Die neue Virklichkeit (23)

„Wie lange lebe ich noch?“: In den ersten 24 Stunden nach dem positiven Corona-Test hatte Edith Todesangst. „Es gibt für niemanden einen Grund, sich vor dem Virus in Sicherheit zu wiegen“, sagt sie.

Nach 17 Tagen stand die Achterbahn der Gefühle endlich still. So lange schwankte meine frühere BZ-Arbeitskollegin Edith zwischen Todesangst, Lebensfreude, Hoffen und Bangen. Mit einer seltenen Autoimmunkrank-heit gilt sie als Hochrisikopatientin. Die Diagnose „Covid-19“ traf sie aus heiterem Himmel. Seit gestern darf sie sich als „geheilt“ betrachten.

Vor knapp drei Wochen erfuhrst Du am Telefon, dass du an Corona erkrankt seist. Wie hast du auf diese Diagnose reagiert?

Edith: Ich fiel auf der Stelle in eine Art Schockstarre. Ich wollte aufgrund eines anderen Infekts  – eines Pilzinfekts im Mund – einen Arzt aufsuchen. Weil es ein Samstag war, kontaktierte ich die Spezialisten meiner Autoimmunerkrankung und wurde in einem nahen Spital als normaler Notfall angemeldet. Am Schluss sagte die Ärztin, sie mache wegen meiner gefühlten Geschmacksveränderung einen Abstrich und checke mich auch auf Corona.

Ich hatte dieses Symptom auf den Pilzinfekt zurückgeführt und war erstaunt, reagierte aber gelassen; ich hatte ja kein Fieber und keinen Husten. 24 Stunden später erhielt ich den Anruf einer Pflegefachfrau. Sie sagte mir, der Corona-Test sei positiv. Ich konnte – und wollte – nicht glauben, dass das möglich war. Schliesslich hatte ich in den vergangenen Wochen pingelig sämtliche Sicherheitsmassnahmen befolgt, um Corona von mir und meinem Ehemann fernzuhalten.

Wie lange hielt diese „Schockstarre“ an?

In den ersten 24 Stunden hatte ich Todesangst. Ich fragte mich immer wieder, „Warum ich?“ und „Wie lange lebe ich noch?“ Meine Gedanken kreisten ununterbrochen darum, wie es wohl sei, wenn ich ins Spital eingeliefert und an irgendwelche Geräte angeschlossen würde. Ich dachte über meine letzten Stunden und meine Beerdigung nach. Ich hatte Angst vor dem Alleinesein.

All diese Horrorszenarien fantasierte ich mir nicht zusammen. Die Spezialisten meiner Autoimmunerkrankung, die ich nach dem positiven Test erneut kontaktieren musste, um die Einnahme meiner Medikamente abzusprechen, hatten mich darauf hingewiesen, dass Covid-19 bei mir schwer verlaufen dürfte. Nach vier bis fünf Tagen sehe man sehe dann wohl klarer.

„Mit jedem fieberfreien Tag verlor Corona ein bisschen von seinem Schrecken“

Auf der anderen Seite waren sie sich nicht sicher, ob ich aufgrund eines Medikamentes bereits Autoimmunkörper gebildet haben könnte. Ich dürfe mich ruhig bei Husten melden und nicht erst bei Fieber. Sie würden mich dann unterstützen, es habe noch Platz im Spital, sagten sie.

Mein Mann rief mir in Erinnerung, dass es mir körperlich ja gut ging und ich weder Husten noch Fieber noch Atemnot hatte. Diese Symptome zeigten sich auch in den Folgetagen nie. Mit jedem fieberfreien Tag verlor Corona für mich ein kleines bisschen von seinem Schrecken. Aber ich war halt immer wieder mal für einen kurzen Moment wie auf Nadeln.

Du und dein Ehemann lebten über zwei Wochen lang in Heimquarantäne. Was habt ihr in dieser Zeit gemacht?

(lacht) Nicht viel. Wir mussten uns räumlich trennen. Ich lebte im Schlafzimmer, er im Rest der Wohnung. Wegen meines Infekts war ich die ersten drei Tage oft müde und schlapp. Mein Mann und ich sprachen viel miteinander durch meine Schlafzimmertür, die immer einen spaltbreit offen war. Manchmal zeichnete ich etwas. Und ich begann, ein Tagebuch zu schreiben. Uns beiden war wichtig, trotz des Nichtstuns ein wenig Struktur in die Tage zu bringen.

Das heisst: Wir standen immer zur selben Zeit auf und assen zur selben Zeit – räumlich getrennt, versteht sich. Wir hielten telefonisch, per Mail oder Whatsapp Kontakt zu Menschen aus unserem Freundes- und Familienkreis. Wir besprachen die Einkaufsliste und organisierten Freunde, die uns Lebensmittel- und Hygieneartikel brachten. Oder dann rief der Arbeitgeber von meinem Mann an und hatte Fragen und Anliegen. Mein Hausarzt stand regelmässig in telefonischem Kontakt mit mir.

Vormittags absolvierte ich jeden Tag ein kleines Fitnessprogramm auf der Terrasse. Nachmittags schauten Freunde vorbei, klingelten und standen vor unser Haus. Ich quatschte dann mit ihnen vom Balkon runter zum Gartenhag. Auch mit unseren Nachbarn tauschten wir uns von Balkon zu Balkon aus. Abends, wenn mein Mann im TV die Nachrichten verfolgte, stellte er das Gerät lauter, damit ich mithören konnte. Vor der Bettruhe spielten wir oft Uno, das man auf zwei Handys als Duo gegen ein anderes Paar spielen kann.

So hatte ich immer wieder das schöne Gefühl, dass in mir und um mich herum auch mit diesem Virus ein Leben stattfindet.

Ob mit einem Mini-Bärenpark…
…einem Mikro-Entenweiher…
…oder einem munzigen Autosalon: Ediths Mann gab alles, um seinem Schatz auch mit Aufstellerchen zwischendurch durch die Quarantäne zu helfen.

Direkten engen Kontakt mit deinem Mann durftest du aber nicht haben.

Nein, auf keinen Fall. So waren wir bei der Diagnose instruiert worden. Es war ja nicht klar, ob mein Mann stiller Virusträger war; es bestand die Gefahr dass ich ihn anstecke. Wir schliefen in getrennten Schlafzimmern und sorgten dafür, dass wir uns nie gleichzeitig im selben Raum aufhielten.

Wenn ich in der Wohnung etwas berührte, desinfizierte er es für den Fall, dass er die Stelle auch berührt und sich ansteckt. Wir nutzten unsere zwei Badezimmer separat, wobei ich die Dusche in „seinem“ Bad benutzen durfte. Er reinigte sie danach mit Flächendesinfektionsmittel. Die Mahlzeiten bereitete er zu und legte mir sie auf einem Tablett vor die Schlafzimmertüre. Ich ass jeweils im Schlafzimmer und er am Esstisch im Wohnzimmer. Das schmutzige Geschirr berührte er nur mit Einweg-Handschuhen. Schmutzige Wäsche musste ich in Säcken sammeln und aufbewahren, weil wir die Wohnung nicht verlassen und weder in die Waschküche noch zum Briefkasten durften.

Ihr teiltet euch eure Wohnung 17 Tage lang rund um die Uhr. Führte soviel Dauernähe auch mal zu Streit?

„Wir mussten unseren Alltag gemeinsam komplett neu organisieren“

Erstaunlicherweise nicht, nein. Mein Mann ist der beste Motivationstrainer, den ich mir vorstellen kann. Zudem bringt ihn nichts aus der Ruhe. Er hat mich bei jedem moralischen Tief immer aufgebaut. Er liess meine Lieblingsmusik laufen, legte mir ein Güezi neben das Kafi oder schrieb mir eine ganz liebe Whatsapp-Nachricht. Wir redeten viel miteinander und wussten gegenseitig jederzeit, wie es dem anderen geht. Wir mussten unseren Alltag gemeinsam komplett neu organisieren. Langeweile, die der beste Nährboden für Spannung ist, konnte so nur teilweise aufkommen.

Jetzt ist das alles vorbei. Du musstest nach 16 Tagen als Hochrisikopatientin zu einem zweiten Corona-Test, der nun negativ war. Du giltst in der Statistik als „geheilt“. Worauf freust du dich am meisten?

(Wie aus der Pistole geschossen) Dass ich bald wieder meinen Mann umarmen darf. Er hat bisher keine Symptome.

Was Veränderungen ergeben sich jetzt in deinem Alltag?

Eigentlich keine grossen. Ich muss mich nach wie vor wie eine Hochrisikopatientin verhalten. Immerhin darf ich wieder draussen spazierengehen. Ansonsten gelten die gleichen Verhaltensregeln wie vorher auch: nicht einkaufen gehen, Hände waschen, Abstand halten, Kontakte draussen auf ein Minimum beschränken und so weiter. Auch wenn ich eine Ausgangssperre nachvollziehen könnte: persönlich hoffe ich, dass es nicht so weit kommt. Ich freue mich, dass mein Radius wieder mehr als das Schlafzimmer, das Badezimmer und den Balkon umfasst.

„Es kann jeden und jede treffen“

Was rätst Du meiner Leserschaft?

Es ist mir ein riesengrosses Anliegen, den Leuten zu sagen, sie sollen sich unbedingt an die Verhaltensregeln des Bundesamtes für Gesundheit halten. Es ist nicht so, dass nur alte oder angeschlagene Personen am Corona-Virus erkranken. Es kann jeden und jede treffen. In meinem entfernten Bekanntenkreis gibt es Leute, die bis vor Kurzem noch kerngesund waren und nun mit schweren Atemproblem und hohem Fieber daheim oder im Spital liegen. Dieses Virus ist extrem unberechenbar. Es gibt für niemanden einen Grund, sich davor in Sicherheit zu wiegen. Ich war selber fest davon überzeugt, dass mich dieses Virus verschonen würde. In den vergangenen 17 Tagen musste ich lernen, dass es vor Corona keine hundertprozentig sichere Deckung gibt.

Ok. Das wärs plusminus schon…

…darf ich noch etwas anfügen?

Selbstverständlich!

Ich lache ab sofort niemanden mehr aus, der WC-Papier in etwas grösserer Menge kauft, ehrlich (lacht). Als infizierte Person musste ich nach Anweisung meiner Ärzte die Hände nach dem Waschen an einem Einweg-Papiertuch trocknen und dieses direkt in einen Kübel mit Deckel wegwerfen. Die Menge an Haushaltspapier, die ich in den letzten 17 Tagen verbraucht habe, ist unglaublich.

(Das Interview wurde telefonisch geführt. Edith ist auf Stellensuche. Weil sie nicht weiss, wie sich ihre Autoimmunkrankheit darauf auswirkt, bat sie mich, nur ihren Vornamen zu nennen.)

Zum korrekten Verhalten bei einer Selbstquarantäne gibts hier weitere Infos.

Die neue Virklichkeit (22)

„Des leere Blatt’l Papier, des liegt no immer vor mir. I schreib besser goa nix.“
(Relax, „Ein weisses Blatt’l Papier“)

Dass er kommen würde,

war mir

schon klar.

Die Frage war ja

nicht ob,

sondern wann

in meinem Leben

24 Stunden lang

nicht nur

so erschütternd wenig,

sondern dermassen

überhaupt nichts

passieren würde,

dass es hier

nullkommanull

zu berichten gibt.

Aber jetzt

ist er da,

der Tag,

und ich sitze

vor dem Compi

wie der Esel

am Berg,

nur dass Esel

in der Regel

nicht sitzen,

sondern stehen,

und dann erst noch

mit ohne

einem Compi vor sich,

und ihr Heu chätschen

und gucken,

was um sie herum

passiert.

Abgesehen davon

sind Esel,

im Gegensatz etwa

zu den Steinböcken,

Gämschi

u dä Mungge,

wie der Berner sagt,

meist nicht

in den Bergen zuhause,

sondern im Flachland

und besonders gerne

in südlichen Flachländern,

wos warm ist

und sonnig,

und wenn ich gerade

so daran denke,

darf ich ich gar

nicht daran denken,

wies jetzt

auf den Kanaren wäre,

so ohne Touristen

und Walrosse

am FKK-Strand

und ohne Leute,

die erst grossartig

eine Pälla bestellen,

nur um dann

die Muscheln und Crevetten

aus dem Reis zu klauben,

weil sie

„diesen Meerscheiss“

nicht haben müssen,

aber ich schwenke ab.

Eigentlich könnte ich jetzt

einfach einmal

nichts schreiben,

und sonst etwas machen,

die Frage wäre nur,

was,

aber mit weissen Blättern

und leeren Textmasken

komme ich einfach

nicht z Schlag

oder,

wie ein ein Fachmann

sagen würde,

wenn ich einen Fachmann

fragen würde:

damit kann ich

„nicht umgehen“

(so, jetzt ist

es raus und mir

grad hundertmal wohler.)

Wenn ich

ein weisses Papier

oder ein

fabrikneues Worddokument

vor mir habe,

muss ich es füllen,

egal womit,

nur nicht

mit einer Zeichnung,

weil zeichnen

kann ich nicht,

aber muss ich

ja auch

gar nicht können

(uff!),

und zwar ungeachtet dessen,

obs etwas

zu schreiben gibt

oder,

wie in diesem Fall,

nicht.

Wenn man schreibt,

ohne etwas zu schreiben

zu haben,

ist das Wichtigste,

dass die Leserinnen und Leser

das nicht merken.

Für sie muss alles

sein wie immer,

und das hat oft

mit dem Umfang

zu tun

(was,

auch wenns

da und dort

jetzt vielleicht

kurz wehtut,

bedeutet:

Die Länge spielt

halt doch

eine Rolle.)

Wenn sie

fast endlos

Zeile

um

Zeile

lesen können,

haben sie

automatisch das Gefühl,

schampar viel

zu entdecken,

obwohl ihre Augen

sich im Grunde genommen

nur von Wort

zu Wort

hangeln

(man könnte das

auch

ins

ganz

Extreme

steigern,

wenn

man

unbedingt

möchte,

aber

irgendwann

würde

wohl

auch

der

dümmste

Leser

und

die

doofste

Leserin

merken,

dass

hier

etwas

nicht

stimmt,

und

zwar

ganz

und

gar

nicht,

und

sich

verärgert

einer

anderen

Lektüre

zuwenden,

und das,

wollen wir

ja nicht,

Migottstüüri!)

ohne in der ganzen Zeit

auch nur einmal

etwas zu sehen

zu bekommen,

das anzuschauen

sich lohnt.

Die neue Virklichkeit (21)

Ei-ntönig: Das Thema „Corona“ verfolgt uns bis in die hintersten Winkel unseres Alltags.

Samstagabend, 18.45 Uhr: Über mir knirschts immer lauter. Von Minute zu Minute werden die Spalten in den Balken breiter. Bevor mir gleich die Decke auf den Kopf fällt, lade ich mich bei einer Freundin zu einem Spontankafi ein. Wenig später sitzen wir auf ihrem Balkon. Abgesehen von ein paar Kindern, die auf einem Klettergerüst herumkraxeln, ist das Quartier menschenleer. Langsam versinkt die Sonne hinter den Bäumen. Wir unterhalten uns über Corona, Corona und Corona.

Sonntag, 11. Uhr: Ich sichte das Bisschen Post, das seit Mittwoch im Briefkasten lag. Der Satz „Am 16. März 2020 hat der Bundesrat entschieden, wegen des Corona-Virus die ausserordentliche Lage zu erklären…“ fällt so oder sinngemäss in jedem Schreiben. Entweder bitten mich die Absenderinnen und Absender höflich darum, die noch nicht fällige Rechnung es Bitzeli früher zu begleichen. Oder teilen mir mit, dass das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf das Minimum heruntergefahren habe, „telefonisch und online im Notfall aber jederzeit erreichbar“ sei.

Sonntag, 14 Uhr: Drei Freunde schauen vorbei. Wir stellen ein Tischli ins Freie, trinken Mineralwasser, Kaffee und Cola Zero, mampfen dazu Salzgebäck und haben den Frieden. Die Sonne scheint, am Himmel ist kein Kondensstreifen zu sehen. Wir geben uns Mühe, nicht über das Thema zu reden, oder ämu nicht nur. Aber welchen Gesprächsstoff auch immer wir anschneiden – nach spätestens zwei Sätzen landen wir, wo wir nicht hingewollt hatten: bei Corona, Corona und Corona.

Sonntag, 18.15 Uhr: Ich telefoniere mit einem ehemaligen Arbeitskollegen. Wir haben uns seit Ewigkeiten nicht mehr gehört und könnten uns aus unseren Privat- und Geschäftsleben deshalb Vieles erzählen. Einziges Traktandum ist Corona, Corona und Corona.

Nein – es gibt kein Entrinnen: Corona ist immer und überall, genau wie das Böse im Uralt-Hit der Ersten Allgemeinen Verunsicherung.

Wenn ich auf youtube ein Video abspielen will, appellieren zunächst einmal Alain Berset, Roger Federer, Christa Rigozzi und weitere Promis in allen vier Landessprachen an meine Solidarität mit den schwächsten Corona-Betroffenen, raten mir, die Hände zu waschen und versichern, dass „die sichere Versorgung der Schweiz mit Lebensmitteln sichergestellt“ sei, bevor der eigentliche Clip startet.

Wenn ich fernsehe, ermahnen mich diverse Sender mit einer Dauereinblendung in der rechten oberen Bildschirmecke, zuhause zu bleiben, um Corona nicht noch mehr Gelegenheiten zu bieten, sich weiterzuverbreiten.

Onlinemedien rechnen mir livetickernd vor, wieviele neue Todesopfer Corona in den letzten Stunden gefordert habe. In der Schweiz gibt es über 2000 Gemeinden. In keiner von ihnen scheint seit Mitte März etwas passiert zu sein, was nicht mit Corona zu tun hatte. Interviews mit Sportfunktionären, Porträts von Kunstschaffenden oder Reportagen aus fernen Landen drehen sich ausschliesslich um Corona. Facebook ist bald nicht mehr zum Aluege: Bei jedem zweitem Beitrag handelt es sich um ein lustiges Zeitvertreibspielchen, einen Aufruf, bei einer Bild- oder Film- oder Buchchallenge mitzumachen oder Verschwörungsschrott.

Wenn ich zum Schloss hochschaue, fällt mir als Erstes ein, dass die Jugendherberge und die Museen da oben wegen Corona noch nicht eröffnet werden konnten. Wenn ich auf den Hofstattplatz hinuntergucke, sehe ich niemanden, weil: Corona. Wenn ich mitten in der Nacht frustriert den Mond anheule, weil alle immer nur über Corona reden, fällt mir als Erstes auf, was für eine schöne Korona er hat.

Wenn ich einkaufen gehe, laufen mir zwischen den Gestellen Männer und Frauen über den Weg, die ich bis dahin wie aus dem Truckli angezogen kannte. Nun wirken sie mit ihren notdürftig gerichteten Frisen und in ihren Jeans und Trainerjacken, als ob sie wegen Corona seit Tagen daheim im Pyjama herumgegammelt wären und sich für den Gang unter die Leute einfach schnell übergestreift hätten, was gerade auf dem Schlafzimmerboden lag.

Dass ein Thema unser Leben bis in die hintersten und finstersten Winkel des Alltags dominiert, hat es wahrscheinlich noch nie gegeben. Nach dem 11. September 2001 diskutierten die Leute in Büros, auf Baustellen, in Beizen und am Familientisch zwar immer wieder über den Terror und dessen Auswirkungen. Das Grounding der Swissair, das Attentat von Zug oder die Pleite der Bank Lehmann-Brothers beschäftigten die Öffentlichkeit monatelang.

Daneben war aber immer noch Platz für anderes. Am Grimselpass wurde eine riesige Felsnase weggesprengt, Apple lancierte den ersten iPod (für die Jüngeren hier:

So sahen sie aus, die kleinen Wunderdinger.),

in den Kinos sorgte „Harry Potter und der Stein der Weisen“ für Umsatzrekorde und am 24. November kamen beim Absturz eines Flugzeugs über Bassersdorf 24 Menschen ums Leben, darunter auch die R&B-Sängerin Melanie Thornton, die in Langenthal ihr neues Album bewerben wollte.

Wenn sich all das heute ereignen würde: Ich glaube, es nähme davon kaum jemand Notiz.

Und falls doch, würde man sich als Erstes fragen, ob die Sprengarbeiten trotz Corona ausgeführt werden können, wie lange das Virus auf diesem Appledings überlebt, ob das Kino das Geld für die Tickets zurückerstatte und welche Sicherheitsvorkehrungen die Rettungskräfte treffen müssen, um sich beim Bergen der Leichen und Trümmer nicht gegenseitig anzustecken.

All das schreibe ich zu Beginn der vierten von noch unabsehbar vielen weiteren Corona-Wochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns auch im Juni, Juli, September und November ständig über Corona unterhalten, scheint durchaus zu bestehen.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits Familien vor dem Christbaum sitzen und darüber werweissen, ob das Tragen von Schutzhandschuhen auch beim Auspacken der Gschänkli angezeigt sei und wie man die Fleischstücke beim Fondue Chinoise am Elegantesten unter der Maske hindurch in den Mund schiebt.

Aber gut: Je mehr solcher Fragen an Weihnachten 2020 geklärt werden können, desto weniger prägen sie die Feiern der kommenden Jahre.

Die neue Virklichkeit (20)

1977 wars, als in Trenchtown, dem Elendsviertel der jamaicanischen Hauptstadt Kingston, ein 32-jähriger Mann namens Robert Nesta Marley folgende Zeilen notierte:

„There’s a natural mystic
Blowing through the air
If you listen carefully now you will hear
This could be the first trumpet
Might as well be the last
Many more will have to suffer
Many more will have to die
Don’t ask me why
Things are not the way they used to be
I won’t tell no lie
One and all got to face reality now.“

Er konnte nicht ahnen, dass er damit beschrieb, wie 43 Jahre später ein Mysterium namens „Covid-19“ das Leben rund um den Erdball erhudle würde.

Wobei: „Nicht ahnen“?

Robert Marley hat das mehr als nur geahnt: Bob, wie ihn alle nannten, hats gewusst.

Den Mächtigen, die von ihren 5G-Masten aus jeden unserer Schritte mit UV-Feldstechern kontrollieren, wird die folgende Enthüllung ganz und gar nicht in den Kram passen; immerhin läuft grad exakt alles so, wie von ihnen geplant, aber tant pis.

„Freedom’s just another word for nothing left to lose“, proklamierte Janis Joplin, und nachdem das freie Denken, zumindest offiziell, immer noch erlaubt ist (tatsächlich sind die Geheimgefängnisse, die der MI5, der CIA und das Eff-Bii-Ei im rumänischen Hinterland betreiben, bis unter die Decken mit Freidenkern belegt), ist jetzt ein so guter Zeitpunkt wie vielleicht schon bald nie mehr, um die Fakten mit einer ans Pingelige grenzenden Stringenz auf den Tisch zu legen.

Wenn Bob Marley 1977 wusste, dass 2020 „many more will have to suffer“ und „many more will have to die“, muss er Quellen gehabt haben. Diese sprudelten in Washington D.C., London und Kingston, und zwar weit oben.

Präsident der Vereinigten Staaten war 1977 Jimmy „Erdnuss“ Carter. Einige Jahre vor ihm hatte dieses Amt John F. Kennedy inne. Es kann also davon ausgegangen werden, dass Kennedy Carter zumindest ein Begriff war. Und dass Carter als Nachnachnachfolger freien Zugang zu den Akten seines Vorvorvorgängers hatte und folglich über jeden Schritt, den Kennedy als Commander in Chief je tat, im Bilde gewesen sein dürfte.

John F. Kennedy war 1962 unter anderem damit beschäftigt, die Kuba-Krise zu bewältigen. Ausgelöst wurde diese durch die USA und die damalige Sowjetunion, die sogenannte UdSSR. Mit einem unsichtbaren und lautlosen Virus hätten beide Seiten die Auseinandersetzung ohne viel Aufhebens statt mit einem Atomkrieg beenden können.

Russland spielte bei der Entwicklung der Populärmusik des 20. Jahrhunderts eine Rolle, der nicht genug Gewicht beigemessen werden könnte, aber aus Gründen nie beigemessen wird. Wenn es die UdSSR schon 1962 nicht mehr gegeben hätte, wäre es den Beatles 1968 unmöglich gewesen, „Back in the U.S.S.R“ zu komponieren.

Sie wären also mit einem unvollständigen Weissen Album unter dem Arm über den Fussgängerstreifen an der Abbey Road zu ihrer Plattenfirma marschiert, und dort hätten die Chefs mit stiff upper lips gefragt, obs überhaupt noch gehe, mit einer so halbgaren Scheibe hier anzutanzen, und don’t call us, we call you und have a nice day, Tschentlmn.

Ob Bob ohne die Beatles yeah je auf die Idee gekommen wäre, sich vom Hanfanbau ab- und der Musik zuzuwenden, ist gemäss Experten, die allesamt verstorben sind und als Analphabeten nichts Schriftliches hinterliessen, umstritten.

Fest steht: Eric Clapton, ein anderer grosser Sohn Grossbritanniens, erwähnt die Beatles mehr als einmal in seiner Biografie „Mein Leben“. Doch seine Interessen reichten viel weiter (was er im Buch allerdings auffällig beiläufig erwähnt): Kaum hatten Mitarbeiter des Londoner Bauamts die „Clapton is God“-Graffiti in den roaring Sixties fluchend von den Hauswänden geschrubbt, coverte er mit „I shot the sheriff“ einen der grössen Hits von…

…na?…

richtig: Bob Marley.

Der grosse Revoluzzer Marley hatte also sehr direkt mit Amerikas Nato-Verbündetem England, den Vereinigten Staaten plus der UdSSR zu tun. Wieso weigern sich die Mainstreammedien wohl bis heute, darüber zu berichten?

Eben.

Für Bob muss es ein Kinderspiel gewesen sein, sich mithilfe der Beatles oder/und Clapton aus den Slums seiner Heimat in die Downing Street 10 emporzunetworken. John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr und Mr Slowhand stand die Türe des Premierministers als von der Queen zu Members of the British Empire geritterschlagene Zeitgenossen ja jederzeit sperrangelweit offen.

Dass Marley sich mit dem britischen Premier kaum nur über Off-Beats und Frisurfragen unterhielt, liegt auf der Hand. Beim Buhlen um die Gunst des Superstars aus der Karibik schreckte der Premier nicht davor zurück, sich bei seinem Gast mit Insiderwissen über die Biowaffen seines Brothers in Arms Jimmy Carter wichtig zu machen. Das bestätigten mündlich Reinigungskräfte indischer Provenienz, welche damals vor, hinter, neben und unter dem Regierungssitz staubsaugten.

Zwei Stunden, bevor sie ihre Aussagen hätten zu Protokoll geben sollen, trieben sie jedoch bauchobsi in der Themse. Auch darüber verlor die Lügenpresse bis heute kein Wort.

Nachdem die US-Streitkräfte auf Geheiss von John F. Kennedy 1962 in letzter Sekunde davon absehen mussten, in Kuba einzumarschieren, stellte sich für sie die Frage „Was jetzt?“

Unvernichteter Dinge in das Home of the Brave zurückzukehren, kam aus präsenzmarkierungstechnischen Gründen nicht in Frage. Wenn sie me nothing, yours nothing, mit den Händen in den Hosentaschen und in eigentlich friedlicher Absicht durch Havanna gebummelt wären, hätten sie innerthalb von Minuten die nukleare Apokalypse ausgelöst.

Die einzige Möglichkeit, noch ein paar Jahre an den Gestaden der Südsee zu verweilen, bot sich ihnen auf Jamaica, wo zu vorgerückter Stunde ein gewisser Bob Marley oft in genau jenen Kneipen jammte, in denen sich hochrangige US-Marines die Kante gaben, nachdem sie ihre Untergebenen zu Bett gebracht hatten.

Und was beredeten die Masters of War wohl mit dem King of Reggae, wenn dieser sich nach Feierabend zu den bis an die Zähne mit Schnellfeuergewehren und Boden-Luftraketen bewaffneten Fremden gesellte, um ihnen die Botschaft von Love&Peace zu verkünden? Das Essen in der Kantine? Die Puff-Tarife? Die richtige Schreibweise von Marhju Marhji Mariuh Kraut?

Chasch dänke. Es ging bei diesen bacardigeschwängerten Gesprächen immer nur um das eine: das Virus SARS-CoV-2, das die US-Regierung in absehbarer Zeit unter Milliarden von Menschen streuen wollte, um die Frage, wer auf dem Globus das Sagen hat, ein für allemal zu beantworten.

Dies berichteten unabhängig voneinander P. Lauderi und L. Aferi bei ihrer Befragung durch einen geheimen Ausschuss des US-Senats. Die zwei Bündner arbeiteten zu jenem Zeitpunkt als Animierboys für Touristinnen in Bars in Kingston. Die entsprechenden Aufzeichungen sind im deutschen Kanzleramt deponiert, gelten aber bis September 2189 als geheime Verschlusssache.

Zugang zu ihnen hat nur Angela Merkel, doch sie ist aus militärisch-wirtschaftlichen Erwägungen zu sehr auf das Wohlwollen ihres Bündnispartners jenseits des Atlantiks angewiesen, um sich auch nur im Traum einen Gedanken daran zu erlauben, die Akten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Spätestens nach jenen Treffen in den schummrigen Kaschemmen von Kingston wusste Bob Marley über die Operation „Corona“ Bescheid. Am 11. Mai 1981 verstarb er, 36-jährig, an Krebs (das steht auf dem Totenschein, den der Arzt – der Cousin eines wegen Korruption längst auf Lebzeiten gesperrten Fifa-Funktionärs aus Südamerika – ausgestellt hatte).

„Natural Mystic“ war Bobs verzweifelter Versuch, die Menschheit vor der Seuchenattacke der USA zu warnen, doch sein Publikum war von der Melodie dermassen verzückt, dass es gar nicht auf die gesungene Botschaft achtete.

Offensichtlich überhörten seine engsten Angehörigen die Hinweise. Kurz nach dem Ableben seines Vaters gab Bobs ältester Sohn Ziggy am 12. August 2019 ein Konzert in Brescia. Die Roadies hatten das Bühnenequipment nach dem Gig noch nicht fertig in den Sattelschleppern verstaut, als die italienische Regierung die Lombardei – zu der Brescia gehört – wegen des Corona-Virus abriegelte.

Ein halbes Jahr später galt auch in der Schweiz: „Many more will have to suffer, many more will have to die.“

Sind noch Fragen?

Der Beweis für das Corona-Komplott: Ungefähr so könnte der Strand in Jamaica ausgesehen haben, nachdem die US-Marines 1962 beinahe auf Kuba gelandet wären.

Die neue Virklichkeit (19)

Im Vergleich mit diesem elenden Scheissvirus kommt man sich schon huere chly vor. Die hinterhältig-fiese f***** Tubelimistidiotenbazille lässt über Nacht jahrelang aufgebaute Lebensmodelle zusammenkrachen, zersetzt im Nu betonhart gefestigt geglaubte Familienstrukturen und macht auch grösste Firmen schneller platt als die kaltarschigen Schnellsanierer eines global marodierenen Unternehmensberatungs-vernichtungsunternehmens, das beinahe gleich heisst wie der schärfste Konkurrent von Burger King, es mit ihren einfältigen Aktenköfferli und ihrem blasierten Getue und ihrem gruusigen Gel in den Haaren es sich an ihren lächerlichen Flipcharts je hätten träumen lassen.

Der geneigte Leser und die geneigte Leserin ahnt möglicherweise: Ich bin gerade ein bisschen verstimmt. Das hat natürlich seine Gründe, aber mir wei nid grüble, sondern lauschen zum Flatten des Pulses lieber den lieblichen Gesängen von Geschöpfen, die neben Covid-19 nach wie vor ziemlich gross wirken.

So. Jetzt gehts wieder.

Worüber unterhält man sich wohl so, von Wal zu Wal? Ich meine: Unter Wasser läuft seit der Erfindung des Meeres wenig mehr als darüber, wenn Corona ist. Wettermässig siehts immer öppe gleich aus: kühl bis kalt und feucht und nass. Das gibt beim Smalltalk beim Afterwork-Apéro auf Dauer nichts her. Bücher, Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet: „Nothing was delivered“, wie The Byrds schon 1968 feststellten. Selbst wenn er möchte, kann der Wal von Welt unter Seinesgleichen also nie mit frisch Angelesenem blöffen.

Genau das unterscheidet ihn von, zum Beispiel, mir. Ich weiss, dass ein Blauwal bis zu 33 Meter lang und 190 Tonnen schwer werden kann und täglich 480 000 Kilokalorien Nahrung verputzt. Als ich auf den Kanaren im letzten Winter einmal 30 Kilometer weit lief, verlor ich 5500 Kilokalorien. Wenn ich loswerden möchte, was ein Wal an einem Tag frisst, wäre ich also fast drei Monate lang unterwegs. Für all jene, dies mit dem räumlichen Denken nicht so haben: Drei Monate entsprechen der Grösse von 6626 Fussballfeldern.

Und damit: Weg vom Homeschooling und huschhusch hin zum nackten Überleben.

Mit Zucht und Ordnung, strengster Selbstdisziplin und klaren Strukturen lässt sich der tödlichen Coronalangeweile auch in einem Einpersonen-Haushalt – also: wenn 24/7, und das monatelang, niemand da ist, der einen einfach mal in den Arm nimmt, einem gelegentlich ein tröstendes Wort ins Ohr flüstert oder dann und wann ohne besonderen Anlass ein Cordon bleu unter die von bitteren Tränen durchnässte und total versalzkrustete Bettdecke schiebt – das eine und andere Schnippchen schlagen.

Das mit Abstand Wichtigste ist, die Zeit in möglichst kleine Etappen zu gliedern. Je winziger die einzelne Strecke ist, desto schneller hat man sie absolviert und desto häufiger durchflutet einen das wohlige Gefühl, soeben etwas elementar Nützliches erledigt zu haben.

Mein Tagesablauf sieht – Stand heute – wie folgt aus:

4 Uhr: Augendeckel hochklappen.

4.01 bis 4.02 Uhr: Bettdecke wegstrampeln und aufstehen.

4.02 bis 4.03 Uhr: Süüferli die Treppe zum Wohnzimmer hinuntersteigen.

4.03 bis 4.04 Uhr: Kafimaschine anschalten und aufwärmen lassen.

4.04 bis 4.05 Uhr: Erstes Kafi rauslassen.

4.05 bis 4.16 Uhr: Kafi trinken, iTunes hochfahren und überlegen, mit welcher Musik ich in den Tag starten will (meist läufts auf die Eagles, Thegiornalisti, die Dire Straits, Gary Moore, J.J. Cale oder sonst etwas hinaus)

4.16 bis 4.18 Uhr: Zweites Kafi rauslassen.

4.18 bis 4.27 Uhr: Zweites Kafi trinken.

4.28 bis 4.32 Uhr: Auf dem Balkon erste Zigi rauchen; das Schloss bewundern.

4.32 bis 4.42 Uhr: Internet checken.

4.42 bis 4.51 Uhr: Auf dem Balkon zweite Zigi rauchen; das Schloss bewundern.

4.51 bis 5 Uhr: Leibesertüchtigungen (fakultativstens).

5 bis 5.16 Uhr: Rasieren, duschen, abtrocknen, Zähneputzen, Tenü des Tages auswählen (wichtig: etwas Ordentliches; ja nicht den Trainer!), anziehen, Krawatte festzurren, kämmen.

5.16 bis 11.15 Uhr: Über das grosse Ganze nachdenken; auf dem Balkon etliche Zigis rauchen; das Schloss bewundern.

11.15 bis 11.32 Uhr: Kochen.

11.32 bis 11.58 Uhr: Mittagessen.

11.58 bis 14.45 Uhr: Verdauen, über das grosse Ganze nachdenken II, auf dem Balkon etliche Zigis rauchen; das Schloss bewundern.

14.45 bis 14.58 Uhr: Zeit zur freien Verfügung.

14.58 bis 15.34 Uhr: Einkaufen.

15.34 bis 15.37 Uhr: Einkäufe in den 4. Stock hochschleppen.

15.37 bis 15.42 Uhr: Einkäufe verstauen.

15.42 bis 15.46 Uhr: Newsletter („Profitieren Sie jetzt…!“) löschen.

15.46 bis 18 Uhr: Über das grosse Ganze nachdenken III, auf dem Balkon noch mehr Zigis rauchen. Das Schloss bewundern; dem Nachbarn zuwinken.

18 bis 18.10 Uhr: Kochen.

18.10 bis 18.25 Uhr: Nachtessen.

18.25 bis 23.30 Uhr: Verdauen, fernsehen, auf dem Balkon letzte Zigis rauchen; das Schloss bewundern.

23.30 bis 4.00 Uhr: Schlafen.

Das Nachdenken über das grosse Ganze strengt mich bisweilen an. Ich bin das nicht mehr gewöhnt. Dann schalte ich mein Gehirn aus, schreibe etwas in den Blog oder setze via Facebook dringliche Depeschen ab.

Hin und wieder frage ich per Whatsapp oder Mail Leute, die mir wichtig sind, wie es ihnen geht. Daraus ergeben sich manchmal längere Unterhaltungen und manchmal nicht. Solange ich den Antworten entnehmen darf, dass am anderen Ende der Glasfaserleitung plusminus alles in Ordnung ist, spielt es für mich keine Rolle, ob sie als Roman daherkommen oder als Emoji.

Einmal pro Woche wasche ich meine Wäsche, spüle ich das Geschirr, leere ich den Briefkasten, giesse ich die fünf Pflanzen, die mir Sibylle Gosteli, die beste Floristin zäntume, kurz vor dem Lockdown vorbeigebracht hat, und sauge ich Staub.

Tipp am Rande: Wer die Planzen saugt und den Boden giesst, kann alle sieben Tage eine halbe Stunde mehr totschlagen.

Das Einkaufen ist anders geworden, oder vielmehr: auch das Einkaufen. Als ich neulich meine Behausung verliess, um bei Giusy gegenüber ein paar sizilianische Spezialitäten zu posten, kam mir das gspässig vor; als ob es Jahre her wäre, dass ich zum letzten Mal einen Laden betreten hätte.

Einem Menschen gegenüberstehen und mit ihm einfach so ein paar Worte wechseln zu können, fühlte sich seltsam an. Wie ein Teenager beim ersten Date wusste ich nicht recht, was sagen, obwohl zumindest ein Thema ja auf der picobello desinfizierten Hand lag.

Wenn ich für heute Abend an ein Fest oder auch nur zu einem Nachtessen mit mehr als vier Personen eingeladen wäre – ich bin mir nicht sicher, ob ich zusagen würde. Ich habe es mir in meinem Alleinsein bequem gemacht, ohne, dass ich es mir darin bequem machen wollte.

Zu Beginn des Daheimbleibphase hatte ich mir vorgenommen, mein Leben so normal wie möglich weiterzuführen. Mit diesem Ziel vor Augen marschierten auch andere ins grosse Nichts des kollektiven Ansteckungskurverunterdrückens los.

Am Anfang meldeten sich hin und wieder Geschäftspartnerinnen und -partner, um mir mitzuteilen, sie hätten leider – „Sie wissen ja“ – gerade keine Aufträge für mich, würden mir aber Bescheid geben, sobald sich wieder etwas ergebe.

Diese Unterhaltungen hatten etwas Surreales: Den Anrufenden war genauso klar wie mir, dass „sobald“ über Nacht zu einem sehr dehnbaren Begriff geworden war. Dass „sobald“ im besten Fall Mitte Mai heissen, aber, wenns ganz dumm läuft, auch „nie mehr“ bedeuten kann.

Trotzdem taten beide Parteien, als ob sich sich bloss voneinander verabschieden würden, bevor sie ihre Büros für zwei Wochen Sommerferien schliessen.

Nach gut einer Woche wars mit derlei Gesprächen vorbei. Seither gab es Tage, an denen ich erst nach dem Mittag erstmals mit jemandem redete, weil vorher weder jemand mich anrief noch ich das Bedürfnis hatte, jemanden aus dem Wachkoma zu reissen.

Auf einem Haus nebenan sind Handwerker damit beschäftigt, das Dach neu zu decken. Früher – ich merke gerade: das klingt, als ob ich über meine Primarschulzeit berichten würde – wäre mir der Lärm, der entsteht, wenn ein Sack voller Ziegel aus zehn Metern Höhe in eine Abfallmulde kracht, in all den anderen Geräuschen, die mich umgaben, kaum aufgefallen. Jetzt, wo ansonsten weit und breit nichts zu hören ist, zucke ich jedesmal zusammen, wenns scheppert und klirrt.

Sobald die Handwerker Pause oder Feierabend haben, herrscht um mich herum eine Stille, die ich bisher nicht kannte. Sie stört mich nicht im Geringsten, im Gegenteil: Ich beginne mehr und mehr, sie zu schätzen.

Sie wird mir fehlen, wenn die Normalität – was auch immer dann als „Normalität“ bezeichnet werden kann – irgendwann unseren Alltag zurückerobert haben wird und unsere Hamsterräder wieder so laut surren, dass man das eigene Wort nicht mehr versteht.

Dann wird sich der eine oder die andere zwischendurch vielleicht auch nicht ganz frei von Wehmut an den Frühling des Jahres 2020 erinnern, in dem das hemmungslose Zuhauseherumsiffen kein Zeichen von Faulheit, sondern eine vom Staat verordnete Pflicht war.