Rund um den Hotelpool stehen knapp 20 Liegen. Höchstens 6 davon werden jeweils genutzt.
Trotzdem befürchtete einer der wenigen Gäste offensichtlich, den Tag im Stehen verbringen zu müssen. Und reservierte sich sein Plätzli noch vor dem Sonnenaufgang.
Aber, immerhin: ohne das Tuch mit grossen Klammern an der Lehne zu fixieren.
Mutterseelenalleine sitze ich mit dem Laptop auf den Knien und der Maske vor dem Gesicht beim Leuchtturm von Maspalomas.
Ich versuche mir vorzustellen, was für ein Geräusch die Sonne beim Untergehen machen würde, wenn sie eins mieche (Sonnenaufgang ist einfach: der klänge wie ein Zapfen, der gaaaanz langsam aus einer Flasche gezogen wird, und am Schluss, wenn der unterste Millimeter der immer heller leuchtenden Kugel über den Horizont steigt, ertönt ein Plopp).
Gleichgültig schwappt eine Welle nach der anderen ans Ufer. Abgesehen davon ist kein Laut zu hören. Hinter mir steht, wie eine Ruine aus einer fernen Vergangenheit, das Restaurant, das vor gut einem Jahr noch vom mittleren Morgen bis am späten Abend bis auf den letzten Platz besetzt war. Die unzähligen Möven, die damals kreischend über den Gästen kreisten, sind weitergezogen oder verhungert. Der Taxistand, am dem rund um die Uhr Hochbetrieb herrschte, ist leer.
Der Geruch von Sand und Salz, die kaum spürbare Brise, das fast surreal wirkende Licht über der ganzen Szenerie: die Zutaten für eine stimmungsvolle Kurzgeschichte wären vorhanden; ich bräuchte sie nur zusammenzumischen.
Aber irgendwie widerstrebt es mir, diesen Zauber mit dem Geklapper meiner Tasten zu brechen.
Lieber geniesse ich die Ruhe. In wenigen Minuten wird die Sonne verschwunden sein.
Vielleicht kann ich ja hören, wie sie im Atlantik versinkt.
Die Aufräumarbeiten gehen weiter: Seit Corona vor knapp einem Jahr ausbrach, löschte ich rund 70 Personen von der Liste meiner Facebook-Freundinnen und -Freunde. Nun spickte ich zusätzliche zwei Dutzend Online-Bekanntschaften furt vo da.
Die einen behaupten nach wie steif und fest, Covid-19 sei eine Grippe, die der Bundesrat dazu missbrauche, die Schweiz in eine Diktatur zu verwandeln.
Sie tun in aller Öffentlichkeit ihre Meinung darüber kund, dass sie ihre Meinung – ihrer Meinung nach – nirgendwo mehr kundtun dürfen.
Sie biegen sich Zahlen solange zurecht, bis sie ihre windschiefen Argumentationen behelfsmässig stützen, qualifizieren aber jede Publikation, die ihre kruden Thesen hinterfragt, als „Lügenpresse“ ab.
Sie wissen im Nachhinein alles besser, doch wenn man sie um konstruktive Ideen bittet, verfallen sie in tiefes Schweigen.
So unterschiedlich diese Menschen auch sein mögen – eines haben sie gemeinsam: mit ihnen zu diskutieren – wofür Facebook ja (auch) da ist -, bringt nichts.
Solche Leute
oder solche
und solche
brauche ich einfach nicht um mich herum, selbst wenn wir nur einen virtuellen Raum miteinander teilen.
Manchmal frage ich mich, wie es wohl sein wird, wenn wir die Pandemie halbwegs im Griff haben: bleiben diese Quer*räusper*denkenden so verblendet, verbittert und voll auf sich selber und ihre Deluxeproblemchen fixiert, oder normalisieren sie sich nadisna wieder soweit, dass man irgendwann wieder auf einer vernünftigen Basis mit ihnen verkehren kann?
Wieso ist, wo einst Humor und Hintersinn waren, soviel Hetze und Hass (wie sich das nur schon liest, dieses „Einst“; als obs vor 60 Jahren gewesen wäre)?
Die anderen teilen auf dieser Plattform kaum je eigene Worte oder Bilder, sondern beobachten immer nur, was in ihrem Umfeld so läuft.
Wenn sie alle Schaltjahre einmal doch aktiv werden, stellen sie einen aus dem Netz geklauten Gedanken
(das ist quasi das Ur-Sprüchli)
oder die neuste Videobotschaft eines freischaffenden Podologen aus Gelsenkirchen auf ihre Seiten.
Dieser Mann kennt jemanden, der einen Cousin hat, dessen Sohn einmal beinahe mit einer Medizinstudentin hätte ausgehen können, und weiss deshalb Bescheid über die Viren und das Desinfiszieren und alles (nächste Woche auf diesem Kanal: weshalb die Mainstream-Medien sich weigern, über die sicher nicht zufällige Tatsache zu berichten, dass „Regierung“ und „R-Wert“ mit demselben Buchstaben beginnen. Spoiler: weil Chefredaktorin Angela Merkel das so will).
Alain Berset sprach im Zusammenhang mit den Covid-Mutationen von einer „Pandemie in der Pandemie“. Ich entdeckte hier gerade den „Abstand im Abstand“: aus 4000 Kilometern Entfernung fiel es mir noch leichter, gspässig-gfürchige Typinnen und Typen loszuwerden, als es mir zuhause gefallen wäre.
Von wo aus ich diese Zeitgenossinnen und -nossen aus meinem Leben putzte, dürfte für die Betroffenen keine Rolle spielen. In ihren mit Verschwörungstheorien zutapezierten geistigen Tunneln bekommen von der Aussenwelt ohnehin kaum noch etwas mit.
Abgesehen davon gilt, was Miguel, einer der drei Männer von der Rezeption, sagte, als ich mich mit ihm über das Virus und dessen Auswirkungen auf Gran Canaria im Allgemeinen und ihn persönlich im Besonderen unterhielt.
„Weisst du, was das Gefährlichste an Corona ist?“, fragte er.
„Das hier“, antwortete er sich selber, und zeigte auf sein Handy.
Zu meinen Stammkunden gehört die Minigolf AG in Burgdorf . Seit Andrea Huber und Fredi Ursprung die Anlage am Einschlagweg vor anderthalb Jahren übernommen und rundumsaniert haben, kümmere ich mich um deren Facebook– und Website.
Ich hatte mich – wenn auch mit gedrosseltem Optimismus – darauf gefreut, ihren Gästen in diesen Tagen online mitzuteilen, dass sie sich vom 1. März an wieder in ihrem „Spielparadiesli“ tummeln und im Bistro etwas trinken oder einen Snack geniessen können.
Doch daraus wird – coronabedingt – möglicherweise nichts. Noch ist offen, was genau der Bundesrat meint, wenn er am 1. März nebst Läden, Museen und Lesesälen von Bibliotheken auch die Aussenbereiche von Zoos, botanischen Gärten sowie Sport- und Freizeitanlagen öffnen will.
Zumindest für mich besteht in dieser Hinsicht keine Ungewissheit: obwohl auf Gran Canaria covidschutzmassnahmentechnisch ein strengeres Regime herrscht als in der Schweiz, sind die Minigolfanlagen in Playa del Inglés für jedermann und -frau zugänglich.
Ich werde an den Feierabenden also immer mal wieder ein Ründeli drehen und mich soweit in Schuss halten, dass ich nach meiner Rückkehr Anfang Mai fast ohne Trainingsrückstand in den dann hoffentlich wieder laufenden Spielbetrieb einsteigen kann.
Nachtrag 25. Februar: Die Burgdorfer Minigolfanlage wird am 3. März unter Auflagen wiedereröffnet.
Immer wieder fegten gestern heftige Winde über die Insel. Sie pusteten einen Teil meiner Garderobe vom Balkongeländer in den Norden von Playa del Inglés.
Also zog ich heute Morgen los, um Nachschub zu besorgen. Aufs Geratewohl hin betrat ich einen Laden, der von aussen nicht nach Holzkamelen und Ayurvedasalben aussah.
Auf den Regalen war unsortiert aneinandergereiht, was der Mensch zum Leben braucht: Plastikhaie, Handyhüllen, Brillen, bemalte Muscheln, Räucherstäbchen, penisförmige Flaschenöffner, Elektrokrimskrams, Gummiseesterne, Nackenstützen, Bierhumpen, Zahnpastatuben, Holzkamele und Ayurvedasalben.
Beim Eingang döste ein Mann vor sich hin. Als er realisierte, dass ein potenzieller Kunde in seinem Geschäft stand, schoss er von seinem Klappstuhl auf, als ob ihm von hinten jemand „Alahu akbar!“ ins Ohr gebrüllt hätte.
Nachdem er sich gefasst hatte, begrüsste er seinen zweifellos ersten Gast des Tages (oder der letzten Wochen?) nach allen Regeln der indischen Kaufmannskunst.
„Ello, my friend!“, sagte er, und deutete eine Verbeugung an. „So happy to see you. You here before? You here before!“
„Hello“, sagte ich. „I…“
„Tserman?“, begehrte er zu wissen. „Inglis? Deuts?“
„Das spielt keine Rolle. Whatever you like.“
„Tserman gutt. Was wollen?“
„Haben Sie T-Shirts ohne Ärmel?“
„Du warten“, sagte der Mann, und verschwand durch eine Türe.
Ich wartete.
Und wartete.
Und wartete.
Aus dem Nebenraum vernahm ich leises Stöhnen, Scharren und gelegentlich ein unterdrücktes Fluchen.
Schliesslich kam er wieder zum Vorschein. Er trug zwei aufeinandergestapelte grosse Schachteln vor sich her. Schnaubend stellte er sie ab.
„Hier alles“, sagte er. „Du gucken.“
Ein Leibchen nach dem anderen zupfte der Mann aus den Kartons. Wenn er eines zutageförderte, das mir seiner Ansicht nach gefiel, packte er es aus, riss es aus der Hülle, faltete es auseinander, hielt es kurz vor mich hin und legte es feierlich neben die Kasse.
Als fünf Shirts beisammen waren, sagte ich, er brauche nicht länger zu suchen.
„More Farbe? Haben alle“, versicherte er.
„Super“, antwortete ich, „aber die sind perfekt“.
„Nobody perfect“, kicherte der Mann.
„Stimmt.“
„Viele Farbe“, fuhr er unbeirrt fort, und entnahm der Schachtel Shirt um Shirt. Bei der Kasse war längst kein Platz mehr. Dutzende von Leibchen stapelten sich auf dem Boden.
„Neinnein, ist gut“, sagte ich. „Nicht alles kaufen. Nicht heute.“
Der Mann kramte weiter.
Vor meinem geistigen Auge tauchte aus dem Nichts der über beide Hamsterbacken strahlende Kurt Felix auf. Entzückt sanggallerte er „Willkome bi de Verschteggte Kamera! Luegetzi, do hemmir üsi verschteggti Kamera verschteggt!!!“, und deutete, fast platzend vor Stolz, auf einen knallgelben Frisbee an der Wand. Seine Oberfläche zierte ein Smiley. In dessen Mitte klaffte ein fünflibergrosses Loch.
„Really, es ist ok“, sagte ich. „Ich nehme die hier.“
„Diese?“
„Ja, gerne.“.
Achtlos und, wie mir schien, fast chly betupft stopfte er die Ware zurück in die Box. Sekunden später tippte er süüferli Preis um Preis in einen Taschenrechner aus der vorletzten Steinzeit.
„Du lange in Canaria?“, fragte er in die plötzliche Stille hinein.
„Ja, ein paar Wochen.“
„Gutt. Wenn brauchen, du kommen.“
„Klar.“
„Ich immer hier. Oder meine Bruder.“
„Sehr schön.“
Bevor er mir vor Augen hielt, was ich ihm schuldig war, erkundigte er sich mit professioneller Beiläufigkeit, ob ich vielleicht sonst noch etwas benötige.
„Nein, danke. Nur die Shirts.“
„Jeans?“, schlug er vor.
„Nein, schon gut.“
„Kurze? Top Quality.“
„Äh…“
„Für baden?“
„Neinnein, nicht nötig.“
„Jacket? Schauen?“
„Nein, wirklich nicht. Es ist ja schön warm hier.“
„Dann alles.“
„Yep.“
„Machen 50. Sagen…45. Du Karte?“
Ich Karte.
„Mir geben.“
In diesem Moment fiel mir doch etwas ein:
„Haben Sie Socken? So ganz kurze? Für in die Turnschuhe?“