Auf der Homeoffinsel (20)

Samstag, 20. Februar 2021, 12 Uhr

Immer, wenn ich auf meinen Morgenspaziergängen diesen Mann sehe, weiss ich: Sisyphos lebt.

Jeden Tag geht er in seinem gelbschwarzen Gwändli durch die Dünen von Maspalomas. Unterwegs sammelt er ein, was die Leute in den letzten 24 Stunden liegenliessen.

Er gehört zu einer siebenköpfigen Equipe, die das Naturschutzgebiet im Auftrag der Umweltbehörde und der Stadt pflegt. Weiter achten 6 sechs „Agenten“ – darunter auch Polizisten – darauf, dass niemand die für die Öffentlichkeit abgesperrten Bereiche der sich über 400 Hektar erstreckenden Sandlandschaft betritt.

Getränkedosen, Sonnenbrillen, Papierfetzen, Plastikgeschirr, Zigarettenpäckli, Sonnencrèmetuben, Konservenbüchsen: das alles und noch viel mehr hebt der Mann mit seinem Kescher auf und kippt es in den Sack.

Dann marschiert er zu seinem Lieferwagen, wuchtet seine Funde auf die Ladefläche, nimmt einen neuen Beutel aus der Fahrerkabine…und geht zurück in die Wüste, um für genau solange für Ordnung zu sorgen, bis gleich die nächsten Touristen anrücken.

Falls ich jemals auch nur ein bisschen die Freude an meinem Job verlieren sollte, würde ich an diesen Mann und seine Kollegen denken.

Auf der Homeoffinsel (19)

Freitag, 19. Februar 2021, 5.15 Uhr

Für das Radio Argovia stand diese Woche im Zeichen des Home Office. So kam es, dass eine gebürtige Emmentalerin von Aarau aus einen gebürtigen Aargauer aus Burgdorf anrief, der seinen Arbeitsplatz vorübergehend nach Gran Canaria verlegt hat, um sich bei ihm danach zu erkundigen, was er auf der Insel so treibt:

Auf der Homeoffinsel (18)

Donnerstag, 18. Februar 2021, 7 Uhr

Heute mache ich frei. Sobald die Sonne aufgegangen ist, miete ich ein Bike und radle chly durch die Berge im Hinterland von Playa del Inglés. Meine Wetter-App sagt laue Lüftchen bei plusminus 20 Grad voraus. 80 bis 100 Kilometer müssten also drinliegen.

Die wild-karge Schönheit der Landschaft jenseits der zugebauten Zentren imponierte mir schon vor anderthalb Jahren, als ich mit meinem Freund Martin über den fast 2000 Meter über Meer gelegenen Pico de las Nieves zur Nordküste der Insel autofuhr. Obwohl wir nur wenige Stunden unterwegs waren, erschien uns der Ausflug wie eine Reise in eine andere Welt.

Wenn ich mich gerade so an jene Ferien erinnere: Einmal lagen wir am Pool unseres Hotels. Um uns herum fläzten sich Dutzende von Deutschen, Dänen, Holländern und Schweizern an der Sonne.

Der Reiseveranstalter Thomas Cook war damals gerade pleitegegangen, was sich auch auf die Gästezahlen in Gran Canaria auswirkte. Irgendwann sagte einer von uns beiden, „stell dir mal vor, was hier loswäre, wenn von heute auf morgen keine Touristen mehr kommen würden“.

Aber der Gedanke erschien uns zu absurd, um ihn lange diskutieren zu wollen.

Auf der Homeoffinsel (17)

Mittwoch, 17. Februar 2021, 6.35 Uhr

Im Zimmer neben mir lebt seit Sonntag ein junges Paar. Woher die beiden kommen, wie sie heissen, wohin sie nach ihren Ferien zurückkehren: ich habe keine Ahnung.

Was ich weiss, ist, dass sie ihre Unterkunft nur ungerne verlassen. Nach dem Auspacken und Einräumen planschten sie im Pool. Vorgestern schleppten sie aus dem Supermarkt gegenüber drei Plastiksäcke voller Lebensmittel und Getränke an.

Doch so selten ich den Mann und die Frau auch sehe: akustisch sind sie in meinem Leben durchaus präsent.

Zigmal frönen sie täg- und nächtlich Tätigkeiten, die einst mit „sich beiwohnen“ umschrieben wurden. Leider ist auch dieser schöne Begriff dem kollektiven Vergessen anheimgefallen. Drum, auf gut Neudeutsch: sie kopulieren.

Das geht nie emissionslos vonstatten, wobei: er ist mehr der stille Geniesser, während sie ihre Lautsprecher ab einem gewissen Punkt bis zum Anschlag aufdreht. Sallys Performance für Harry wirkt im Vergleich dazu wie eine pantomimische Einlage.

Kurz danach tappt einer oder eine der beiden zum Kühlschrank. Dann unterhalten sie sich; ob es sich bei diesen Gesprächen um Manöverkritiken oder Afterwork-Smalltalks handelt, entzieht sich meiner Kenntnis, weil ich ihre Sprache nicht verstehe. Im Hintergrund läuft meist spanischer (und gar nicht so übler) Rap-Hiphop.

Heute Morgen ist es in 1210 allerdings schon stundenlang still; to-ten-still.

Als leicht beunruhigter Nachbar frage ich mich, was man in einer solchen Situation unternimmt.

Einerseits kann niemand ernsthaft von mir verlangen, dass ich mich im 12. Stock von Balkon zu Balkon hangle, um durchs Fenster Nachschau zu halten.

Andererseits widerstrebt es mir, an der Rezeption Alarm zu schlagen. Ich bin noch ein Weilchen hier und möchte vermeiden, dass die Hotelmitarbeitenden sich jedes Mal, wenn sie mich sehen, mit einem spöttischen Unterton zuraunen, „da ist er ja wieder, unser Hysteriker“.

Muss ich also wirklich bei wildfremden Leuten anklopfen und ihnen, wenn – wenn! – sie öffnen, mitteilen, aus ihrem Schlag seien schon länger keine Bumsgeräusche mehr zu mir herübergedrungen, weshalb ich mich nur kurz erkundigen wolle, ob bei ihnen alles in Ordnung sei?

Auf der Homeoffinsel (16)

Dienstag, 16. Februar 2021, 7.30 Uhr

Zwei Wochen lang hatte ich den 12. Stock meines Hotels beinahe für mich alleine. Nun quartierte sich im Nebenzimmer ein mutmasslich frischverliebtes und entsprechend auch nachtaktives Pärchen ein. Dazu kamen eine Familie mit Kind, eine Flugzeugbesatzung aus Holland, zwei Franzosen samt Pudel und ein Mann aus dem Elsass.

Letzterer ist chly naja. Vom kahlrasierten Kopf bis zu den pedikürten Füssen vor Kokosöl glänzend, okkupierte er in der Openairbeiz gestern Mittag den Platz mir gegenüber, obwohl ich erkennbar nichtangesellschaftinteressiert vor dem aufgeklappten Laptop höckelte und nebenan Dutzende von Stühlen frei waren.

Eine geschlagene Stunde lang erzählte er mir ohne Punkte und Kommas von seinen Immobilien- und Aktiendeals und davon, dass er seine Heimat schon Anfang Oktober verlassen habe, weil er „diesen Coronascheiss nicht mehr ausgehalten“ habe.

Erst sei er nach Madeira geflüchtet, wo er nacheinander zu absoluten Spottpreisen in fünf megaschicken Hotels gelebt habe. Nachdem es ihm auf der Insel zu kalt geworden sei und sich Covid-19 auch zwischen den Vulkanen vor der portugiesischen Küste immer mehr breitmache, habe er er kurzerhand beschlossen, nach Tansania auszuweichen.

Mit viel Geld fühle man sich da „wie ein König“, fuhr er, meine Ignorierbemühungen ignorierend, fort. Das Essen schmecke, wörtlich, „überraschend gut für Afrika“, und Antipandemieregeln gebe es nicht, weil die Seuche in Tansania praktisch inexistent sei (das googelte ich, noch während er darüber referierte, und siehe da).

Zunehmend von Langeweile geplagt, sei er dann Playa del Inglés weitergezogen. Eine Rückkehr ins Elsass erwäge er erst, wenn sich die Seuchenlage in der Heimat beruhigt habe. Seine Frau komme auch ohne ihn bestens zurecht, sagte er (wenn ich ihm etwas glaubte, dann das). In welche Richtung es ihn wann als Nächstes ziehe, wisse er nicht.

Wohin auch immer: hoffentlich zieht es schon bald.