Vom Hundertsten ins Tausendste

Am Anfang war es nur ein Gag: Mit Blick auf die Fussball-WM und ihre bisweilen sehr zweifelhaften musikalischen Nebenerscheinungen gründeten mein Brüetsch und ich auf Facebook die Gruppe „Wenn es schon eine WM-Hymne braucht, dann die hier„.

Mit „die hier“ gemeint ist der „Looo-lo-lo-loooo“-Song von „Bäng Gäng„, bei denen mein Brüetsch trommelt.

Der Gruppe schlossen sich in kurzer Zeit immer mehr Leute an. Als wir das hundertste Mitglied begrüssen durften, fand ich: „Hundert sind gut; tausend wären besser.“ Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, teilte mir mein Brüetsch mit, dass er sich ebenfalls zum Ziel gesetzt habe, tausend Fans in der Gruppe zu vereinen. Und siehe da: Ohne, dass wir dafür viele Finger krumm machen müssten, wächst die Schar immer weiter. 

Natürlich: Es spielt keine Rolle, wie gross das Grüppli ist und ob es überhaupt existiert. Aber mitzuverfolgen, wie etwas gross und grösser wird, das weder einen Sinn hat noch einen Zweck erfüllt, macht halt schon Spass.

Nachtrag 1: Yolanda Bögli, die wir beide von früher her kennen und die in Ecuador seit Jahren ein Hostel betreibt, macht auf Facebook ebenfalls Werbung für unsere Gruppe. Und bittet uns darum, ihr den Song als MP3-Datei zu schicken, damit sie ihn in Südamerika bei den Spielen der Schweizer Nati in voller Lautstärke abspielen kann.

Soviel Unterstützung will verdankt sein: Falls die Schweiz das Finale gewinnt, fliegen „Bäng Gäng“ nach Ecuador und spielen ihre Hymne in Yolis Garten.

Nachtrag 2: Die MP3-Datei ist angekommen. Der Song läuft jetzt in Ecuador rund um die Uhr; zumindest in Yolis Hostel.

Nachtrag 3: Im Netz wird das Werk eifrig diskutiert. Hier eine Auswahl von Hörerstimmen: 

„I dänke de Zwäck erföllts.Match luege,Bierli presse,tip-top.“

„Haha hehe de hammer aber oni scheiss das chamer au nome lose wen mer psofe esch.“

„Aifach nur lächerlich schämet er eu nö“

„Esch doch supi Lupi, fägt, en eifache Song förs Volk zum mithippe“

„peinlich, schlecht und doof!“

Zwischenstand Freitag, 4. Juni, 18.10 Uhr: Die 200er-Grenze ist bereits geknackt.

Zwischenstand Dienstag, 8. Juni, 7.00 Uhr: 225.

Im Rock-Schlaraffenland

Irgendwie ist dieses Jahr konzertmässig wie für mich gemacht:

Los gings in relativ kleinen Rahmen mit

Polo Hofer in der Zuger Chollerhalle

und

Skinny Machines im Café Anna zu Burgdorf.

Dann liessen es  

Kiss

und

Alicia Keys (was für ein Flügel!)

im Hallenstadion ordentlich krachen. 

Toto

und

Mark Knopfler

schauen im Juli in Locarno vorbei…und jetzt haben sich für den 25. Oktober auch noch

Supertramp

für einen Gig in Zürich angesagt.

Und: Am 12. November rocken

Deep Purple

Huttwil in Grund und Boden

(für spätere Historiker: so

sah das Dorf vorher aus).

Die schlechte Nachricht: Dann muss ich arbeiten.
Die gute: Die Arbeit besteht darin, für die BZ über das Konzert der alten Jungs zu schreiben.

Die ewigen Sieger

Wer auch immer heute Abend in Oslo gewinnt – in der Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson Eurovision Song Contest gibt es seit dem 6. April 1974 auf immer und ewig und darüberhinaus nur einen Gewinner:

Und so war das damals, in jener magischen Nacht in Brighton:

Wenig später liess am Pophimmel ein neuer Stern alle anderen verblassen.

See that girl, watch that scene:

Bildlich gesprochen

Vorhin, in der „Metzgere“: Ein Mann mittleren Alters sagt zu seinem Kollegen, seine Freundin habe ihn zusammengeschissen, weil er(!) sich drei Paar Schuhe gekauft hat.

Daraufhin überlegte ich mir, was genau das eigentlich bedeutet: jemanden zusammenscheissen.

Eine grobe Vorstellung konnte ich mir schon machen. Sicherheitshalber warf ich zuhause trotzdem noch die Internet-Suchmaschine an  – et voilà:

Ich werde den Begriff „zusammenscheissen“ nur noch sehr, sehr zurückhaltend verwenden.

Damals, im Sommer

Vier Wochen lang gab es von Mittag bis Mitternacht nichts als Fussball, Fussball und Bier ohne Ende: Zwischen dem 8. Juni und dem 8. Juli 1990 sass ich wegen der WM in Italien ununterbrochen in der Gartenwirtschaft des Restaurants Schützenhaus in Reinach und schaute mir mit Adrian Krenn, dem Freund der Wirtin Annemarie Gloor, die Augen wund.

Aus jedem zweiten Auto, das neben uns am Waldrand vorbeifuhr, dröhnte „Un estata italiana“ von Gianna Nannini und Edoaro Bennato.

Meist waren wir alleine. Die anderen Leute hatten Gescheiteres zu tun, als stundenlang mit anderen vor dem TV in der Beiz zu sitzen. Der Begriff „Public viewing“ existierte noch nicht. Grossleinwände gab es nur im Kino. Dass die Menschen ihre Telefone dereinst in der Hosentasche mitführen würden: undenkbar. Internet? Zukunftsmusik. Wer wissen wollte, was von wem gegen wen wie gespielt wurde, guckte unbehelligt von Werbepausen fern, las eine der vielen, vielen Bezahlzeitungen oder hörte Radio.

Roger Milla, Rudi Völler, Frank Rijkaard, Marco van Basten, Salvatore Schillaci, Ruud Gullit: Das sind die Namen, die mir beim Stichwort „Italia 90“ spontan in den Sinn kommen. Und jener von Franz Beckenbauer natürlich, der nach dem deutschen 1:0-Sieg im Finale gegen Argentinien sagte, jetzt sei (das soeben wiedervereinigte) Deutschland „über Jahre hinaus nicht zu besiegen“. Diese Bemerkung geisselte ich mit einem gehässigen Kommentar im Wynentaler Blatt; ob Beckenbauer meine Kritik je wegstecken konnte, habe ich nie erfahren.

Es war ein – wie mir damals schien – unendlich langer und unfassbar schöner Sommer.

Wenig später war Adrian tot. Annemarie gab das „Schützenhaus“ auf und verschwand von meinem Radar. Ich habe keine Ahnung, was aus ihr geworden ist.

Fussball-Weltmeisterschaften waren für mich nachher nie mehr dasselbe. Natürlich: Das Spiel fasziniert mich nach wie vor. Und ja: Ich mag den Deutschen immer noch jeden Gegentreffer und jeden Bänderriss gönnen und klar: Die Brasilianer sind die Besten, mit Abstand, vor allen anderen Südamerikanern und den Portugiesen.    

Aber der Zauber – der ganz grosse Zauber ist verflogen. Fussball ist zu einem jederzeit überall konsumierbaren Produkt geworden; wenn ich will, kann ich mir auf meinem Handy in diesem Moment die Aufzeichung eines Spiels in Weissrussland anschauen. Oder die Wiederholung des WM-Achtelsfinals in Italien.

Nur: Ohne Adrian und sein „gib en use! Gib en doch use!!“, ohne Annemarie und ihre Pommes-Frittes, ohne den alten Fernseher in der Laube und ohne dieses eine Lied, das in dreieinhalb Minuten zusammenfasste, was Millionen Menschen wochenlang fühlten, fehlt einfach etwas. Die Magie. Es ist alles so beliebig geworden. So durchorganisiert. Und so selbstverständlich.