Freitag, 5. März 2021, 13 Uhr
Normalerweise bin ich um 9 Uhr herum noch auf meinem Powerbummel. Heute ging ich aber erst im Shoppingcenter nebenan einkaufen. Mit einem Sack voller Joghurts, Mineralwasser, Kiwis und Bananen kehrte ich ins Hotel zurück. Ich stellte die Tasche vor meiner Türe ab, hielt die Karte an den Leser (das meinen die Amerikaner und Engländer, wenn sie von „Lasershow“ sprechen) und öffnete die Türe.
Kaum hatte ich mein Gemach betreten, hörte ich die Facility Managerin vom Balkon her rufen „get out, please!“, „get out!“.
Ich dachte, was Cheibs, und glaubte für einen Moment, mich im Zimmer geirrt zu haben. Aber nein: was auch immer mein Auge an Büromaterial, Wäsche und Schutzmasken erblickte, gehörte mir.
Auf dem Balkon wiederholte die Frau mit einer gewissen Dringlichkeit, ich soll den Raum please! verlassen. Ohne zu wissen, wieso, tat ich, wie geheissen.
Ich nahm den Lift ins Parterre, holte mir im Restaurant ein Maschinenkafi und setzte mich nach draussen.
Mit dem leeren Becher in der Hand ging ich wenig später an die Rezeption. Weil der Diensthabende gerade ein Eggeli Zeit übrig zu haben schien – aktuell sind im Hotel 14 Personen einquartiert – erzählte ich ihm, ich sei von der Reinigungsfrau soeben aus meinem temporären Zuhause geworfen worden.
Das sei schon in Ordnung so, sagte der Mann am Empfang. Die Mitarbeiterin habe exakt nach Vorschrift gehandelt.
Um Corona-Ansteckungen zu vermeiden, habe das Management nämlich entschieden, dass sich während des Putzens kein Gast im Zimmer aufhalten dürfe.
Aber das, fügte er an, sei nur die offizielle Version.
Es gebe noch eine inoffizielle.
Mein Interesse war wacher denn je, seit ich mich soeben hier eingefunden hatte.
Ich könne mich bestimmt an „diesen Franzosen“ erinnern, fuhr der Mann fort. Zwei Sätze später war mir klar, wen er meinte: Dominique Strauss-Kahn (für den jüngeren Teil der Leserschaft: Der damalige Chef des Internationalen Währungsfonds IWF und eine Hotelangestellte begegneten sich einst in einer New Yorker Luxussuite.
Der Rest der Geschichte wäre traurige juristische Routine gewesen, hätte es sich beim Hauptdarsteller nicht um einen der mächtigsten Männer der Welt gehandelt: Sie beschuldigte ihn der versuchten Vergewaltigung, er wies ihre Darstellung als „erfunden“ zurück.
Anderthalb Jahre später unterzeichneten die beiden einen Einigungsvertrag. Was genau auf wessen Initiative hin in der kurzen Zeit passierte, in der sie sich im selben Raum aufhielten, bleibt wohl für immer unklar).
Aus den Erfahrungen des Mitbewerbers in Übersee ist das Management „meines“ Hotels offenkundig klug geworden. Es traf Vorkehrungen, die ein unbeobachtetes Zusammentreffen von Gast und weiblichem Personal weitestgehend ausschliessen sollen. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Einen Teil des Preises für diese Massnahme bezahle allerdings ich. Bis zum Auschecken in zwei Monaten gelte ich für die Putzequipe in meiner Unterkunft als potenzieller Unhold.
Sicherheitshalber werde ich das Trinkgeld für die Frauen deshalb erst nach meiner Abreise per Post überweisen. Bisher legte ich es ihnen aufs Nachttischli.