Vom Albtraum zum Weihnachtsmärchen

Der Videoclip wirkt, als ob er gestern gedreht worden wäre. Dabei ist er schon beinahe zehnjährig:

Hauptdarstellerin ist Gunvor Guggisberg.

Das heisst: nein. Hauptdarsteller sind all jene, die der Sängerin und siebenfachen Schweizer Meisterin im Stepptanzen das Leben in den Jahren zuvor zur Hölle gemacht hatten.

Los war es damit gegangen, dass der „Blick“ 1998, unmittelbar vor Gunvors Auftritt am Eurovision Song Contest – der damals noch „Concours Eurovision de la chanson“ hiess – Nacktbilder der damals 23-Jährigen publizierte. Diese waren von einem luschen Fotografen mit dem Einverständnis der jungen Frau geschossen worden. Von einem Verkauf der Bilder an den „Blick“ war jedoch nie die Rede gewesen. Der Fotograf wurde später wegen verschiedener Mileu-Delikte zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt.

Vor einem zig millionenköpfigen Publikum ging Gunvor am europäischen Gesangswettberb mit „Lass ihn“ leer aus. Dafür brachen auf dem Boulevard alle Dämme: Jedes noch so intime Detail aus dem persönlichsten Bereich der Bernerin wurde mit einer bis dahin selten gesehenen Gnadenlosigkeit an die Öffentlichkeit gezerrt.

Gunvor tauchte ab.

Und wieder auf.

Im Musical „Storm“ spielte sie die

gunvorstorm

lesbische Geschäftsfrau Eve.

Später realisierte sie den oben gezeigten Videoclip, der Abrechnung, Psychohygiene und Gegendarstellung in einem gewesen sein dürfte. Und sie nahm das Doppelalbum „From A to Z“ auf.

All diese Aktivitäten zeigten: Da lässt sich eine ungeahnt starke Person von nichts und niemandem zu Boden drücken. Da steht eine Frau immer wieder auf. Da weiss eine Künstlerin, dass das letzte Wörtchen noch lange nicht gesprochen ist.

Und dass, wenn überhaupt, sie diejenige sein wird, die dieses Wörtchen spricht.

Doch trotz aller Bemühungen und ungeachtet ihrer von niemandem bestrittenen gesanglichen Fähigkeiten blieb sie für die Masse „die mit den null Punkten am Concours“. Die mit den Fotos und den Sexgeschichten und den Schulden und allem.

Der ganz grosse Durchbruch blieb aus. Auch von meinem Radar war Gunvor Guggisberg irgendwann verschwunden.

Aber dann…dann schlurfte ich vor ein paar Wochen planlos durchs Internet und stolperte dabei über den Facebook-Account einer gewissen „Gunvor Singer“. Es dauerte nicht lange, bis wir „Freunde“ waren.

Ich schrieb ihr, dass ich „From A to Z“ gerne haben möchte, aber weder in Plattenläden noch bei iTunes finden könne. Sie antwortete, die CD werde nicht mehr produziert. Also stürmte ich so lange herum, bis sie mir versprach, mir eines der letzten Exemplare aus ihrem Privatbestand zu schicken.

Heute Morgen ging ich an den Briefkasten – et voilà:

Ich drehte das Päckli um und war sehr erfreut, als ich sah, von wem es stammte:

Darin befand sich, wie die Absenderin versprochen hatte, eine ihrer

offiziell gar nicht mehr erhältlichen CDs

plus

eine liebevoll signierte Autogrammkarte.

Die CD selber…ich weiss nicht. Ich habe vorhin versucht, Gunvor zu erklären, wie die zwei Silberscheiben in meinen Ohren klingen. „Wunderschön“ war alles, was mir dazu einfiel. Die Sängerin interpretiert darauf knapp drei Dutzend mehr und weniger bekannte Lieder auf eine Weise, die – Achtung, Klischee! – Dauergänsehaut verursacht.

Bemerkenswert, aber wenig erstaunlich ist: Gunvor Guggisberg scheute für „From A to Z“ kein Risiko. Sie muss, als sie ins Studio ging, gewusst haben, wie gross die Gefahr ist, an Herausforderungen wie „Nothing compares 2 u“, „Endless love“, „Heaven help my heart“ oder „Power of love“ zu scheitern. Wer einen dieser Songs falsch gesungen hört, wird ihn sich nachher auch im Original nie wieder antun.

Doch Gunvor liess sich durch diese Vorgabe nicht beirren: Sie nahm die selbst aufgestellten hohen Hürden scheinbar locker und leicht – und schaffte es darüberhinaus noch, jedem einzelnen Lied eine ganz persönliche Note zu geben.

Im Moment weilt Gunvor, wie ich ihren Nachrichten auf Facebook entnehme, in Berlin. Sie schreibt über Treffen mit ihrem neuen Manager, Aufnahmen im Tonstudio, Videodrehs und andere Engagements und weist regelmässig darauf hin, wann sie wo auftritt. All diese Ankündigungen lassen darauf schliessen hoffen, dass sie auf dem besten Weg zurück ist ins ganz helle – und diesmal hoffentlich schattenlose – Rampenlicht. Wenn sie nichts Geschäftliches postet, lässt sie die Welt wissen, wie rundum glücklich sie mit ihrem Leben sei.

Fest steht: Am 10. Mai tauft sie ihre neue Single. Und Mitte Dezember träumt sie ihren eigenen „Weihnachtstraum“ im Winterzirkus in Wettingen.

Aus einem Alb- einen Weihnachtstraum zu machen: das schaffen nicht sehr viele Menschen.

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.