Auf der Homeoffinsel (22)

Montag, 22. Februar 2021, 11 Uhr

Zu meinen Stammkunden gehört die Minigolf AG in Burgdorf . Seit Andrea Huber und Fredi Ursprung die Anlage am Einschlagweg vor anderthalb Jahren übernommen und rundumsaniert haben, kümmere ich mich um deren Facebook– und Website.

Ich hatte mich – wenn auch mit gedrosseltem Optimismus – darauf gefreut, ihren Gästen in diesen Tagen online mitzuteilen, dass sie sich vom 1. März an wieder in ihrem „Spielparadiesli“ tummeln und im Bistro etwas trinken oder einen Snack geniessen können.

Doch daraus wird – coronabedingt – möglicherweise nichts. Noch ist offen, was genau der Bundesrat meint, wenn er am 1. März nebst Läden, Museen und Lesesälen von Bibliotheken auch die Aussenbereiche von Zoos, botanischen Gärten sowie Sport- und Freizeitanlagen öffnen will.

Zumindest für mich besteht in dieser Hinsicht keine Ungewissheit: obwohl auf Gran Canaria covidschutzmassnahmentechnisch ein strengeres Regime herrscht als in der Schweiz, sind die Minigolfanlagen in Playa del Inglés für jedermann und -frau zugänglich.

Ich werde an den Feierabenden also immer mal wieder ein Ründeli drehen und mich soweit in Schuss halten, dass ich nach meiner Rückkehr Anfang Mai fast ohne Trainingsrückstand in den dann hoffentlich wieder laufenden Spielbetrieb einsteigen kann.

Nachtrag 25. Februar: Die Burgdorfer Minigolfanlage wird am 3. März unter Auflagen wiedereröffnet.

Auf der Homeoffinsel (21)

Sonntag, 21. Februar 2021, 10.20 Uhr

Immer wieder fegten gestern heftige Winde über die Insel. Sie pusteten einen Teil meiner Garderobe vom Balkongeländer in den Norden von Playa del Inglés.

Also zog ich heute Morgen los, um Nachschub zu besorgen. Aufs Geratewohl hin betrat ich einen Laden, der von aussen nicht nach Holzkamelen und Ayurvedasalben aussah.

Auf den Regalen war unsortiert aneinandergereiht, was der Mensch zum Leben braucht: Plastikhaie, Handyhüllen, Brillen, bemalte Muscheln, Räucherstäbchen, penisförmige Flaschenöffner, Elektrokrimskrams, Gummiseesterne, Nackenstützen, Bierhumpen, Zahnpastatuben, Holzkamele und Ayurvedasalben.

Beim Eingang döste ein Mann vor sich hin. Als er realisierte, dass ein potenzieller Kunde in seinem Geschäft stand, schoss er von seinem Klappstuhl auf, als ob ihm von hinten jemand „Alahu akbar!“ ins Ohr gebrüllt hätte.

Nachdem er sich gefasst hatte, begrüsste er seinen zweifellos ersten Gast des Tages (oder der letzten Wochen?) nach allen Regeln der indischen Kaufmannskunst.

„Ello, my friend!“, sagte er, und deutete eine Verbeugung an. „So happy to see you. You here before? You here before!“

„Hello“, sagte ich. „I…“

„Tserman?“, begehrte er zu wissen. „Inglis? Deuts?“

„Das spielt keine Rolle. Whatever you like.“

„Tserman gutt. Was wollen?“

„Haben Sie T-Shirts ohne Ärmel?“

„Du warten“, sagte der Mann, und verschwand durch eine Türe.

Ich wartete.

Und wartete.

Und wartete.

Aus dem Nebenraum vernahm ich leises Stöhnen, Scharren und gelegentlich ein unterdrücktes Fluchen.

Schliesslich kam er wieder zum Vorschein. Er trug zwei aufeinandergestapelte grosse Schachteln vor sich her. Schnaubend stellte er sie ab.

„Hier alles“, sagte er. „Du gucken.“

Ein Leibchen nach dem anderen zupfte der Mann aus den Kartons. Wenn er eines zutageförderte, das mir seiner Ansicht nach gefiel, packte er es aus, riss es aus der Hülle, faltete es auseinander, hielt es kurz vor mich hin und legte es feierlich neben die Kasse.

Als fünf Shirts beisammen waren, sagte ich, er brauche nicht länger zu suchen.

„More Farbe? Haben alle“, versicherte er.

„Super“, antwortete ich, „aber die sind perfekt“.

„Nobody perfect“, kicherte der Mann.

„Stimmt.“

„Viele Farbe“, fuhr er unbeirrt fort, und entnahm der Schachtel Shirt um Shirt. Bei der Kasse war längst kein Platz mehr. Dutzende von Leibchen stapelten sich auf dem Boden.

„Neinnein, ist gut“, sagte ich. „Nicht alles kaufen. Nicht heute.“

Der Mann kramte weiter.

Vor meinem geistigen Auge tauchte aus dem Nichts der über beide Hamsterbacken strahlende Kurt Felix auf. Entzückt sanggallerte er „Willkome bi de Verschteggte Kamera! Luegetzi, do hemmir üsi verschteggti Kamera verschteggt!!!“, und deutete, fast platzend vor Stolz, auf einen knallgelben Frisbee an der Wand. Seine Oberfläche zierte ein Smiley. In dessen Mitte klaffte ein fünflibergrosses Loch.

„Really, es ist ok“, sagte ich. „Ich nehme die hier.“

„Diese?“

„Ja, gerne.“.

Achtlos und, wie mir schien, fast chly betupft stopfte er die Ware zurück in die Box. Sekunden später tippte er süüferli Preis um Preis in einen Taschenrechner aus der vorletzten Steinzeit.

„Du lange in Canaria?“, fragte er in die plötzliche Stille hinein.

„Ja, ein paar Wochen.“

„Gutt. Wenn brauchen, du kommen.“

„Klar.“

„Ich immer hier. Oder meine Bruder.“

„Sehr schön.“

Bevor er mir vor Augen hielt, was ich ihm schuldig war, erkundigte er sich mit professioneller Beiläufigkeit, ob ich vielleicht sonst noch etwas benötige.

„Nein, danke. Nur die Shirts.“

„Jeans?“, schlug er vor.

„Nein, schon gut.“

„Kurze? Top Quality.“

„Äh…“

„Für baden?“

„Neinnein, nicht nötig.“

„Jacket? Schauen?“

„Nein, wirklich nicht. Es ist ja schön warm hier.“

„Dann alles.“

„Yep.“

„Machen 50. Sagen…45. Du Karte?“

Ich Karte.

„Mir geben.“

In diesem Moment fiel mir doch etwas ein:

„Haben Sie Socken? So ganz kurze? Für in die Turnschuhe?“

„Sorry. Nix Kleidershop hier.“

Auf der Homeoffinsel (20)

Samstag, 20. Februar 2021, 12 Uhr

Immer, wenn ich auf meinen Morgenspaziergängen diesen Mann sehe, weiss ich: Sisyphos lebt.

Jeden Tag geht er in seinem gelbschwarzen Gwändli durch die Dünen von Maspalomas. Unterwegs sammelt er ein, was die Leute in den letzten 24 Stunden liegenliessen.

Er gehört zu einer siebenköpfigen Equipe, die das Naturschutzgebiet im Auftrag der Umweltbehörde und der Stadt pflegt. Weiter achten 6 sechs „Agenten“ – darunter auch Polizisten – darauf, dass niemand die für die Öffentlichkeit abgesperrten Bereiche der sich über 400 Hektar erstreckenden Sandlandschaft betritt.

Getränkedosen, Sonnenbrillen, Papierfetzen, Plastikgeschirr, Zigarettenpäckli, Sonnencrèmetuben, Konservenbüchsen: das alles und noch viel mehr hebt der Mann mit seinem Kescher auf und kippt es in den Sack.

Dann marschiert er zu seinem Lieferwagen, wuchtet seine Funde auf die Ladefläche, nimmt einen neuen Beutel aus der Fahrerkabine…und geht zurück in die Wüste, um für genau solange für Ordnung zu sorgen, bis gleich die nächsten Touristen anrücken.

Falls ich jemals auch nur ein bisschen die Freude an meinem Job verlieren sollte, würde ich an diesen Mann und seine Kollegen denken.

Auf der Homeoffinsel (19)

Freitag, 19. Februar 2021, 5.15 Uhr

Für das Radio Argovia stand diese Woche im Zeichen des Home Office. So kam es, dass eine gebürtige Emmentalerin von Aarau aus einen gebürtigen Aargauer aus Burgdorf anrief, der seinen Arbeitsplatz vorübergehend nach Gran Canaria verlegt hat, um sich bei ihm danach zu erkundigen, was er auf der Insel so treibt:

Auf der Homeoffinsel (18)

Donnerstag, 18. Februar 2021, 7 Uhr

Heute mache ich frei. Sobald die Sonne aufgegangen ist, miete ich ein Bike und radle chly durch die Berge im Hinterland von Playa del Inglés. Meine Wetter-App sagt laue Lüftchen bei plusminus 20 Grad voraus. 80 bis 100 Kilometer müssten also drinliegen.

Die wild-karge Schönheit der Landschaft jenseits der zugebauten Zentren imponierte mir schon vor anderthalb Jahren, als ich mit meinem Freund Martin über den fast 2000 Meter über Meer gelegenen Pico de las Nieves zur Nordküste der Insel autofuhr. Obwohl wir nur wenige Stunden unterwegs waren, erschien uns der Ausflug wie eine Reise in eine andere Welt.

Wenn ich mich gerade so an jene Ferien erinnere: Einmal lagen wir am Pool unseres Hotels. Um uns herum fläzten sich Dutzende von Deutschen, Dänen, Holländern und Schweizern an der Sonne.

Der Reiseveranstalter Thomas Cook war damals gerade pleitegegangen, was sich auch auf die Gästezahlen in Gran Canaria auswirkte. Irgendwann sagte einer von uns beiden, „stell dir mal vor, was hier loswäre, wenn von heute auf morgen keine Touristen mehr kommen würden“.

Aber der Gedanke erschien uns zu absurd, um ihn lange diskutieren zu wollen.