Abschied von der Homeoffinsel

Sonntag, 2. Mai 2021, 9.05 Uhr

Im Flughafen von Las Palmas schwebe ich zwischen den Zeiten und Welten. Ich bin nicht mehr in Playa del Inglés und noch nicht in Burgdorf. Das ist, irgendwie, ein angenehmes Gefühl. Und eröffnet gewisse Perspektiven:

Ich kann mich entweder gleich vor den Boardingschalter stellen, einsteigen und gegen Abend nach Burgdorf zurückkehren. Dort siehts wettermässig immer noch aus wie Ende Januar, als ich vor dem Schweizer Winter in den kanarischen Frühling flüchtetete, wie mir heute Morgen kundgetan wurde:

Ebensogut könnte ich aus dem Gebäude laufen, mich von einem Taxi in ein Dörfli im Inselinneren bringen lassen und unter falschem Namen ein Zimmer mieten. Die nächsten Wochen würde ich damit zubringen, meine digitalen Spuren so zu verwischen, dass mich niemand mehr findet. Dafür gibt es Gebrauchsanweisungen und Büros.

Bis Ende Juli, denke ich, wäre ich sozäge ein neuer Mensch, nur: genau dann zügle ich von der Oberstadt ins Flachland. Ich freue mich riesig auf mein Wohnigli fast im Grünen mit einem Bächli daneben und auch sonst fast allem in der Nähe, was ich brauche:

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Vor der Küste Gran Canarias zeichnet eine holländisch-italienische TV-Produktionsfirma seit ein paar Wochen eine Realityserie auf. Sie beruht laut meinem Gewährsmann von der Rezeption auf dem „Bachelor“-Prinzip, nur tun junge Frauen auf einem Schiff statt in einem feudalen Anwesen, als ob sie die kommenden plusminus 60 Jahre mit einer intellektuell nicht bis zum Anschlag getunten, dafür aber auf Hochglanz polierten Kunstfigur verbringen möchten.

Die vom Subjekt ihrer gespielten Begierde entsorgten Silikonkurrentinnen werden bis zur ihrer Heimreise für einen Tag und eine Nacht in dem Hotel zwischengelagert, aus dem ich vor einer Stunde ausgecheckt habe. Eine nach der anderen darf sich dort im Whirlpool planschend und an Prosecco nippend von den Strapazen auf der Yacht erholen.

Die Freiheit hat allerdings Grenzen (oder, für querdenkende: die Frauen sind sämtlicher Grundrechte beraubt). Mit einem Handyverbot verhindern die Macher der Show, dass die ehemaligen Instantpromis in spe die Lieben daheim und die Livetickernden in den Redaktionen brühwarm über den Fortgang des Selektionsverfahrens updaten können.

Eine Anstandsdame (im roten Bikini) achtet wie eine Häftlimacherin auf die Einhaltung dieser Regel, was immer wieder zu, nunja, „Dialogen“ führt, die sich auch William Shakespeare nicht dramatischer hätte ausdenken können.

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Kurz vor Schluss – die Antworten auf die drängendsten Fragen von Leserinnen und Lesern:

  1. Ja, das Auto ist verkauft.
  2. Nur selten; im Wasser wars zu wellig und am Strand zu windig.
  3. 29 Kilo (gemäss der Hotel-Gepäckwaage).
  4. Seit Beginn der Pandemie: 21 500 Fälle. Aktuell krank: 1050. Verstorben: 250. Die 7 Tages-Inzidenz liegt bei 36.
  5. Nein. Die gängigen Fremdsprachen genügen zum Durchkommen.
  6. Hier, mit allem.
  7. Als ich ihn Anfang April noch einmal sah, ging es ihm prächtig.

8. Stand jetzt: im Januar 2022, wieder für drei Monate oder so.
9. Kein Kommentar.
10. In einem Appartment. Die Grenzen zum normalen Zimmer verschwammen jedoch nadisna.
11. Das ist das nächste Projekt. Schön wärs. Mit dem Alk hats ja auch geklappt.
12. Oh, nein.
13. Zweimal täglich, je nachdem dreimal.
14. Wenn, dann nur Poulet.
15. Nicht in diesem Leben und auch nicht im nächsten.

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Im Hospital San Roque in den Hügeln von Maspalomas musste ich mich gestern Nachmittag auf Covid-19 checken lassen. Dort angekommen, dachte ich erst, guet Nacht am Sächsi: Einheimische und Touristen, Nervöse und Coole, Beflipfloppte und Bewanderschuhte, Teenager und Rentner, Hippies und Krawattenträger, Bleiche und Braune sowie sich jeglicher Schubladisierung entziehende Angehörige der LBGQRSTUVWXYZ-Community bildeten eine Kolonne, die keinen Anfang und kein Ende zu haben schien.

Doch statt meine gute Laune innerthalb weniger Minuten zu Tode zu würgen, bescherte mir die Schlange drei überraschend kurzweilige Stunden. Niemand drängelte, niemand meckerte, niemand telefonierte mit dem Anwalt. Wildfremde erzählten sich Witze, berichteten einander, was sie in den Ferien erlebt haben und tauschten kurz vor der Heimreise Restauranttips aus.

Wer den Wartesektor verliess, um bisle zu gehen oder den Nikotinhaushalt zu regeln, durfte sicher sein, dass sein oder ihr Platz freibleiben würde.

Step by step, one by one (Quelle: „Jacob’s Ladder“ von Bruce Hornsby; die Coverversion von Huey Lewis & The News hat aber mehr Pfupf, was sich Mygottstüüri nicht von jeder Coverversion sagen lässt) gings vürschi zum Anmeldungskabäuschen und dann ab in die Praxis zum Nasenbohren.

Spätestens beim Verlassen der Klinik dürfte der eine und die andere gedacht haben: Pandemiebekämpfungsmassnahmen und zivilisiertes Benehmen: geht doch!

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Und damit: zurück in den Aeropuerto. Die Aussichtsplattform ist wegen des allgemeinen Rauchverbots geschlossen. Vor manchen Boutiquen sind die Rollläden unten. Im Lautsprecher des Dutyfree-Shops lief vorhin ein Lied, das ich noch nie gehört hatte und mit nach Hause nehme.

Mit Musik, die man sich im Ausland als Souvenir einpackt herunterlädt, verhält es sich allerdings oft wie mit einem Gewürz, das man in exotischen Gefilden kauft, oder einer Romanze, die man in, sagen wir, Jesolo mit einer deutschen Zeltnachbarin während der ersten elternfreien Ferien anteiggt: Im heimischen Alltag verpufft der Zauber des Fremden schnell.

Nichtsdestotrotz: Herzliche Grüsse an die Höllenwaldstrasse in Siegen!

Jesolo – soviel Zeit muss einfach noch sein – liegt bei Riccione, und wann, wenn nicht jetzt, ist die Gelegenheit, um eine der fägigsten Bands, die unser südliches Nachbarland je hervorgebracht hat, einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen?

„Wenn Sie keine falsche Angst vor sonnenbebrillten Italienern haben, die beim Herumhantieren mit abgewichstesten Hochglanzpop-Versatzstücken keinen hymnischen Refrain liegen lassen können, dann sind Sie hier goldrichtig“, schwärmte Eric Pfeil in seinem immer lesenswerten Pop-Tagebuch im „Rolling Stone“- et voilà:

Auf der Anzeigetafel rattern die Buchstaben und Zahlen. Ich muss zum Gate C13. Um 10.20 Uhr hebt LX 8201 von LPH nach ZRH ab.

Nun denn: Adios, oficisola. Te veo pronto.

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Auf der Homeoffinsel (55)

Sonntag, 18. April 2021, 6.10 Uhr

Ich möchte gerne etwas loswerden, was mir gar nicht gehört: Eine Bekannte trennt sich von ihrem Peugeot 207 cc. Das schicke Cabrio ist acht Jahre jung, hat 155 000 Kilometer Erfahrung und wurde im März 2020 auf Kolben und Achsen geprüft. Als Verkaufspreis schweben der Noch-Besitzerin 5500 Franken vor. Wer sich für das Wägeli interessiert, kann sich ab sofort unter +41 79 589 23 31 melden.

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Falls nicht noch ein Wunder passiert (Flugabsage wegen Passagiermangels, Ausreiseverbot dank neuer Mutante, Grounding der Swiss), heisst es für mich heute in zwei Wochen: ab nach Hause.

Vor dem Einschlafen notierte ich gestern Abend im Kopf die Gründe dafür, mich auf die Rückkehr in die Schweiz zu freuen, und jene, die eher für ein Untertauchen auf Gran Canaria sprechen würden. Obwohl ich in der Spalte „????????+“ ein halbes Dutzend Mal „Tess“ schrieb, wurde die eine Liste deutlich länger als die andere, aber ich sage nicht, welche.

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In den letzten drei Monaten bekam ich bestätigt, was ich schon vor der Abreise vermutet (und gehofft) hatte: Ob ich am Schlossfuss oder von woanders aus arbeite, spielt keine Rolle. Das einzige, was ich hier nicht machen konnte, waren Gerichtsberichterstattungen. Unter kaum aushaltbaren Mangelerscheinungen litt ich deswegen jedoch nur selten.

(Bild: pd)

Ich werde mit meinem Büro möglicherweise auch nächstes Jahr hier überwintern, wenn auch kaum mehr in Playa del Inglés. Mir schwebt eine kleine Wohnung in einem Bergdörfli vor, mit Schafen und Ziegen und Hühnern drumherum. Statt alle paar Meter ein Shoppingcenter gibts für die Dinge des täglichen Bedarfs nur einen Laden (und damit einen mehr als in der Oberstadt meiner Wohngemeinde), an dessen Kasse sich die Einheimischen über die Aktualitäten des Tages unterhalten. Jeden Mittwoch ist Markt mit Musik, und wenn mir am Wochenende nach Sand und Meer wäre, nähme ich den verstaubten Bus, der am Morgen an die Küste und gegen Abend zurück in die Höger hottert.

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Meine letzten zwei(?) Kanarenwochen geniesse ich im Ferienmodus. Ich werde also beim besten Willen nicht mehr dazu kommen, Tagebuch zu führen. Die Berichterstattung von der Homeoffinsel ist damit abgeschlossen.

Auf der Homeoffinsel (53)

Freitag, 15. April 2021, 6.50 Uhr

Ich war nach dem Powerbummel gerade dabei, es mir in der „Klamotte“ am Strand unten gemütlich zu machen, als sich von Südosten her ein Bleichgesicht näherte. Der plusminus 45-jährige Mann trug einen Hut und eine jener ultraschmalen Sonnenbrillen, mit denen Lance Armstrong an den Tours de France jeweils die Fenster zu seiner Seele abdunkelte. Aus dem Ausschnitt des T-Shirts quoll soviel Haar, dass ich mich fragte, ob er sich ein Murmeltierfell auf die Brust getackert habe.

Ausser dem Kellner und mir war niemand da. Der Fremde nahm am Nebentisch Platz und bestellte una Servessa. Er wirkte etwas nervös: sein rechter Oberschenkel hob und senkte sich wie das Füessli einer auf Seriefeuer gestellten Nähmaschine.

Der Kellner stellte das Bier vor ihn hin. Grazie, sagte der Gast, und nahm einen grossen Schluck. Es folgte, was immer folgt, wenn Leute den ersten Schluck Bier genommen haben: ein geniesserisches „Aaah“ und das Abwischen des Mundes mit jener Hand, die nicht das Glas hält.

Dann schaute mein Nachbar zu mir hinüber.

(Beim nächsten Satz wird die Fangemeinde von Rosamunde Pilcher juchzen.)

Als sich unsere Blicke kreuzten, schenkte er mir ein schüchternes Lächeln. Wenig später teilte er mir mit, wie schön es hier doch sei und wollte er wissen, ob ich schon länger auf der Insel lebe.

Ich erwog kurz, eine akustische Mauer aus solidem Schwermetall zwischen ihm und mir hochzuziehen. Nach einem diskreten Hinweis aus jenem Bereich des Gehirns, in dem der Anstand seiner Arbeit nachgeht, liess ich die Airpods aber auf dem Tisch liegen.

Stattdessen beantwortete ich die zwei Fragen mit je einem knappen „Yup“ in der Annahme, damit hinreichend zu signalisieren, dass ich nur sehr peripher an einer Konversation interessiert sei. Daraufhin breitete der Mann sein komplettes Leben vor mir aus:

Geboren und aufgewachsen in einem Kaff an der belgisch-deutschen Grenze, ein Bruder, eine Schwester, Vater früh auf Nimmerwiedersehen verschwunden, Mutter allesimgriffhabend, Medizinstudium (abgebrochen)–> dies und das (Mc Donald’s, Pizzabote)–> Lehrer–> IT, freiberuflich, seit ewig wohnhaft in Kriens, geschieden, zwei erwachsene Kinder, spätes Outing, Wetter, Fasnacht, Einkaufstourismus, Armin Laschet, Billigflüge, Nikotinpflaster, Öffnung der Terrassenbeizen, Grossraumbüros, Medien, Onlineshopping, FC Zürich: Ohne Punkte und Kommas legte er mir in seinem Mischmaschdialekt dar, was ihn jemals beschäftigt hatte, was ihn heute umtreibt und was ihm im Hinblick auf die Zukunft Sorgen bereitet.

In seine Ausführungen flocht er mehr oder weniger raffiniert ein, dass er diese „Unterhaltung“ eigentlich lieber an einem ruhigeren Ort als in einer Beiz führen würde. Trotzdem fühlte ich mich von ihm nicht bis über die Grenze des gerade noch Erträglichen hinaus belästigt. Ich war jedenfalls noch ein ganzes Stück davon entfernt, meine Kontaktfrau bei der #MeToo-Hotline zu alarmieren.

Der Küchentischpsychologe in mir diagnostizierte jedoch Bemerkenswertes. Zusammengefasst lief sein ad hoc-Gutachten darauf hinaus, dass es sich bei diesem Zeitgenossen um einen sehr einsamen Menschen handeln muss, der im verzweifelten Bemühen um einen wie auch immer gearteten Kontakt jeweils so lange an anderer Leute Nerven herumsägt, bis sie aus lauter Mitleid chly Zeit mit dem armen Teufel verbringen.

Oder aber (und wahrscheinlicher): zahlen und gehen, obwohl sie erst damit begonnen hatten, die Aussicht auf das in der Sonne glitzernde Meer und den blauen Himmel zu geniessen und ungeachtet der Tatsache, dass vor ihnen noch ein halber Liter agua con gas vor sich hinperlt.

Während ich hastig Münz aus dem Portemonnaie klaubte, riet mir der Experte, dem ewigen Single in spe im Sinne eines emotionalen Entgegenkommens wenigstens ein Lied zu widmen, was ich selbstverständlich gerne tue:

Auf dem Rückweg kam ich an einem Haushaltwarengeschäft vorbei. Beim Anblick der Messer im Schaufenster realisierte ich, welcher Gefahr ich möglicherweise gerade entronnen war.

In den Handbüchern von FBI-Profilern drehen sich zig Kapitel um Leute, die schon im Laufgitter die Hamster der Geschwister mit Frauenfürzen sprengten, um das ständig anderweitig beschäftigte familiäre Umfeld auf ihre sozialen Defizite hinzuweisen zu versuchen.

Machte sich der Vater meines neuen Bekannten – vielleicht ein Landwirt, der ahnte, was in absehbarer Zeit mit den Schafen und Kühen passieren würde – deshalb aus dem Staub?

Kurz, bevor diese Menschen konfirmiert werden, geht in ihrer Nachbarschaft ein Haus nach dem anderen in Flammen auf ausser jenem, in dem sie wohnen.

Das würde die Züglete in die Zentralschweiz erklären.

Sobald sie den Kater nach der Jungbürgerfeier ausgeschlafen haben, folgen Handtaschendiebstähle, Raubüberfälle, Vergewaltigungen (warum nicht bei Pizza-Auslieferungen?), erste Tötungsdelikte in – wer weiss? – Kriens und schwupp, geraten sie auf die schiefe Bahn.

Jede „Aktenzeichen“-Zuschauerin und jeder „Criminal Minds“-Junkie weiss: Wen die Mordlust einmal gepackt hat, sucht immer wieder nach frischer Beute; auch und ganz besonders in anonymen Gaststätten. Dort höckelt fast immer ein potenzielles Opfer, das niemand vermissen würde.

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Lesetipp (weil sich über den letzten soviele freuten): Drei superduper Bärlauchrezepte.

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Auf der Homeoffinsel (52)

Sonntag, 11. April 2021, 12.05 Uhr

Zum ersten Mal seit Wochen verbrachte ich wieder einmal ein paar Stunden am Strand. Bevor ich – maskiert – die Gestade des Atlantiks betreten durfte, musste ich in einem separaten Eggeli duschen und die Hände desinfizieren.

Jetzt weiss ich, wie sich ein Chirurg vor dem Gang in den Operationssaal fühlt, nur ohne schmachtende Anes Anem Aero Schwestern im Schlepptau.

Frisch sterilisiert machte ich mich im sanften Gegenwind, der ununterbrochen Sand auf die noch feuchte Haut blies, auf die Suche nach einem Plätz Land. Dabei trampte ich ständig in Getier, das das Meer über Nacht angespült hatte.

Alle paar Meter hielt ich inne, um einen verendeten Hering oder Pottwal zwischen den Zehen hervorzuklauben („Haben alles!“, würde der Ozean sagen, wenn er mein Inder wäre), und entsann mich der Zeiten, zu denen Mitarbeiter des Bauamts die Playa von Maspalomas mit Wüschscherli und Schüfeli regelmässig von Unrat befreiten. In ihren gelb-grünen Overalls gehörten sie zum Küsteninventar wie die schwarzen Brillenverkäufer und die roten Blüttler.

Aber äbe.

Der kilometerlange Streifen, auf dem Touristinnen und Touristen sich vor zwei Jahren noch dreilagig aufeinandergestapelt von den Mühen des Alltags erholten, war menschenleer.

Die bunten Liegen? Verschwunden.
Die Beizli? Geschlossen.
Die Hochsitze für die Lebensretter? Verwaist.
Das Reden und Lachen? Verstummt.

Doch in dem Moment, in dem ich zu glauben begann, das einzige Lebewesen auf dem Planeten zu sein, bemerke ich, dass sich in den Dünen etwas bewegte.

Auf den ersten Blick schien es, als ob ein Skelett an unsichtbaren Fäden in die Höhe gezogen würde. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich: da ist mehr Fleisch an den Knochen als vermutet.

Ich spazierte weiter zum Leuchtturm. Eine Stunde später war der Mann, wie im Boden festgeschraubt, immer noch da.

Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte: Einer der meistfrequentierten Strände der Welt ist zum Meditationsort geworden.

☀️☀️☀️

Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt.
Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt.
Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt.
Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt.
Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt.
Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt. Das wärs jetzt.

Wobei: was heisst „wärs“? Das kann ich haben, keine 100 Meter von hier. Ich gehe mal schauen, ob noch etwas da ist.

☀️☀️☀️

A propos „Meeresfrüchte“: Ich muss langsam meine Sommerferien planen. Die Ansprüche liegen ja nicht unerreichbar hoch oben: chly Sonne, chly Wärme – froh zu sein, bedarf es wenig, ganz besonders eingedenk all der Fragen, die sich der Menschheit dieser Tage in höchster Dringlichkeit stellen:

Heute in drei Wochen bin ich wieder in Burgdorf, ämu theoretisch. Einige Botschaften, die mir von dort aus in den letzten Wochen übermittelt wurden, veranlassten mich bisher nicht dazu, vibrierend vor Vorfreude meine Siebensachen zu packen.

Und, wer weiss? Falls am 2. Mai genügend wenige Leute in die Schweiz zurückreisen wollen, verschiebt die Swiss den Flug den Steuerzahlenden und der Umwelt zuliebe ja auf irgendwann später. Je nachdem sässe ich dann für eine ganze Weile auf Gran Canaria fest.

Was für eine albtraumhafte Vorstellung.

☀️☀️☀️

Lesetipp: Über „das Glück, mit den richtigen Songs unterwegs zu sein„.

Auf der Homeoffinsel (51)

Freitag, 9. April 2021, 12.05 Uhr

Es regnete, stundenlang. Also tat ich, was ein Mann in einer solchen Situation eben tun muss: Ich suchte online nach Informationen zum Thema „Vereinsrecht“. Irgendwie kam ich dabei vom Weg ab, und während ich mich durch das Gestrüpp des Auchnochlesenswerten klickte, stolperte ich über ein Interview mit Herbert Feuerstein.

Darin sagte der 2020 verstorbene letzte Grossmeister des hintergründigen Humors: 

„Ich habe kein Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen, weil die Spuren letzten Endes auch vollkommen bedeutungslos wären. Das ganze Leben besteht ja nur aus einer Illusion der eigenen Wichtigkeit, wahrscheinlich könnte man sich selbst sonst auch gar nicht ertragen. Alle Leute gehen durchs Leben und denken, sie müssten beachtet werden. Manche machen darum auch noch grossen Wirbel, damit es ein bisschen mehr auffällt. Aber am Ende ist das alles so unglaublich bedeutungslos, weil die Welt einfach aus sozialem Lärm besteht. Wir sind alle unvollkommene Nichtse – und damit müssen wir uns abfinden. Ich würde mir jedenfalls nicht anmassen zu sagen: ‚Menschheit, hier sind meine Fussabdrücke, schaut sie euch an und lernt daraus.'“

(Das ganze Gespräch kann hier nachgelesen werden.)

Überhaupt, das Leben: es ähnelt mit seinen unentwirrbar verwobenen Handlungssträngen und seinen gspässig Darstellerinnen und Darstellern mehr und mehr dem Film „E la nave va“. In diesem Werk von Federico Fellini fährt eine Gruppe von bizarren Menschen auf einem Boot ins Leere (oder, je nach Interpretation: in den Krieg, was aber irgendwie auf dasselbe hinausläuft).

Als ob es in ein Kriegsgebiet unterwegs wäre, sah auch das Schiff aus, das gestern Abend vor Maspalomas kreuzte: grau und gross und irgendwie gfürchig. Das sei nichts Besonderes, sagte ein Kellner, sondern nur die Küstenwache.

Sie markiere wieder einmal Präsenz, um ein Desaster wie vor anderthalb Jahren zu verhindern. Damals landeten über Wochen hinweg Zigtausende von Flüchtlingen auf den kanarischen Inseln.

Weil niemand wolle, dass sich der nur gut 100 Kilometer von Westafrika entfernte Archipel weiter zu einem Migranten-Hotspot entwickle, würden die Behörden den Atlantik regelmässig nach verdächtigen Kähnen absuchen, fügte der Mann an.

Die Tagesschau der ARD berichtete neulich, auf den Kanaren gehe „die Furcht vor einem ‚zweiten Moria'“ um. Der Staat mietete im November Hotels und Bungalows an, um 6000 Flüchtlinge unterzubringen. „So haben die Angestellten wieder Arbeit und die Migranten eine sichere Unterkunft“, sagte die Migrationsbeauftragte der Regierung gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Diese Menschen haben Schlimmes durchgemacht, warum sollten sie nicht in einem Hotel ausruhen dürfen, das (wegen Corona) ohnehin leer steht?“

Die Bürgermeisterin von Mogán – das Städtchen liegt einen Steinwurf von Playa del Inglés entfernt – befand jedoch, „wir können nicht zulassen, dass Gran Canaria ein Gefängnis wird, ein Lampedusa oder ein Lesbos“, und verlangte, dass Hoteliers, die Migrantinnen und Migranten aufnehmen, mit 300 000 Euro gebüsst werden.

Ich habe von alldem noch nichts mitbekommen, aber das ist wenig erstaunlich: ich befinde mich in einer anderen Welt.

In meiner Welt flüchten rundum doppeltversicherte Leute 4000 Kilometer weit vor geschlossenen Restaurants und Fitnesstudios in geöffnete Strandbeizen und an Hotelpools (oder, ja: aus schneeumwehten Homeoffices in sonnenbeschienene).

Nur: Vor den Sorgen, die sie zuhause nicht einschlafen lassen, gibt es für manche von ihnen auch hier kein Entrinnen. Am Nebentisch empören sich in diesem Moment zwei Paare aus der Schweiz darüber, wie traumatisierend es für Kinder sein müsse, zweimal pro Woche in Covid-Testbecher zu spucken.