selbstverständlich. Nur: bei Polo Hofer war schon immer alles ein bisschen anders.