Kampf mit dem Ohrwurm

Dieses Lied sang Chantal aus heiterstem Himmel, als wir neulich eines wunderschönen Sommermorgens durch Goldau spazierten. Stunden später schwirrte die Melodie immer noch wie ein junges Vögelchen durch meinen Kopf.

Als ich den zähen Ohrwurm gegen Abend endlich besiegt glaubte, stimmte sie den Song noch einmal an…worauf ich quasi mit Alfred J. Kwak ins Bett ging und inständig hoffte, dass er am nächsten Morgen verschwunden sein würde.

Er war.

Aber jetzt…

Eine kleine Geschichte um eine grosse Band

Die ultimative Hymne an die Sommernacht:

Die Aufnahme stammt aus dem November 1979. Abba gaben damals sechs Konzerte im jedesmal ausverkauften Londoner Wembley.

Einen Monat zuvor – am 28. Oktober 1979 – sah ich die Popgiganten aus dem hohen Norden im Hallenstadion. Ich war erst 14 und durfte das Konzert mit meinem Schulkollegen Rainer Widmer besuchen. Unseren Eltern wars ziemlich sicher nicht ganz geheuer; trotzdem gönnten sie uns zwei Landeiern dieses einmalige Erlebnis.

Weil „Abba“ für uns das erste Grosskonzert überhaupt war und wir keine Ahnung hatten, wie das laufen würde, verharrten wir artig auf unseren nummerierten Sitzen, als das Licht in der Halle ausging und das Intro von „Voulez-Vous“ erklang:

Wir bemerkten allerdings noch vor dem ersten Refrain, dass sich die anderen zehntausend Besucherinnen und Besucher herzlich wenig um die Plazierungsvorschriften scherten – und stürmten ebenfalls Richtung Bühne. Die nächsten zwei Stunden erlebten wir wie in Trance.

Anschliessend warteten wir am Hinterausgang bei mindestens fünfzig Minusgraden auf unsere Idole…doch weit und breit liess sich niemand blicken, der auch nur entfernt nach Schweden aussah. Anderntags mussten wir im „Blick“ lesen, dass die Band die Halle praktisch mit dem Schlussakkord verlassen hatte.

Aber es gibt eine Gerechtigkeit: Im Spätherbst 1996 höckelte ich im „Chasseur“ in meiner neuen Heimat Freiburg (drittes Fenster von links; gleich nach der roten Reklametafel) und las, von Käsegerüchen umwabert, Zeitung. Hinter mir erkundigte sich eine Frau auf Französisch, ob der zweite Platz an meinem kleinen Tisch noch frei sei. Geistesabwesend murmelte ich ein Oui.

Als ich von meinem Heft aufblickte, sass mir Annifrid Lyngstad gegenüber. Ich war mir ziemlich sicher, im nächsten Augenblick tot unter das Tischli zu fallen, wollte aber vorher noch wissen, ob ich wache oder träume. Ich fragte die Frau, ob sie tatsächlich diejenige sei, die ich in ihr zu erkennen glaubte. Sie schaute mich freundlich an und bejahte.

Später verriet mir der Wirt, dass die frühere Abba-Sängerin seit einem geraumen Weilchen im Kanton Freiburg wohne und regelmässig im „Chasseur“ vorbeischaue, um sich mit ihrem Ehemann bei einem Fondue im Säli für die Heimspiele des HC Fribourg-Gottéron zu stärken. Manchmal, wenn der Mann noch am Arbeiten sei, warte sie vorne in der Gaststube mit einem Glas Wein auf ihn.

Es war nicht so, dass Annifrid Lyngstad und ich uns in den nächsten Jahren unsere Lebensgeschichten erzählt hätten; ihrerseits wäre das gar nicht nötig gewesen: Ich wusste schon als Teenager alles über sie und Benny Andersson und Agneta Fältskog und Björn Ulvaeus und ihre Songs und das Blockhaus auf der Insel Viggsö vor Stockholm, in dem die beiden Herren des Quartetts ihre Welthits komponiert hatten. Ich wusste sogar, wieso „The winner takes it all“ klingt, wie es klingt.

Es war, genau genommen, auch nicht so, dass wir gross miteinander gesprochen hätten. Unsere Konversationen beschränkten sich auf Salüs und Hellos (aber hey: Wieviele Leute auf diesem Planeten können von sich behaupten, von der einen der beiden Abba-Frauen alle zwei Wochen gegrüsst worden zu sein?). In der ganzen Zeit, in der ich direkt gegenüber dem „Chasseur“ wohnte, dachte ich nicht einmal auch nur im Traum daran, sie um ein Autogramm zu bitten.

Aber jedesmal, wenn ich sie erblickte, war das wie…war das, als ob…es war einfach etwas ganz Besonderes. Fast magisch. Vermutlich befürchtete ich, den ganzen Zauber mit einem profanen Unterschriftenwunsch zu zerstören. Vielleicht hatte ich zu grossen Respekt vor ihrer Privatsphäre. Möglicherweise…ich weiss nicht. Es spielt auch keine Rolle.

Denn eines Abends kam sie nicht mehr in den „Chasseur“. Ihr Mann sei gestorben, sagte der Wirt.

Wenig später versteigerte Annifrid Lyngstad ihren kompletten Hausrat, liess den Erlös bedürftigen Kindern zukommen und zügelte weg.

Sultans im Stau

18 Jahre.

Das ist jetzt schon 18 Jahre her, dass wir auf der Höhe der Ausfahrt Pratteln auf der Autobahn standen und beinahe in die Nackenstützen bissen vor Angst, es nicht rechtzeitig ins Joggeli zu schaffen, weil all die Idioten vor uns nicht auf die Idee gekommen waren, mit dem Zug ans Konzert der Dire Straits zu fahren, die 1992 ihr neues und – wie sich zeigen sollte – letztes Studioalbum „On every street“ rund um den Erdball vorstellten. Sechs Jahre zuvor hatten die Mannen um Mark Knopfler mit „Brothers in arms“ einen der meistverkauften Tonträger der Rockgeschichte produziert.

Grösser als die Dire Straits – das ging in jenem Sommer fast nicht.

Und wir: im Stau.

Doch irgendwie – der Pannenstreifen war kilometerlang frei; damals hatten die Verkehrsteilnehmer noch Anstand und drängelten nicht ohne Not rechts aussen vor – kamen wir nach einer halben Ewigkeit pünktlich im Stadion an – der magische Abend konnte beginnen.

Von Dr. Pontius zu Dr. Pilatus

Unser Gesundheitssystem sei zu kostenintensiv, heisst es. Also wird an allen Ecken Geld gespart, werden alternative Modelle eingeführt: Managed Care ist in. Ich gehe mir gutem Gewissen (und nicht ganz so schwer gebeuteltem Portemonnaie) voran.

Seit ich in Zug lebe, werden meine Kinkerlitzchen in einer HMO-Praxis begutachtet. Wenn es sie denn gibt, denn ich bin keine teure Patientin, auch keine gute: es muss Jahre her sein, dass ich eine Arztpraxis von innen gesehen habe (die Besuche beim Gynäkologen ausgenommen, denn da muss frau einfach hin). Dieser Gedanke kam mir unlängst, als ich in einem Wartezimmer ungeduldig die Frauenliteratur durchging.

Sie mutet seltsam uniform an. Das kann ich guten Gewissens sagen, nach sechs Konsultationen in weniger als acht Wochen. Dass ich zum wiederholten Mal irgendwo sitze und darauf warte, dass jemand seine Nase in Akten/Röntgenbilder/Terminplaner steckt, nur um mir dann zu bestätigen, was ich längst weiss – „Ihr linker Innenmeniskus ist gerissen“ -, hat mit dem System zu tun. Die Praxisgemeinschaft schickt mich zum Röntgen, danach wird der dritte Termin gebraucht, um die Resultate zu besprechen und mich an den Spezialisten zu überweisen, der dann zwei Treffen ausmacht um mir a) dasselbe zu sagen, was man mir im Spital schon mitgeteilt hat und b) die Vorbesprechung für den Operationstermin anzuberaumen. Ich wundere mich.

„Und den Termin für die OP“?, frage ich, „wann kriege ich den?

„In Zug“, sagt der Spezialist, „müssen sie bis zu drei Monate warten“. „Sind denn alle in den Ferien?“, will ich wissen, im Wissen darum, dass ich nicht als Notfall durchgehe und auch nicht lebensgefährlich verletzt bin.

„Nein“, sagt der Arzt. „Das hat mit ihrem Versichertenstatus zu tun.“

Satt & schlapp

Nach einem in jeder Hinsicht Fünfsterne-verdächtigen Nachtessen bei Remo und Beat hoch über Hünenberg, einer tollen Schifffahrt über den Zugersee, einem tierisch schönen Spaziergang durch den Wildpark in Goldau, einem ausgedehnten Bummel zurück ans Wasser, der frühmorgendlichen Live-Verhaftung eines afrikanischen Drogendealers hinter der Zuger Post samt anschliessendem Muffin-Gebacke in Chantals Küche, x Raketenstarts und Vulkanausbrüchen plus saftigen Fleisch- und gluschtigen Hörnlibergen bei meiner Familie am Hallwilersee und, schliesslich, einer kleinen Bahn-Tour de Suisse von Böju nach Luzern und Zug, bzw. Langnau nach Burgdorf sind Chantal und ich ein bisschen zu schlapp, um über das vergangene Wunder-Wochenende noch viele Worte zu verlieren: