Auf der Homeoffinsel (34)

Samstag, 6. März 2021, 6.10 Uhr

Alle paar Jahre erfülle ich in diesem Blog ab sofort einen Text- oder Bildwunsch aus der Leserschaft. Die Hürden auf dem Weg zur Veröffentlichung sind nicht allzuhoch. Ein paar wenige Spielregeln müssen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in meinem virtuellen Stübli aber einfach sein.

Dazu gehören folgende Punkte:

1) Das Anliegen muss so formuliert sein, dass ich es auf Anhieb verstehe.

2) Ihm nachzukommen, sollte mich nicht allzudicht an die Grenze des juristisch gerade
noch Tolerierbaren führen.

3) Es muss innerthalb einer Viertelstunde umsetzbar sein und darf

4) weder Aufrufe zu Versammlungen von Coronaleugnenden enthalten noch zu
Terroranschlägen oder Misshandlungen von Lebewesen aufrufen und mich schon gar
keinesfalls zum Zeigen von Xavier Naidoo-, Justin Bieber- und Helene Fischer-Videos
veranlassen wollen.

5) Spenden sind willkommen in
a) bar
b) auf mein BEKB-Konto mit der IBAN-Nummer CH52 0079 0042 4040 3905 6 oder
c) per Twint.

6) Von Bestechungsversuchen rate ich eindringlich ab.

Grundsätzlich gilt: je schlichter der Begehr, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Wünschende, wenn er sich bei mir irgendwann danach erkundigt, ob ich seinem Ansinnen schon nachgekommen sei und er das Resultat amänd überlesen habe, von mir nicht zu hören bekommt, seine Mail sei vermutlich im Spamfach gelandet, das sich regelmässig selber leere.

Markus W. aus B., der mir mit dem ihm eigenen Charme die oben abgebildete Bitte unterbreitete, machte alles richtig, bis auf das mit dem Bakshish, aber damit pressierts auch nicht soooo wahnsinnig.

In diesem Sinne:

Extra für Markus W. (I)
Extra für Markus W. (II)
Extra für Markus W. (III)
Extra für Markus W. (IV)
Extra für Markus W. (V)

Auf der Homeoffinsel (33)

Freitag, 5. März 2021, 13 Uhr

Normalerweise bin ich um 9 Uhr herum noch auf meinem Powerbummel. Heute ging ich aber erst im Shoppingcenter nebenan einkaufen. Mit einem Sack voller Joghurts, Mineralwasser, Kiwis und Bananen kehrte ich ins Hotel zurück. Ich stellte die Tasche vor meiner Türe ab, hielt die Karte an den Leser (das meinen die Amerikaner und Engländer, wenn sie von „Lasershow“ sprechen) und öffnete die Türe.

Kaum hatte ich mein Gemach betreten, hörte ich die Facility Managerin vom Balkon her rufen „get out, please!“, „get out!“.

Ich dachte, was Cheibs, und glaubte für einen Moment, mich im Zimmer geirrt zu haben. Aber nein: was auch immer mein Auge an Büromaterial, Wäsche und Schutzmasken erblickte, gehörte mir.

Auf dem Balkon wiederholte die Frau mit einer gewissen Dringlichkeit, ich soll den Raum please! verlassen. Ohne zu wissen, wieso, tat ich, wie geheissen.

Ich nahm den Lift ins Parterre, holte mir im Restaurant ein Maschinenkafi und setzte mich nach draussen.

Mit dem leeren Becher in der Hand ging ich wenig später an die Rezeption. Weil der Diensthabende gerade ein Eggeli Zeit übrig zu haben schien – aktuell sind im Hotel 14 Personen einquartiert – erzählte ich ihm, ich sei von der Reinigungsfrau soeben aus meinem temporären Zuhause geworfen worden.

Das sei schon in Ordnung so, sagte der Mann am Empfang. Die Mitarbeiterin habe exakt nach Vorschrift gehandelt.

Um Corona-Ansteckungen zu vermeiden, habe das Management nämlich entschieden, dass sich während des Putzens kein Gast im Zimmer aufhalten dürfe.

Aber das, fügte er an, sei nur die offizielle Version.

Es gebe noch eine inoffizielle.

Mein Interesse war wacher denn je, seit ich mich soeben hier eingefunden hatte.

Ich könne mich bestimmt an „diesen Franzosen“ erinnern, fuhr der Mann fort. Zwei Sätze später war mir klar, wen er meinte: Dominique Strauss-Kahn (für den jüngeren Teil der Leserschaft: Der damalige Chef des Internationalen Währungsfonds IWF und eine Hotelangestellte begegneten sich einst in einer New Yorker Luxussuite.

Der Rest der Geschichte wäre traurige juristische Routine gewesen, hätte es sich beim Hauptdarsteller nicht um einen der mächtigsten Männer der Welt gehandelt: Sie beschuldigte ihn der versuchten Vergewaltigung, er wies ihre Darstellung als „erfunden“ zurück.

Anderthalb Jahre später unterzeichneten die beiden einen Einigungsvertrag. Was genau auf wessen Initiative hin in der kurzen Zeit passierte, in der sie sich im selben Raum aufhielten, bleibt wohl für immer unklar).

Aus den Erfahrungen des Mitbewerbers in Übersee ist das Management „meines“ Hotels offenkundig klug geworden. Es traf Vorkehrungen, die ein unbeobachtetes Zusammentreffen von Gast und weiblichem Personal weitestgehend ausschliessen sollen. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Einen Teil des Preises für diese Massnahme bezahle allerdings ich. Bis zum Auschecken in zwei Monaten gelte ich für die Putzequipe in meiner Unterkunft als potenzieller Unhold.

Sicherheitshalber werde ich das Trinkgeld für die Frauen deshalb erst nach meiner Abreise per Post überweisen. Bisher legte ich es ihnen aufs Nachttischli.

Auf der Homeoffinsel (32)

Donnerstag, 4. März 2021, 14 Uhr

Was bin ich?

So hiess nicht nur ein heiteres Beruferatespiel in der Frühphase der televisionären Schöpfungsgeschichte (siehe oben). Das frage ich mich manchmal, seit ich auf dieser Insel gelandet bin.

Als jemand, der in erster Linie zum Arbeiten hierhergekommen ist, fühle ich mich nicht als Tourist. Wenn ich Miguel von der Rezeption fragen würde, was ich in seinen Augen bin, würde er allerdings ohne zu zögern antworten, un turista.

Ich suche nach einem Schublädli, in das ich mich stecken kann. Eigentlich bin ich kein Fan von Schublädli, doch wenn Konfusion herrscht, bringen sie zügig Ordnung ins Leben.

Bin ich ein Covimmigrant, der vor der grossen Krise in der Heimat an einen Ort geflüchtet ist, an dem…nunja; dieselbe Krise herrscht, nur wärmer?

Ein Fremdarbeiter, der der Fremde, in der er arbeitet, jedoch nicht annähernd soviel gibt wie jene Menschen, die wir in der Schweiz als Fremdarbeiter bezeichnen?

Ein digitaler Nomade? Nein, auch nicht. Nomaden ziehen ihr Leben lang von Ort zu Ort. Ich zügelte für drei Monate von Burgdorf nach Playa del Inglés. Wenn ich das einem echten Nomaden erzähle, schaut er mich, gelangweilt auf einem Tabakblatt herumkauend, eine Zeitlang an, wartet auf die Pointe, steht, wenn er merkt, dass keine kommt, von seinem fadenscheinigen Teppich auf, rollt ihn zusammen, zurrt ihn auf dem Heck seines Kamels fest und reitet kopfschüttelnd 800 Kilometer weiter ins nächste Dorf.

Bevor sich meine Identitätskrise ins Unaushaltbare steigerte, eilte mir nun die Redaktion des „Spiegel“ zu Hilfe. Sie berichtet von Leuten, die ihr Büro quasi in meine Nachbarschaft verlegten:

„Remote Worker“?

„Remote“ bedeutet gemäss einem Wörterbuch „nicht in unmittelbarer Nähe befindlich, aber miteinander verbunden“. Das „Karrieremagazin“ des Onlineportals stellenmarkt.de schreibt, Remote Work „boomt mit steigender Tendenz“.

Ich.

Teil eines Booms!

Trendsetter!!

INFLUENCER (auch ohne Infinitypool im Hintergrund)!!!

Und damit: zurück auf den Boden. Die Remote Work ruft.

Oder, vielleicht doch lieber: die Büez.

Auf der Homeoffinsel (31)

Mittwoch, 3. März 2021, 10.40 Uhr

Mittwoch ist Wüstentag, jedenfalls heute, und drum stand ich vor 9 Uhr auf einem Sandhügel mitten im Nichts.

Um mich herum war kein Mensch zu sehen und auch kein Tier und abgesehen von ein paar Zyperngräsern (dem Lateiner waren diese Pflanzen bis zu seinem Aussterben beim Untergang Roms als Cyperus laevigatus bekannt, der spanische Landschaftsarchitekt nennt sie Junquillos, was aber nichts mit unseren Junkies zu tun hat, ausser vielleicht, dass sie so verdorrt wirken – also die Büsche, nicht die Junkies, wobei: Letztere stehen Ersteren in Sachen Verdorrtwirken bisweilen ja nur in wenig nach -, dass man sie vermutlich frischgerupft rauchen könnte) auch sonst nichts.

Während ich so, wie weiland Napoleon auf dem Gipfel von Waterloo, die öde Wildnis überblickte, fiel mir auf einmal ein, was diese wunderschönen Dünen schon alles erlebt haben: Invasionen mallorquinischer Mönche, Machtübernahmen katalonischer Könige, Eroberungen durch Portugiesen, tosende Stürme, jahrelangen Wassermangel, Heuschreckenplagen, tonnenweise Abfall hinterlassende Touristen, totalenthemmte Openair-Swingerinnen und -Swinger und, als ob das alles nicht genug der Schändungen gewesen wäre, ein Gastspiel des ZDF-„Fernsehgartens“ mit der Schleichwerbeikone Moderatorin Andrea Kiewel, Marquess, Stereoact, Namika, Cesár Sampson, Parallel, Körner, S!sters, Jonas Monar, Michael Leonardi und vielen anderen längst zurecht wieder dem Vergessen anheimgefallenen Playbackenden.

All das und noch viel Schlimmeres (auch Jürgen Drews liess sich dem Vernehmen schon öppedie auf der Insel blicken) überstanden die Dünen unbeschadet. Entsprechend stoisch nehmen sie auch die seit einem Jahr über sie hereinsschwappenden Coronawellen hin.

Sie klagen nicht ständig, trötzeln nicht dauernd und fordern im Namen von, sagen wir, Desertosuisse auch nicht an an drei Medienkonferenzen pro Woche sofortige Lockdownlockerungen, ganz im Gegenteil: sie warten einfach ab, bis auch dieses Unheil vorbeigezogen ist, und nutzen die ruhige Zeit, um sich einmal so richtig von den Strapazen der Vergangenheit zu erholen.

Es hätten mehr Menschen als Dünen geboren werden sollen, denke ich, während ich durch den Sand in die Stadt zurückstapfe.

Auf der Homeoffinsel (30)

Dienstag, 2. März 2021, 11 Uhr

Psychologen, Suchtberaterinnen und RAV-Mitarbeitende sind sich einig: um strukturiert durch seine Tage zu kommen, braucht der Mensch eine Tagesstruktur.

Zu meiner gehört, dass ich jeden Morgen, wenn die Ausgangssperre vorbei ist, spazieren gehe zu einem zweistündigen Powerbummel ausrücke.

Am Anfang lief ich wie ein Tourist, der zum ersten Mal Playa del Inglés besucht, kreuz und quer durch die Stadt. Wichtig war und ist mir, dass der Weg mindestens 10 Kilometer lang ist.

Inzwischen habe ich eine Strecke gefunden, die exakt meinen Wünschen entspricht. Sie führt ohne Schattenabschnitte durch belebte Quartiere, in blumenumrankte Winkel und an den Atlantik. Die drei grossen Kreisel auf der langen Geraden umrunde ich zur Schärfung meines Orientierungs- und Gleichgewichtssinns manchmal mehrfach.

Weil ich immer zur plusminus gleichen Zeit losmarschiere, sehe ich unterwegs oft dieselben Leute. Die einen stellen Waren vor die Läden, andere rauchen in den Eingängen von Bürokomplexen und Zahnarztpraxen so diskret wie wir einst als Teenager hinter dem Beinwiler Bahnhofschuppen, manche führen ihre Hunde aus.

Bis zur Verbrüder- und -schwesterung mit diesen Menschen wirds nochly dauern. Hier und da längts aber doch schon für ein kurzes gegenseitiges ¡Hola! (das verkehrte Ausrufezeichen geht mir inzwischen so leicht über die Lippen wie den Eingeborenen) oder ein munteres „buen día“.

Nach 8,4 Kilometern lande ich in der „Klamotte“ am Meer unten, um zwei Liter Agua con gas zu tanken und mit einem der beiden Kellner zu plaudern, die Corona noch nicht von der Lohnliste gefegt hat. Vor anderthalb Jahren wuselten in dieser Beiz sechs Servicekräfte zwischen den Gästen herum.

Am Ende lege ich einen 5 Euro-Schein auf den Tisch, rufe „Hasta la vista!“ in Richtung Küche, montiere die Maske und nehme ohne zurückzuschauen

die Strasse obsi die letzte Etappe zu meinem Hotel in Angriff.

Dann beginnt der Arbeitstag. Um 13 Uhr herum verputze ich einen Teller Meeresfrüchte oder einen Fisch mit Gemüse. Anschliessend gehts zurück ins Büro.

Am Feierabend schwimme ich anderthalb Kilometer im Pool. Zum Znacht gibts ein Salätli. Im Zimmer lese oder schreibe ich oder schaue ich fern, bis meist ziemlich zeitig das Sandmännchen kommt. Es hat vom Strand her ja nicht weit.

Wenn ich gerade so darüber nachdenke: Ich habe hier mindestens soviel Struktur wie zuhause. Und erst noch mehr Bewegung.