Bei den Gestrandeten

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Falls es sie je erlebt haben sollte, sind die Glanzzeiten des „Hexenkessels“, einer Schweizer Beiz im Einkaufszentrum Cita in Playa del Inglés, schon seit einem geraumen Weilchen vorbei. Ein Senior nippt an einem Bier und unterhält sich mit Hans-Peter, dem Chef des Lokals.

Er sei nun, sagt Hans-Peter in akzentfreiem Schweizerdeutsch, seit 14 Jahren auf Gran Canaria. Auf die Frage, ob er und seine Gäste das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest am Fernsehen mitverfolgt hätten, antwortet er: „Nur den Schlussgang.“ In der Annahme, ihn als Schweizer interessiere bestimmt, wies war, am Burgdorfer Wahnsinns-Wochenende, beginne ich, ihm von dem Fest zu erzählen. Nach zwei Sätzen ist sein Interesse erloschen. Er wendet sich wieder seinem Stammgast zu.

Wenn sich die Augen erst einmal an die Düsternis im „Hexenkessel“ gewöhnt haben, sieht man, dass die Wände und die Theke flächendeckend mit Schals und Wimpeln des FC Luzern, des FC Basel und anderen Vereinen dekoriert sind. Auf dem WC werden die Männer mit sicher lustig gemeinten Karikaturen gebeten, im Sitzen zu pinkeln. Und anschliessend die Türe offen zu lassen, damit sich der Gestank verziehen kann.

Ich bezahle meine zwei Mineralwasser. Als ich gehe, sagt Hans-Peter, wenn ich mir das Länderspiel Schweiz-Island anschauen wolle, könne ich das sehr gerne bei ihm tun. Das ist, wie der Klang seiner Stimme verrät, weniger als Einladung, sondern mehr eine Bitte. Oder ein Flehen.

Trostlos

Das Cita ist ein Gebäudekomplex von erschlagender Trostlosigkeit: Spelunke reiht sich an Spelunke. Neben dem „Hexenkessel“ warten „Uschi & Michael“ in ihrem „Hessen-Saloon“ auf Kundschaft; weiter vorne gibt es eine „Durst-Ecke“, eine „Kleine Bierstube“, eine „Aachener Kaschemme“, einen „Schlucknapf“, das „Klein Nippes“ eines gewissen Horst und unzählige andere Kneipen ähnlicher Prägung. Im Untergeschoss sind zwei Swingerclubs einquartiert. Dazu kommen zig Billigschmuck- und -kleiderläden und Allyoucaneat-Asiaten.

Es wirkt alles sehr abgestanden und schmuddelig. Da und dort stinkts nach Schweiss und Urin und Erbrochenem. Die Menschen, die ziellos durch das Korridore schlurfen, machen einen abgelöschten Eindruck. Mit all den Touristen, die auf Gran Canaria rund um die Uhr Spass haben wollen oder Erholung suchen, haben sie nichts gemeinsam, ausser der Herkunft und der Sprache und dem Bedürfnis nach Sonne und Wärme.

Ihr Traum von einem unbeschwerten Dasein im Süden ist längst geplatzt. Als sie gemerkt haben, dass aus dem Dolce Vita allen Hoffnungen zum Trotz nichts werden würde, waren die Ersparnisse bereits verbrannt und die Brücken in die Heimat vermodert.

Rechtzeitig auszusteigen, gelingt nur wenigen. Zu den „Glücklichen“, die den Absprung gerade noch geschafft haben, gehören Sonja Hodel und Andrea Gähwiler aus Arbon: Sie gaben ihre „Bar Bengel“ im Cita nach einem Jahr auf und kehrten in die Schweiz zurück.

Für all jene, die bleiben müssen, geht es jetzt nur noch darum, die Illusion aufrechtzuerhalten, in dieser Kunstwelt aus Rausch und Ramsch eine Art Heimat gefunden zu haben.

Moralisch unterstützt werden sie dabei von Schlagersternchen und Volksmusikanten, die aus unsichtbaren Lausprechern unablässig die Freuden des Lebens besingen.

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