Im Eldorado der Leseratten

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Wenn die Ehefrau für den Ehemann auf dem Flohmarkt einen „Playboy“ kauft – was kann das bedeuten?

Dass sie weiss, was den Mann interessiert: Tiefschürfende Interviews und mitreissende Reportagen.

1970 war um mich herum einiges los: Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und einige Mitstreiter befreiten Andreas Baader aus dem Gefängnis und begründeten damit die Rote Armee Fraktion, die wenig später eine nicht enden wollende Blutspur durch Deutschland zog. ARD und ZDF strahlten ihre Nachrichtensendungen erstmals in Farbe aus. Und, ganz schlimm: Die Beatles gaben nach der Veröffentlichung von „Let it be“ ihre Trennung bekannt.

Doch von alldem bekam ich nichts mit. Ich war damals fünfjährig und interessierte mich primär für Tiere und die Frage, ob es Wolken am Himmel habe oder nicht (wenn nein, versprach auch dieser Tag wunderbar zu werden. Wenn ja: Grosses Drama. Vor Wolken hatte ich Angst.)

Der leicht vergilbte „Playboy“, der dank meines Schatzes vor mir liegt, erschien im November 1970. Er kostete einen Dollar, umfasste 270 Seiten und war ein Eldorado für die Freunde des geschriebenen Wortes. Das hier

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zum Beispiel ist keine Doppelseite aus der NZZ vom letzten Oktober, sondern ein kleiner Ausschnitt aus einem „Playboy“-Gespräch mit dem Schauspieler Elliott Gould, der damals gerade mit dem satirischen Antikriegsfilm *M.A.S.H.* für Furore sorgte.

Sehr lesenswert ist – nebst vielem, vielem anderem – auch

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„When punishment is a crime“.

Ramsey Clark zeigt mit dieser Geschichte, dass es hinter den Mauern amerikanischer Gefängnisse weniger um die (Re-)Sozialisierung der Inhaftierten geht, sondern vor allem darum, die Verurteilten zu erniedrigen. Davon, dass der Autor wusste, wovon er schreibt, ist auszugehen: Der nebenamtliche „Playboy“-Mitarbeiter, der dieses durch und durch korrupte und menschenverachtende System beleuchtete, war im Hauptberuf Justizminister der Vereinigten Staaten.

Daneben gibt es unterhaltsam-interessante Berichte über die neuste Skimode, ein Essay über Skulpturen, Fischrezepte, eine Hitparade von wichtigen Politikern, geistreiche Witze, träfe Karikaturen oder eine üppig illustrierte Abhandlung zum Thema „Erotische Szenen in Kinofilmen“.

Überhaupt, die Erotik: Auch sie kommt im Playboy vom Flohmi nicht zu kurz. Nebst einigen anderen Frauen, deren Namen der Leser sich nicht un-be-dingt zu merken brauchte, ist in dem Magazin auch eine gewisse Jane Birkin von einer der Öffentlichkeit bisher unbekannten Seite zu sehen:

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Mit „Je t’aime, mois non plus“, das sie mit ihrem Lebensgefährten Serge Gainsbourg eingespieltstöhnt hatte, war es der Französin gelungen, die halbe Welt samt dem Vatikan in helle Aufregung zu versetzen. „Haben sie im Studio, oder haben sie nicht?“: Das war die Frage, die nicht nur den musikaffinen Teil der Menschheit 1970 weitaus mehr beschäftigte als Hans-Peter Tschudis Wahl zum Schweizer Bundespräsidenten oder Clauda Schiffers Geburt.

Aber eben: Ich konnte nicht mitreden. Ich hörte damals die Chaschperli-Platten von Jörg Schneider (unvergessen: „D Häx Nörgeligäx“ und „De Schorsch Gaggoo“) sowie „Über den Wolken“ von Reinhard Mey (wenn das Lied „Unter den Wolken“ geheissen hätte, würde ich es vermutlich bis heute nicht kennen).

Den „Playboy“ entdeckte ich erst sehr viel später. Er war fester Bestandteil der Zeitungsbündel, die wir als Schüler bei den alljährlichen Altpapiersammlungen zusammenramisieren mussten. Ein Coiffeur stellte die einschlägige Literatur (darunter auch Billigware wie „Schlüsselloch“, „Sexy“ und „Praliné“) jeweils stapelweise vors Haus; wir verteilten die Beute unter uns, bevor wir bei den grossen Containern auf dem Pausenplatz angelangt waren. Dann nahmen wir sie mit nach Hause und erfreuten uns daran, bis unsere Mütter die vermeintlich raffiniert versteckte heisse Ware bei der nächsten Razzia Zimmerputzete konfiszierten.

Bezahlt habe ich für den „Playboy“ nur einmal, im Dezember 1989, als Katarina Witt auf dem Cover prangte. In Berlin war soeben die Mauer gefallen; die Wiedervereinigung Deutschlands schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Das Gute daran war, dass sich die Eiskunstläuferin aus der DDR, die bis anhin „nur“

auf dem sportlichen Parkett

Begeisterungsstürme ausgelöst hatte, ihrer Schlittschuhe und allem ohne Angst vor staatlichen Repressalien coram publico entledigen durfte.

Die Gelegenheit, einmal einen Blick hinter den Eisernen Garderobenvorhang zu werfen, liess sich niemannd entgehen, der neun Franken fünfzig entbehren konnte und keine Skrupel hatte, bei der Kioskfrau seines Vertrauens nach dem „Playboy“ zu fragen. Das Heft war, wie schon die Erstausgabe im Jahr 1953, mit Marylin Monroe als Blickfang, innert Kürze ausverkauft.

Unknown

Aber wer weiss: Vielleicht werden inzwischen ja auch Witt-Ausgaben auf Flohmärkten feilgeboten. Dies nur als Tipp für Leute, die nicht länger daran herumstudieren mögen, was sie mir am 16. Oktober zum Geburtstag schenken könnten.

1 Kommentar

  1. Uns eilt das selbe Schicksal nach. Ich habe vor fünf Jahren von einem Freund einen alten „Playboy“ zum Geburi geschenkt erhalten. Der Star jener Ausgabe war Pamela Anderson. Seither sammle ich alte „Playboys“. Ich finde sie auf Flohmärkten und im Netz.

    Es lohnt sich auch heute noch, dieses Magazin zu lesen, und zwar nicht nur wegen der sehr ausführlichen Interviews mit interessanten Persönlichkeiten. Auch die riesengrossen Inserate in früheren Ausgaben sind bemerkenswert. Man kann kaum glauben, dass vor nicht allzulanger Zeit noch grossflächig für Maxell-Kassetten, AIWA-Stereoanlagen Marke „So gross wie meine Wohnwand“ oder CompactDiscs geworben wurde.

    Mittlerweile bin ich zu einem richtigen Fan dieses Heftes geworden. Ich habe es sogar abonniert, um keine Ausgabe mehr zu verpassen. Der „Playboy“ ist einfach Kult.

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