Drei Franken für eine Minute Musik

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11. September 2001: Arabische Terroristen steuern Passagierflugzeuge in das World Trade Center und in das Pentagon.

11. September 2013: Roger Waters, der ehemalige Kopf von Pink Floyd, führt „The Wall“, das eine der beiden Jahrhundertwerke seiner Ex-Band, im Zürcher Letzigrundstadion auf.

Was die beiden Daten miteinander zu tun haben? Nichts, eigentlich. Ich brauche nur einen knackigen Einstieg für diesen Beitrag, weil mir für einen geistreicheren Anfang die Worte fehlten.

Abhanden kamen sie mir vorhin in der Ticket-Vorverkaufsstelle im Burgdorfer Bahnhof. Dort blätterte ich für die zwei „Wall“-Billete total SFr. 409.40 hin, wobei man den Halsabschneidern Dealern vom Ticketcorner zugute halten muss, dass die je sechs Franken Bearbeitungsgebühren in dieser Summe bereits enthalten waren.

Zweihundertvierfrankensiebzig: Soviel habe ich für einen Konzerteintritt in meinem ganzen Leben noch nie bezahlt.

Wenn ein Veranstalter sich vor 20 Jahren erdreistet hätte, mehr als hundert Franken für ein Billet zu verlangen, hätte er entweder die Beatles in Originalbesetzung plus Abba als Vorband plus Jimy Hendrix als Gastgitarrist plus Janis Joplin als Schubidu-Sängerin im Hintergrund auf die Bühne bringen müssen – oder dann wäre er noch vor dem Soundcheck Konkurs gegangen, weil es keinem Menschen eingefallen wäre, zu diesen Wuchertarifen ein Ticket zu posten.

Doch the times, they are, wie Bob Dylan schon vor grob geschätzten 837 Jahren gesungen hat, a-changing. Heute regt sich kaum jemand mehr auf, wenn er für eine Minute Livemusik mit drei Franken zur Kasse gebeten wird (wers nicht glaubt: „The Wall“ dauert auf CD

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66.35 Minuten.

Und 409.40 geteilt durch 66.35 macht…eben.

Der Waters-Gig ist jedenfalls so gut wie ausverkauft. Er wäre es vermutlich auch, wenn der Eintritt pro Kopf 300 oder 400 Franken kosten würde, weil: „The Wall“ ist ein einsam aufragendes Monument in der Musiklandschaft. Eine Ikone aus Klängen und Effekten. Der Wahnsinn – im wörtlichen und übertragenen Sinn.

Oder kurz: Etwas, was man einfach gesehen haben muss, wenns schon einmal da ist.

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Der britische Musikprofessor und Rockkritiker Simon Frith erklärt diese „Ich will an dieses Konzert, koste es, was es wolle“-Mentalität in einem sehr lesenswerten Gespräch mit „Spiegel online“ so:

„Die Live-Erfahrung ist schon immer zentraler Bestandteil des musikalischen Erlebens und des Fantums gewesen. Wer würde schon sagen: Tolle Band, aber live würde ich die nie sehen wollen?“

An tollen Bands und Solisten fehlts in der Schweiz auch heuer nicht. Sie sind zu folgenden Preisen zu sehen und hören:

Bon Jovi oder Bruce Springsteen kosten mindestens 108 Franken,

Patricia Kaas oder Peter Gabriel kann man für 90, bzw. 85 Franken erleben.

Kiss oder Krokus gibts für 88, bzw. 70 Franken.

Wieso sich all diese und andere Schwergewichte nicht ein Vorbild an den Halunke nehmen, die im im Maison Pierre für 30 Franken und damit fast gratis auftreten: Niemand weiss es.

Das heisst – doch. Inzwischen kennen es ja alle, das traurige Lied von den Künstlern, die wegen des Internets kaum mehr Geld verdienen. Und die ihre Haut deshalb auf endlosen Tourneen durch die grössten Stadien rund um den Erdball so teuer wie möglich verkaufen müssen.

Laut dem Experten Firth explodierten die Tickettarife ab Mitte der 90er-Jahre: „Damals fingen die CD-Preise an zu sinken. Den Bands brachen daraufhin die Einnahmen weg, und der finanzielle Druck stieg, sich eine neue Geldquelle zu suchen. Später, durch die Digitalisierung, hat sich dieser Trend natürlich drastisch verstärkt.“

Von dieser Entwicklung könnten jedoch nur die Künstler in der Grössenordnung von U2, Madonna, den Rolling Stones oder, eben, Roger Waters profitieren. Kleinere Bands müssten schauen, wo sie bleiben, denn „ihnen fehlt das entsprechende Publikum – sowohl die reine Masse an Menschen als auch der Ruf, das hohe Eintrittsgeld wert zu sein. Neue Bands müssen ihre ersten Touren mittlerweile selbst subventionieren, bis sie sich eine signifikante Fangemeinde erspielt haben.“

Doch trotz allem Verständnis für die Existenzängste der musizierenden Zunft: Zweihundert Stutz für Roger Waters – das ist ebenso jenseits von der Normalität wie dessen „grandios-pompöses Multimedia-Spektakel“:

(Stimme von den billigen Plätzen im Leserkreis): „Sag mal: Hat dich jemand gezwungen, diese Tickets zu kaufen?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Also. Was soll das Gejammer?“

„Das ist kein Gejammer. Das ist eine schon fast wissenschaftliche…“

„…hör doch auf. Du meckerst hier ständig über Preise für etwas, was du im Grunde gar nicht brauchst.“

„Natürlich brauche ich das.“

„Was?“

„Die Musik. Die Stimmung. Zu hören, wie etwas live klingt, was ich bisher nur ab Platte kannte.“

„Schon klar. Aber wenn dus schon brauchst, kannst du dafür ja auch bezahlen. Du bekommst ja auch etwas dafür.“

„Wie gesagt: Ich bezahle ja gerne, nur…“

„Eben. Dann hör auf zu motzen.“

„Ich motze nicht.“

„Tust du doch.“

„Gut, dann motze ich halt. Liest du hier ab und zu mit?“

„Klar. Ich bin dein grösster Fan. Ich lese alles von dir, auch den grössten Schrott.“

„Wunderbar. Ab sofort kostet ein Beitrag fünf Franken. Mit Bild machts acht Stutz, und wenn noch ein Video dabei ist, kann du mir eine Zehnernote überweisen.“

„Spinnst du jetzt?“

„Zwingt dich jemand, diesen Blog zu lesen?“

„Nein, aber…“

„Du brauchst das einfach, fürs Wohlbefinden und so.“

„Genau.“

„Et voilà“.

„Du wirst ja nicht ernsthaft diesen Blog mit einem Rolling Stones-Konzert…“

„…natürlich nicht. Ich sage nur…“

„Hör doch auf.“

„Hör du doch auf.“

„Depp.“

„Aff.“

„Idiot.“

„Hör mal: Ich muss hier weiter…“

„…mach nur. Ich bin weg. Für immer.“

„Auch gut. Du ziehst hier sowieso nur das Durchschnittsniveau der Leserschaft in den intellektuellen Abgrund.“

„Das war jetzt gemein.“

„Aber wahr.“

„Schreibst du morgen wieder etwas?“

„Mal sehen. Kommt drauf an.“

„Worauf?“

„Auf alles.“

„Super. Ich freu mich.“

3 Kommentare

  1. Wie jetzt, Du bezahlst 200. – pro Person, um ein paar Greisen dabei zuzuschauen, wie sie ihre uralten Songs abspulen?? Hmm, die Hitzewelle down under hat Dich wohl doch ziemlich mitgenommen…

  2. Meine Vorfreude, dass ich euch endlich mal wiedersehe, währte leider nur kurz, da ich zwar an diesem Tag auch im Letzi sein werde, jedoch nur die Hälfte bezahlt und euch somit von den billigen Stehplätzen aus höchstens zuwinken kann.

    Vielleicht könntest du dann ein pinkiges Tischi und ein Chäppi mit Blinklichtern tragen, damit ich in die richtige Richtung winken kann….oder wir treffen uns beim Wurststand, wobei das geht nicht, da ich jetzt Vegi bin. Es wird schon klappen. Man sieht sich…hoffentlich 🙂

    Machi. Als Chäppi drängt sich das hier auf.

    Dich kennen wir – und inzwischen vermutlich auch ein paar Tausend andere Leute;-) – ja an den Füssen.

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