Ungeplante Mailschwetti

Ich kann nur um Entschuldigung bitten: Einige Neuabonnentinnen und -abonnenten dieses Blogs erhielten nach ihrer Anmeldung heute Morgen zig Mails, welche das System ihnen automatisch schickte, und denen die Kontaktkoordinaten anderer Leserinnen und Leser entnommen werden konnten.

Ich habe keine Ahnung, wieso das passierte. Beim grössten Teil der Registrierungen klappte offenbar alles tadellos.

Nachdem ich erste Reaktionen aus der Leserschaft erhalten hatte (siehe Bild), deaktivierte ich in den Einstellungen sämtliche Funktionen, die auch nur entfernt damit zu tun gehabt haben könnten.

Seither scheint der Fall behoben zu sein. Wenn nicht: bitte lasst es mich wissen.

Auf der Homeoffinsel (29)

Montag, 1. März 2021, 5.10 Uhr

Schlaflose Nächte haben auch ihr Gutes: Man kann vom Balkon aus beobachten, was sich während einer coronabedingten Ausgangssperre so tut.

„In XY werden die Troittoirs um 19 Uhr hochgeklappt“, heisst es über Kleingemeinden, in denen am Abend nichts los ist. Genau dasselbe lässt sich seit Monaten über meinen Wohnort auf Zeit sagen: sobald die Sonne untergegangen ist, kommt das öffentliche Leben in Playa del Inglés und Maspalomas praktisch zum Erliegen.

Um kurz nach 22 Uhr, wenn schon alle zuhause und in ihren Hotels oder Ferienwohnungen sein sollten, sind nur noch einzelne Menschen unterwegs. Dann wird es ruhig und ruhiger. Gegen Mitternacht ist ausser dem Summen eines Generators im Hotel gegenüber und dem Gezwitscher einiger Vögel nichts mehr zu hören. In fast allen Häusern sind die Lichter erloschen.

Bis gegen 1 Uhr passiert nichts, ausser, dass eine braune und eine weisse Katze miteinander über die Strasse laufen.

Dann überstürzen sich die Ereignisse: vor einem heruntergekommenen Shoppingcenter hält ein Taxi. Gleichzeitig streichen die Scheinwerfer eines Polizeiwagens über den Asphalt in einem Bungalowquartier. Vor lauter Action weiss ich kaum, wohin schauen. Das Taxi fährt los und biegt nach links ab. Die Polizei patrouilliert offenbar nur. Schüsse sind jedenfalls keine zu hören.

Um 2.30 Uhr verstummt die Maschine im Hotel vis-à-vis. Jetzt ist es wirklich totenstill.

3.10 Uhr: Ein leerer Bus rollt über die Kreuzung. Er wirkt seltsam fehl am Platze.

3.15 Uhr: Der Abfluss des nachts leeren Whirlpools 12 Stöcke unter mir gurgelt minutenlang. Wenn ich Stephen King wäre, würde ich auf der Stelle eine Kurzgeschichte über eine vollbusige Versicherungsvertreterin schreiben, die sich nach einem harten Arbeitstag in diesem Becken entspannt. Auf einmal verspürt sie einen Wirbel unter dem Hintern. Sie ahnt nichts Böses und döst weiter. Kurz darauf wird sie durch das kleine Loch im Boden rübis und stübis in die Kanalisation gerissen.

Bevor der Hauswart den Whirlie im Morgengrauen mit frischen Wasser füllen kann, muss er Blut wegfegen, Gehirnmasse herausklauben und Knochensplitterchen entsorgen. Dazu hört er Musik. Als ihm der Zufallsgenerator ein Lied von Xavier Naidoo in die Kopfhörer spült, wird ihm übel.

Ich weiss nicht, wie King immer auf solche Ideen kommt. Das ist doch einfach krank.

20 Minuten später schleicht ein Schatten über die Wand eines Ferienhäuschens neben meinem Hotel. Ich denke: hoppla, ein Einbrecher. Die Silhouette verschwindet im Dunkeln. Etwas scheppert. Wenig später höre ich hinter dem Haus ein Plätschern. Bislet der Dieb in den Garten? Wenn ja: wieviele Liter kann ein Mensch trinken? Das Plätschern kommt näher. Auf einmal sehe ich einen Mann in einer Windjacke. Er hält etwas in der Hand; einen Schlauch. Daraus spritzt Wasser. Ich kombiniere: Der Mann ist nicht zum Klauen hier, sondern zum Rasengiessen.

Gegen 4 Uhr fahren drei Taxis zum Yumbo-Einkaufszentrum. Sechs oder sieben Leute steigen ein. Ihr Lachen ist bis hierher zu hören. In mehreren Häusern wirds hell. Playa del Ingles scheint langsam zu erwachen. Ich sehe das erste Privatauto dieses Tages und weitere Taxis. Dann wieder einen Bus.

Der Gärtner hat seine Arbeit getan. Ein Bäcker parkiert vor dem Hotel. Er entnimmt seinem Lieferwagen eine Kiste und schletzt die Hintertür mit dem Ellenbogen zu. Eine junge Frau stellt ihren Roller auf dem Trottoir vor einem Mehrfamilienhaus ab. Im kalten Licht des Eingangsbereichs sucht sie nach einer Klingel. Die beiden Katzen sind wieder da. Vögel pfeifen.

In zwei Stunden wird die Sonne aufgehen. Ich denke schon lange nicht mehr ans Schlafen. Jetzt wäre es dafür sowieso zu spät.

Abgesehen davon: es war noch spannend, stundenlang nichts zuzuschauen.

Auf der Homeoffinsel (28)

Sonntag, 28. Februar 2021, 6.20 Uhr

Wie jeden Sonntag bleibe ich länger als üblich im Bett liegen, um über den Raum und die Zeit und gewisse Dinge dazwischen nachzudenken.

Gründe dafür gibt es genug. Bei zweien handelt es sich um Fotos.

Die eine

schickte mir Chantal gestern Morgen per Whatsapp.

Ich hatte keine Ahnung, an welchen Ort Tess mit ihr gerade unterwegs war, und mochte sie auch nicht danach fragen. Tess kann sich schliesslich chauffieren lassen, wohin sie will.

Ein halbe Stunde danach wusste ich es dennoch. Denn dann übermittelte mir Marvin Portmann, der Geschäftsführer des Hotels Stadthaus an meinem Zweitwohnsitz, die andere Aufnahme:

Tess war mit Chantal also nach Burgdorf gefahren, um in der ihrer Oberstadt posten zu gehen. Dort traf sie mit Marvins Sohn einen langjährigen Fan.

Ich schickte Chantal Marvins Schnappschuss sofort. Vermutlich poppte er in dem Moment auf dem Bildschirm ihres iPhones auf, in dem sie den Laden, in welchem sie einkaufen war, verliess, Marvin samt Junior sah und mit ihnen zu plaudern begann.

Als mir das bewusst wurde, begann es in meinem Kopf zu „wärche“, wie der Ämmitauer sagt, und zwar in einem Mass, dass das Gehirn mit der Arbeit bis jetzt nicht fertig wurde.

Eine Frage beschäftigt mich besonders: Wie hätte sich das vor 30 Jahren abgespielt?

Abgesehen davon, dass in dem Fall eine Primarschülerin am Steuer ihres Autos einen neben ihr sitzenden Hund fotografiert hätte, der erst in einem Vierteljahrhundert geboren würde: es wäre auch technisch und finanziell mit etwelchem Aufwand verbunden gewesen und hätte, um zumindest ähnlich zu enden, einer – eben – unheimlich anmutenden zufälligen Synchronisation des Raum/Zeit-Kontinuums bedurft, wobei selbst dann nicht gesagt gewesen wäre, dass sich die Dinge letztlich so zusammengefügt hätten, wie sie nun, 30 Jahre später, vollautomatisch miteinander verschmolzen.

(Wenn das kein simpler Satz war: was wäre dann einer?)

Chantal hätte den Film, sobald er irgendwann voll gewesen wäre, aus der Kamera genommen, zum Entwickeln gebracht und nach ein paar Tagen die Abzüge geholt. Einen davon hätte sie mir vielleicht, vielleicht aber auch nicht (Porto!), per Post nach Gran Canaria geschickt, wo ich ihn zwei Wochen oder so später erhalten hätte.

Weiter hätte Marvin am selben Morgen seinen Fotoapparat mit auf den Marktbummel nehmen und, wenn auch sein Film in 24 oder 36 bunte oder schwarzweisse Papiere verwandelt worden wäre, auf die Idee kommen müssen, mir auf demselben Weg eine Kopie der Bub-mit-Tess-Aufnahme zukommen zu lassen.

Beim Betrachten der Bilder hätte ich mich sehr über die Grüsse aus der Heimat gefreut. Zur Erkenntnis, dass sie etwas miteinander zu tun haben könnten, wäre ich aber kaum je gelangt.

Heute senden wir Fotos, die wir vor zwei Sekunden geschossen haben, mit einer so abartigen Geschwindigkeit rund um den Erdball, dass die Empfänger sie betrachten können, bevor wir unser Handy nach dem Abdrücken in der Hose verstaut haben. Wir brauchen nicht nach Adressen zu suchen, Couverts zu kaufen, Marken draufzukleben und zum Briefkasten zu laufen.

Das alles läuft, wie endlos viel anderes, praktisch von selber, und wir denken, während wir es laufen lassen, keine Sekunde darüber nach, dass alles, was wir mit unseren Smartphones, Tablets und artverwandten Gerätschaften in grösster Achtlosigkeit anstellen, vor vergleichsweise sehr kurzer Zeit bestenfalls eine Vision war und im Grunde genommen ein unfassbares Wunder darstellt.

Auf der Homeoffinsel (27)

Samstag, 27. Februar 2021, 14.30 Uhr

Wo auch immer eine Familie ihre Ferien verbringt – irgendwann wirft eines ihrer Mitglieder die Frage auf, wie „das mit der Rückreise“ laufen werde.

Das war auch heute Morgen der Fall. Ein Mann, seine Frau und ihre Tochter im Teenageralter werden Playa del Inglés am Dienstag in Richtung Düsseldorf verlassen.

Zwar ist bestimmt allen klar (und steht höchstwahrscheinlich auch in den Unterlagen), dass vom Express-Checkout über den Bustransfer zum Flughafen bis zum reservierten Sitzplatz im Flüger längst alles „in trockenen Tüchern“ ist, wie unsere Altvorderen zu sagen pflegten…aber de glych.

Die vornehme Aufgabe, diesbezüglich für Klarheit zu sorgen, kam – auch das scheint ein Naturgesetz zu sein – dem Silberrücken zu. Er ging zur Rezeption, um sich kurz bei Miguel schlau zu machen.

Darüber wisse er nichts, teilte Miguel ihm mit. Am besten wende er sich an den hiesigen Mitarbeiter des Tour Operators.

Wo er den finde, erkundigte sich der Mann.

Der Vertreter sei vorgestern, wie jeden Donnerstag, hier gewesen, um Fragen der Gäste zu beantworten und Tipps für Ausflüge zu geben, beschied ihm Miguel. Nachdem eine Stunde lang niemand um Rat nachgesucht habe, sei er wieder gegangen.

Telefonisch könne er ihn aber jederzeit erreichen, fügte er an, und deutete auf das Anschlagbrett, auf dem die Koordinaten der Niederlassung des Reisekonzerns ebenso vermerkt sind wie die Hotel-Präsenzzeiten ihres lokalen Ladenhüters.

Unverzüglich zückte der Vater sein Handy. Kaum stand die Verbindung, bat er um Papier und Schreibzeug. Ununterbrochen nickend und „ok…“, „ok…“ murmelnd, machte er sich Notizen. Offensichtlich erklärte ihm jemand den Weg.

Ich sass wenige Meter daneben in der Lounge und käfelete das Wochenende ein. Der einzige zusammenhängende Satz, der zu mir herüberdrang, war „Nö, Taxi isma zu teua“.

Wenig später verabschiedete sich der Mitvierziger mit derselben grimmigen Entschlossenheit von Frau und Kind wie weiland wohl Winkelried von Gertrud und zog vondannen.

Gegen Mittag kehrte er zu der seiner am Pool harrenden Minisippe zurück. Er schien mir erheblich an Vitalität eingebüsst zu haben.

Eine halbe Stunde lang fasste er seine Erlebnisse auf der Bürosuche kreuz und quer durch die Stadt und die Erkenntnisse, die er beim Gespräch mit dem Statthalter des Reiseveranstalters gewonnen hatte, zusammen.

To make a long story short, wie der Finne sagt: Am Mittwoch um 7.15 Uhr fahre beim Hotel ein Car vor, berichtete der Mann. Der Chauffeur werde nicht ewig warten, ermahnte er die leicht versonnenbrannte Frucht seiner Lenden. Dann gehe es ab nach Las Palmas und von dort aus um 11.05 Uhr – mit einer Zwischenlandung in Madrid – nach Hause.

Damit war alles geklärt.

Oder ämu fast alles.

Kaum hatte der Vater sich in den spärlichen Schatten einer Palme zurückgezogen, um sich dösend von den Strapazen zu erholen, rief die Mutter ihm zu, da sei noch die Sache mit den Coronatests.

Deren Resultate dürften nach der Landung bekanntlich nicht älter als 48 Stunden sein, weshalb so zeitig wie möglich ein Spital oder Arzt ausgekundschaftet und so verbindlich wie nur denkbar ein Termin fixiert gehöre.

Er werde sich darum kümmern, sagte der Mann, aber nicht heute; ganz sicher nicht heute.

„Na höa mal“, fauchte die Frau übers Wasser zurück: In Deutschland hätten sie zwei Tage auf das Testergebnis warten müssen. Sie nehme nicht an, dass „die Leute hier“ fixer arbeiten würden.

Am Montagabend müssten sie die „scheiss Papiee“ Bescheinigungen haben. Das heisse: spätestens morgen zum Checken antraben.

Für den Fall, dass ihr Gatte immer noch nicht begriffen haben sollte, dass er gerade einen Marschbefehl erhielt, schloss sie ihr Referat mit einem unmissverständlichen „lich nich so rum! Mach hinne“.

Widerwillig stemmte sich der Mann aus der Horizontalen und schlurfte in Richtung Hoteleingang. Was er dann tat und was später passierte, bekam ich nicht mit.

Vermutlich fragte er erstmal Miguel.

Auf der Homeoffinsel (26)

Freitag, 26. Februar 2021, 9.30 Uhr

„Dong“ (so klingts, wenn neue Post auf dem immer blitzblanken Boden meines Mailfachs aufschlägt): da ist sie ja, die Auftragsbestätigung.

Ganz überraschend kommt sie nicht: der Absender und ich hatten schon gestern vereinbart, dass ich für ihn die uralten Texte auf seiner Website ins Jahr 2021 redigiere.

Und doch – es hätte auch anders kommen können. Denn über diesen Job unterhielten wir uns in einer Videokonferenz.

Auf der einen Seite der Leitung sassen der Patron und seine Tochter (also: die Juniorchefin) in einem weissen Besprechungszimmer. Die beiden sahen aus, als ob sie in einer halben Stunde an die Hochzeit eines nahen Verwandten fahren würden.

Auf der anderen Seite: ich, im ärmellosen T-Shirt, in Badehosen und mit einer Frisur, die aussah, wie Frisuren halt aussehen, wenn man sie nach dem Duschen einfach werden lässt.

Meinen Kunden trete ich in diesem Aufzug nur allerhöchst selten gegenüber (und wenn, dann nur, wenn sie eine Badi betreiben, aber derlei Klientel fehlt noch in meinem Portefeuille). Genau genommen, ist mir so öppis noch überhaupt nie passiert.

Diesmal hatte ich beim Einloggen einfach vergessen, dass gleich ja nicht nur ich meine potenziellen neuen Geschäftspartner würde sehen können, sondern auch sie mich. Natürlich kam die Verbindung in genau dem Moment zustande, in dem ich meinen Fauxpas realisierte.

Aber gut: der Auftrag ist unter Dach und Fach.

Jetzt denke ich darüber nach, wie es sich wohl auf meine Umsätze auswirken würde, wenn ich ab sofort immer…