Im sandinavischen Winter

Glühwein statt Glace und Faserpelz statt FKK: Auf Gran Canaria herrscht tiefster Winter.

Das heisst: abrupte Temperaturstürze auf bis zu 18 Grad, nächtliche Nieselregen und tagsüber Winde, die alles, was herumsteht, -sitzt und -liegt, porentief saharasandstrahlen.

Das „Calima“ genannte Phänomen habe mit dem Klimawandel rein gar nichts zu tun, versicherten meine Gewährsleute in der „Klamotte“ schon bei meinem ersten Aufenthalt hier. Das gehe seit Millionen von Jahren so, immer im Januar und Februar und manchmal auch im März, und sei folglich kein Grund zur Panik.

Das Gute daran ist: Wenns z Grächtem chuutet u hudlet, wie die Bernerin und der Berner sagen, ergibt das Maskentragen im Freien auf einmal auch dann einen Sinn, wenn man nicht Schulter an Schulter in Rudeln umherstreift.

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Wenn mans ganz genau nehmen würde (woran ich jedoch nicht im Traum denke), müsste ich den nächsten Flug zurück in die Schweiz buchen. Nicht wegen des Wetters, sondern wegen sonst. Einer der Hauptgründe dafür, auch in diesem Jahr für ein paar Wochen nach Gran Canaria auszuwandern, war für mich bekanntlich oder auch nicht der Umgang meiner Landsleute mit Corona im Allgemeinen und das helvetische Endlostheater um die Pandemiekämpfungsmassnahmen im Besonderen. Kaum war ich auf der Insel angekommen, beschlossen unsere Diktatoren und Dikteusen Diktierenden die zuständigen Leute jedoch, fast alle Regeln schwuppdiwupp aufzuheben.

Nun sitze ich hier, im Openair-Beizli des Hotels, in dem ich mein Homeoffice eingerichtet habe, mit einer Maske am Handgelenk, dem Impfzertifikat hinten rechts in der Hose und einem Plakat im Blickfeld, auf dem steht, was in Spanien wegen der Seuche erlaubt ist und was nicht (wenn ich Tess

wäre, würde ich den Inhalt des Aushangs mit „nüt tafme!“ zusammenfassen), und wundere mich in einem nicht als gering zu bezeichnenden Ausmass über etliche Medienschaffende in der fernen Heimat, die in den vergangenen Wochen nicht müde wurden zu betonen, dass Länder wie Spanien in Sachen „Lockerung“ schon sehr viel weiter seien als die Schweiz, dabei gelten hier immer noch plusminus dieselben strikten Vorschriften wie vor einem Jahr, als der Chäfer viel strüber wütete.

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Kleines Quiz zwischendurch: Welche Vogelarten sind auf den Kanaren am Verbreitetsten? Genau: Girlitze, Finken und Meisen. Insgesamt leben auf dem Archipel über 50 verschiedene Vögel. Mehr zum Thema gibts hier.

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Mein Inder ist nicht mehr da. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich nun mit Kleidern und allem eindecken soll. In den Umkleidekabinen des Swingerclubs schräg gegenüber käme ich sicher sehr preisgünstig zu Hosen, T-Shirts und Duschzubehör. Nur verkehren da a) scheints ziemlich gspässige Leute und tut der Laden dem Vernehmen nach b) erst gegen Mitternacht auf. Dann schlafe ich tief und fest.

Als ich meinen Lieblingsverkäufer das letzte Mal sah, sprach er davon, einen Supermarkt zu eröffnen. Aber auch für ihn scheint gegolten zu haben, was schon so mancher Glücksritter vom Festland erfahren musste: Businesspläne lösen sich auf Gran Canaria schneller in Luft auf als, sagen wir, jene Meeresfrüchtesalätli, von denen ich mich in diesen Tagen hauptsächlich ernähre.

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Für leisen Kummer sorgt nebst dem Mangel an Shoppinggelegenheiten mein Handy. Ich weiss nicht, ob es auf einmal etwas gegen mich hat (was mich eingedenk dessen, was ich schon für ihns getan habe – schicke Hülle, Kratzschutz, nie unter 97 Prozent geladen, mit der besten Musik der Welt gefüttert – , sehr erstaunen würde), mit seinen Innereien etwas nicht stimmt oder es einfach nur pubertiert.

Tatsache ist: Ob in Burgdorf, Beinwil am See, Brisbane oder Baden (oder, um noch ein paar Ortschaften ohne B zu erwähnen: in London, Paris, Maskat oder Aefligen) – wo auch immer ich war und bin, zeigt(e) es mir meinen Standort an. Hier hingegen, in Playa del Inglés, der inoffiziellen Hauptstadt der LBGQRSTUVWXYZ-Bewegung, ignoriert es kalten Chips alles, was ich ihm zu den Themen „Toleranz“, „Gendern“ und „Wokeness“ zu vermitteln versuchte:

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A propos „Pubertieren“ und „Prognosen“: Es gibt Gespräche, deren Verlauf man, sobald man selber aus dem Gröbsten heraus ist, vorhersagen kann, bevor der erste Satz gefallen ist. Eines davon bekam ich gestern Nacht von meinem Balkon aus mit:

Gegen halb drei kehrten drei Frauen, die sich noch lange keine Gedanken darüber machen müssen, was sie an der Jungbürgerfeier anziehen könnten, zum Hotel zurück. Begleitet wurden sie von zwei ungefähr gleichaltrigen Herren. Eine der Damen ging zum geschlossenen Eingang, um den Nachtportier herauszuläuten. Auf dem Trottoir versuchten die *räusper* Männer derweil, sich last minute Zugang zu den Herzen Zimmern der Damen zu verschaffen:

„Na? Wollnma noch was trinken?“

„Nö, muss nich sein. Wir sind müde.“

„Da gibts doch ne Bar da drin, so gross wie das ist.“

„Nö. Da is nix. Wir sind müde.“

„Hm…“

(Allgemeines Zubodenstarren)

„Sehn ma uns morgen wieda?“

„Vielleich.“

„Vielleich is nich.“

„Morgen gemma mitnem Schiff Delfine gucken. Keine Ahnung.“

„Wär schön.“

„…“

„Sehn ma uns späta?“

„Mal sehn. Wir sind müde.“

„Alles kla. Schön wärs.“

„Kann sein. Weiss nicht.“

„Na dann…“

„Na dann…“

„Schönen Abend noch. Und viel Spass aufm Schiff.“

„Danke, ihr auch.“

(Abgang der Herren. Kaum sind sie ausser Hörweite, sagt eine der Frauen: „Keine Angst, Mädels. Uns fällt schon was ein.“ Grosses Hallo, als der Portier kommt. Dann: Stille vor dem Haus.)

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Zum Schluss, völlig zusammenhanglos, wie eigentlich alles hier: Im Taxi hörte ich dieses Lied. Der Fahrer sagte, da sei alles drin, was die original echte kanarische Musik ausmache. Ich find es irgendwie cheibe guet, auch weil es zeigt, was Schönes passieren kann, wenn viele Menschen unmaskiert etwas miteinander unternehmen.

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