Das Wää-Buch

Der Titel war Programm: Zu ihrem 70. Geburtstag schenkte ich Mamma mia den Krimi  “Ein guter Sohn”.

Den Inhalt des Buches kannte ich nicht. Aber ich wusste, dass meine Mutter Mord- und Totschlagliteratur genauso leidenschaftlich verschlingt wie Armin Meives die Extremitäten seiner Internet-Bekanntschaften.

Wenig später erreichten mich sms, mit denen mich die Beschenkte sinngemäss dahingegend orientierte, das sei jetzt schon ziemlich Wää und kaum zum Aushalten und, kurz zusammengefasst, etwas vom Schlimmsten worüber ihre schon an allerhand gewöhnten Augen je geschweift seien. Natürlich las meine Mutter das Buch trotzdem fertig. Oder genau deshalb.

Nun habe auch ich mich durch den Roman gekämpft. Wobei: “gekämpft” trifft es nicht ganz. Die Geschichte um einen moralisch nicht übertrieben gefestigten jungen Mann, der sich an all den Menschen, die seiner Mutter Zeit ihres Lebens nicht die gewünschte Aufmerksamkeit entgegenbrachten und von ihm deshalb auf höchst unterschiedliche Weisen aus dem Weg geräumt werden, hat mir, um es zurückhaltend zu formulieren, durchaus zugesagt.

Ich mag hier nicht in die Details gehen; vielleicht lesen ja auch Kinder mit. Deshalb nur  soviel: Einer jungen Frau bricht der Junior mit einer Zange die Finger- und Fussnägel ab; dann lässt er sein Opfer im finsteren Keller verdursten. Einem Nachwuchsreporter amputiert er, auf jegliche Narkosemittel verzichtend, mit einer Motorsäge die Handgelenke und verlötet die Stümpfe mit einem Bunsenbrenner, damit der ignorante Journi nicht zu schnell ausblutet und stirbt. Einer ehemaligen Rivalin seiner Mutter stülpt er einen Plasticsack voller hungriger Maden über den Kopf.

Das alles ist sehr flott und anschaulich beschrieben, wirkt in sich logisch und liest sich in einem Schnuuz durch. Aber, eben: Ich habe das Buch ja nicht zu meinem Vergnügen gekauft.

Nach diesem Flop bin ich schon jetzt am Überlegen, was ich meiner Mutter im November auf den nächsten Geburi schenken könnte. Mein Mailfach ist ab sofort für Tipps geöffnet.

Ich rate dringend, der Angelegenheit die nötige Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen.

Nur her mit dem Russen

Ein

und

aus einem

:

Das gabs gestern bei einem befreundeten Paar in Zuchwil zum Znacht.

Darüberhinaus hatte sich der Hausherr die Mühe gemacht, einen russischen Salat zuzubereiten zu komponieren, der mit dem Zeug aus der Dose

soviel zu tun hatte wie Wladimir Putin mit der Demokratie.

Ich mag mich nicht episch darüber auslassen, wie wunderbar das und die darauf folgende Zwetschgencrème samt  Schoggitorte geschmeckt haben; es wäre sinnlos, hier zu einer Eloge über das zarte Fleisch, den den Gaumen gleichzeitig schmeichelnden und kitzelnden Fonds oder die auf den Punkt gegarten Bohnen und die perfekt durchgekochten Härdöpfel auszuholen, weil jemand, der nicht das Vergnügen hatte, dieser Offenbarung teilhaftig zu werden, ohnehin kaum nachvollziehen könnte, was ich meine; denn anders als bei Pablo Picasso oder Wolfgang Amadeus Mozart fusste der Genuss bei Benno Kislig und Susanne Weber primär auf olfaktorischen denn auf optischen oder akustischen Reizen, was es fast unmöglich macht, das Erlebnis in Worte zu fassen.

Drum, in aller Kürze: Ich war noch nie so froh über ein totes Schaf wie am Pfingstsamstag 2010.

Während mein Magen noch immer damit beschäftigt ist, all die Leckereien zu verdauen (und noch nicht weiss, dass er in wenigen Stunden erneut bis zum Rand gefüllt wird; dann mit dem tierischen Inventar eines mittelgrossen Bauernhofs), frage ich mich, wieso wir im Militär

und im Zivilschutz

immer so erbittert geübt haben, den Russen

zu bekämpfen. 

Kochen kann er jedenfalls (und schreiben auch

,

vom Tennisspielen

gar nicht zu reden, aber darum geht es jetzt nicht).

Kulinarisch, literarisch und sportlich betrachtet und beim Gedanken daran, was andere Migranten Tag für Tag ohne den Schatten eines schlechten Gewissens als Essen verkaufen, hätte man ihn ruhig hereinbitten können, statt ihn jahrzehntelang mit allen Mitteln

daran zu hindern, Schweizer Ställe, Felder und Küchen zu betreten.

Hinrichtung vor dem Prozess

Der Fall spielt(e) in Deutschland, schlug aber Wellen bis in die Schweiz: Unter dem Verdacht, sich Kinderpornos beschafft zu haben, wurde im März 2009 der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss verhaftet.  Als die Polizei die Wohnung und die Büros des Sozialdemokraten fertig durchsucht hatte, war für die Öffentlichkeit die Schuldfrage bereits geklärt. Mit einer mehr als nur merkwürdigen Informationspolitik sorgte die Staatsanwaltschaft dafür, dass Tauss beruflich und gesellschaftlich ruiniert war, bevor die Untersuchungen begannen. Eine Gerichtsverhandlung hat bis heute nicht stattgefunden. Und so lange kein rechtskräftiges Urteil vorliegt, gilt für Tauss, was für jeden anderen Angeklagten – eigentlich – auch gilt: die Unschuldsvermutung.  

In einem 23seitigen Armutszeugnis für manche Akteure aus der Justiz, der Politik und dem Medienbetrieb Aufsatz fasst Tauss‘ Verteidiger die Ereignisse aus der Sicht des Betroffenen zusammen.

(Wer glaubt, dass Vergleichbares in der Schweiz nicht passieren könnte: so kann man sich täuschen.)

Nachtrag 25. 5.2010: Inzwischen hat der Prozess begonnen. Und wie.

Nachtrag 28. 5.2010: Das Gericht verurteilt Tauss zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten. Der Angeklagte habe „viele Grenzen überschritten„, heisst es in der Begründung.

Alicia ohne Keys zu den Herzen

Auf der Grossleinwand sind Langstreckenraketen,  stilisierte Vögel, Minenfelder, Sterne, Stacheldraht, Mahatma Gandhi, Kampfflugzeuge, Prinzessin Diana, Atompilze, John F. Kennedy, Nikita Chruschtschow und andere tote Polit- und Gesellschaftsgrössen zu sehen. Was die Bilder miteinander zu tun haben, erschliesst sich nicht jedem im Publikum auf Anhieb.

Erahnbar ist: Es geht wohl um Krieg und Frieden und Leben und Tod und die Liebe und den Glauben und überhaupt: das grosse Ganze. Das ist, als Beilage zu einem Popkonzert, ziemlich mastige Kost.

Mit einer genauso grossen Kelle richtet Alicia Keys ihr musikalisches Menü für diesen Montagabend im Zürcher Hallenstadion an.  Wer sich auf ein Rendez-vous mit der „Frau am Flügel“ gefreut hat, wird zunächst eine halbe Stunde lang enttäuscht: Aus den Lautsprechern wummerts und krachts und donnerts und jaults mit einer Wucht, die die zwölffache Grammy-Gewinnerin aus New York beinahe begräbt. Einziger Lichtblick: „Another way to die„.

Und als endlich ein bisschen Ruhe einkehrt im nicht ausverkauften Rund: wirbt die knapp 30-Jährige für ein Kinderhilfswerk. Kaum hat sie ihre Botschaft verkündet, leuchten über der Bühne die Worte „Change“ und „Hope“. Auch das wirkt wieder furchtbar wichtig und ernst und bedeutungsschwanger und passt immer noch nicht zu dieser Unterhaltungs-Veranstaltung. Politisch-religiöse Statements und Rockmusik: das funktioniert, wenn der Verkünder Bono heisst oder Bob Dylan oder Neil Young oder  – mit Abstrichen – Bruce Springsteen. Aber sonst? Hm.

Erst in der zweiten Hälfte des Gigs besinnt sich Alicia Keys auf ihre Stärke: Fast ganz alleine mit sich, ihrer wunderschönen Stimme und den schwarzweissen Tasten, zeigt sie, wozu sie fähig wäre, wenn ihr nicht allpott ein übermotivierter Gitarrist mit einem uninspirierten Solo in die Parade fahren würde und man den ganzen Weltverbesserungsschnickschnack und den Gschpürschmizuckerguss von Anfang an weggelassen hätte. „Try sleepin‘ with a broken heart„: zum Niederknien schön. Aber jetzt ist es zu spät. Unter all dem musikalischen und politischen Krempel, den wer auch immer auf ihre Songs gekippt hat, findet Alicia die Keys zu den Herzen ihrer Fans heute nicht mehr.