Im falschen Film

Frisch geduscht stand ich auf dem Hotelbalkon und vergitzelte beinahe vor Vorfreude darauf, gleich ins Yumbo-Center hochzubummeln, um es an der Openairdisco (Motto: „It’s a men’s world“, Flyersujet: behaarte Brust, schwarzes Gilet) endgeil krachen zu lassen. Dann wurde ich der Wolken gewahr, die gfürchig am Himmel über Playa del Inglés dräuten.

Gravibus cor, wie der Lateiner sagt, beschloss ich, den Sonntagabend wieder einmal an einem „Tatort“ statt auf der Tanzfläche zu verbringen. Das schien mir keine üble Alternative zu sein. Immerhin versprach das Fachmagazin „TV Spielfilm“ in seiner Vorschau „schmutzige Serienkiller-Abgründe“, in denen es um „makabre Psychospielchen, verletzten Stolz“ und „zarte Liebesbande“ gehe und die mit einem „Showdown, der sich gewaschen hat“, enden würden.

Der Fall spielte in Dortmund. Dortmunder Tatorte hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, doch das Terrain und das Personal waren mir von früher her noch bestens vertraut: Kennt man einen Schimanski, kennt man alle, dachte ich, und war dann nicht wenig verwirrt, als in der ersten Szene nicht Schimanski zu sehen war, sondern ein mir völlig unbekannter Kommissar namens Faber. Während er und seine mir ebenfalls fremde Kollegin Bönisch zu einer im Wald vergrabenen Leiche fuhren, begann mir zu dämmern, dass Schimanski ja in Duisburg ermittelt hatte und sowieso tot ist.

Das verkomplizierte schlagartig alles und wurde zusätzlich erschwert durch den Umstand, dass Schimanski im Vergleich zu dem, was Faber und Bönisch an Neurosen und Altlasten herumschleppen, von schrebergartenparzellenbesitzerhafter Normalität war.

Wo die Neurosen blühen: Das Ermittlerquartett mit Bönisch und Faber am Tatort im Grünen. Links und rechts von ihnen die Terroristinnentochter und der Drogenkonsument. (Bild: daserste.de)

Noch vor der ersten Drittelspause wusste ich, dass Faber sich schon öppedie hatte umbringen wollen, Bönisch bei der Auswahl ihrer Sexpartner nicht übertrieben pingelig ist (um es einmal gaaanz zurückhaltend auszudrücken), dass die Mutter einer weiteren Ermittlerin mit der RAF (zK. der jüngeren Leserinnen und Leser: das ist nicht der italienische Sänger, der mit „Self Control“ 1994 einen grossen Hit hatte, der später, von Laura Branigan gecovert, zu einem noch viel grösseren Hit wurde, und der mit Umberto „Tu“ Tozzi am Eurovision Song Contest 1987 mit „Gente die Mare“ Platz 3 belegte) sondern die Abkürzung für „Rote Armee Fraktion“; das war eine deutsche Verbrechertruppe, die zwischen 1970 und 1990 Dutzende von Menschen ermordete. Mehr zum Thema gibts für die Grossen hier und für die Kleinen hier), und bevor jemand fragt, „und was ist mit ‚Self Control?!?“ – ecco la musica:

sympathisierte und aussteigen wollte und die Freundin eines Betäubungsmitteln zugeneigten vierten Fahnders wegen Drogengeschichten in Untersuchungshaft sass. Um das Kind der beiden kümmerte sich die Polizistin mit der Terrormutter.

Als Bönisch am Ende erschossen wurde, war ich beinahe froh, denn so kam wieder chly Ordnung ins Organigramm. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, „lieber zehn Tatorte mit Lena Rosenthal als einer mit Faber“, und das will Mitgottstüüri etwas heissen.

Heute Morgen musste ich jedoch erkennen, dass andere ziemlich anderer Ansicht sind: Die „Frankfurter Allgemeine“ schreibt von einem „psychologischen Glanzstück„, der „Spiegel“ von einem „Höhepunkt aus zehn Jahren Dortmund-Tatort“ (er sei „aufwühlend und fatalistisch wie nie zuvor“), der Tagesanzeiger verlieh „Liebe mich“ das Prädikat „hervorragend“ und der „Stern“ befand, der Streifen beleuchte „mehrere spannende Geschichten, ohne sich zu verzetteln“, aber der Stern hat ja auch schon behauptet, die Hitler-Tagebücher seien echt.

Nur dem Rezensenten der „Zeit“ schien es in diesen 90 Minuten ähnlich ergangen zu sein wie mir: „Das Problem beim Dortmunder Tatort ist, dass alle eins haben. So wenig wie sich die Polizei hier für Abläufe ihres Jobs interessiert, so munter leimt sich das Drehbuch seine Geschichte zusammen. Kunst wäre es, wenn der Weg zum Ziel plausibel auf dem Pfad der Genrelogik beschritten würde. Stattdessen geriert sich die Geschichte wie ein Elefant, der alle Herausforderungen beim Erzählen einfach niedertrampelt“, schreibt Matthias Dell.

Ich gehe davon aus, dass er sich genauso auf den nächsten Mittwoch freut wie ich. Dann sendet der ORF eine neue Folge des „Bergdoktors“. Am Fusse des Wilden Kaisers wird sich noch für die Abläufe des Jobs interessiert, da trampelt niemand etwas nieder, ausser vielleicht ein paar Alpenrosen bei Notfalleinsätzen, da kann man die Guten von den weniger Guten an der Haarfarbe unterscheiden, da kommt immer wieder alles in Ordnung oder kurz: da hat alles seinen Sinn, nicht wie in Dortmund oder jeder beliebigen anderen „Tatort“-Stadt ausser Münster.

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