Auf der Homeoffinsel (7)

Sonntag, 7. Februar 2021, 13 Uhr

Wie konnte ich nur glauben, zumindest am Strand lasse sich das Leben für ein paar Stunden ohne Einschränkungen geniessen?

Mit der Einschätzung, ihn praktisch für mich alleine zu haben, lag ich aber richtig. Auf dem rund 4 Kilometer langen Sandband bis zum Leuchtturm von Maspalomas tummelten sich nur ein paar hundert Menschen.

Normalerweise sind es Zigtausende.

Auf der Homeoffinsel (6)

Samstag, 6. Februar 2021, 6.30 Uhr

Seit meiner Ankunft am letzten Sonntag sah ich im Hotel folgende Lebewesen:

5 Gäste,
3 Rezeptionisten,
2 Reinigungskräfte,
2 Servicefachangestellte,
1 Elektriker,
1 Sanitäter, der jeden Tag von 11 bis 18 Uhr im menschenleeren Poolareal sitzt,
1 Koch und
1 Katze.

In dem zehnstöckigen Gebäude mit seinen rund 140 Zimmern höre ich manchmal stundenlang keinen Mucks. 16 Betten sind besetzt.

Für Filmfans: es ist chly overlookig.

Auf der Homeoffinsel (5)

Freitag, 5. Februar 2021, 0.40 Uhr

Hupende Autos, lachende Frauen, grölende Männer und überall Musik: so klangen die Nächte in Playa del Inglés bis vor einem Jahr. Nun ist es schon Stunden vor Mitternacht ruhig, nein: fast totenstill. Im Kampf gegen die Seuche hat die spanische Regierung eine Ausgangssperre verhängt. Sie gilt von 22 bis 6 Uhr.

Seit bald einer Stunde gucke ich von meinem Balkon aus auf die Stadt hinunter. Alles, was ich höre, ist das Rauschen des Meeres und von Palmenblätten. In der Bungalowsiedlung gegenüber mööggen rollige Katzen. Ein einsamer Vogel singt den Coronablues:

„I fly down the street
no people to meet.
All folks are at home
right here and in Rome

and Zug and Lucerne
and Burgdorf and Berne.
Livin‘ in pandemy.
dyin‘ in lethargy.“

Auf der Homeoffinsel (4)

Donnerstag, 4. Februar 2021, 9 Uhr

Das ist jetzt also mein Büro. Bis am 2. Mai wohne und wärche ich in diesem Appartment eines Hotels in Playa del Inglés. Dazu gehören eine Küche, ein Bad, ein Bett und ein Balkon. Mein Arbeitsumfeld in Gran Canaria unterscheidet sich somit kaum von jenem am Hauptsitz in Burgdorf.

Zuhause würde jetzt jedoch die Heizung laufen. Hier summt kaum hörbar die Klimaanlage. Wenn ich daheim auf den Balkon gehe, sehe ich die Hofstatt und das Schloss. Von meinem aktuellen Standort blicke ich aufs Meer und auf Palmen.

Auf der Homeoffinsel (3)

Mittwoch, 3. Februar 2021, 12.35 Uhr

Dass Corona auch in die Gastro- und Shoppingmeile am Strand von Maspalomas Lücken gerissen haben muss, war mir klar. Mit einem Kahlschlag, wie er sich mir nun präsentierte, hätte ich jedoch nie gerechnet: mindestens die Hälfte der Souvenirläden, T Shirt-Shops, Nagelstudios, Coiffeursalons, Pizzabuden und Steakhouses ist verschwunden.

Bis vor einem Jahr war auf dieser Promenade vom mittleren Morgen bis am späten Abend bisweilen kein Durchkommen. Heute streunen darauf noch ein paar verloren wirkende Touristen und Schwarzafrikaner umher. Letztere priesen vor der Virenkrise zu Dutzenden original echte Rolex-Uhren und Gucci-Brillen zu Spottpreisen an. Nun flüstern sie einem beim Vorbeigehen „Weed? Coke? Girls?“ ins Ohr.

Hilfe vom Staat dürfen weder die Ladenbesitzer und Beizer noch – schon gar nicht – die Einwanderer erwarten. Die spanische Regierung unterstützt Covid-betroffene Unternehmen zwar mit Kurzarbeitergeld und Bürgschaften. Zu den Voraussetzungen dafür gehören jedoch eine halbwegs transparente Geschäftsführung und legale Arbeitsverhältnisse.

In der „Klamotte“, meiner Lieblingsbeiz, gibts zwar immer noch die weltbeste Paëlla und fangfrisches Getier aus dem Meer, aber möglicherweise nicht mehr lange. Der Personalbestand schwand innerthalb eines halben Jahres von neun auf drei. Wo die sechs entlassenen Mitarbeiter – die zum Teil ihr halbes Leben in diesem Lokal verbrachten – geblieben sind und wie sie sich und ihre Familien über Wasser halten, wissen ihre Ex-Kollegen nicht.

Triste sei es, einfach nur triste, sagt einer der Kellner. Solange „nix turistas“, solange „no money“.

Und, noch schlimmer: „no hope“.