Kaputtes Spielzeug, defekte Möbel, zerfledderte Bücher, durchgetretene Skateboards oder ausgeschaubte DVD’s: Ein Kiesplatz in unserem Quartier wird von Anwohnerinnen und Anwohnern regelmässig als Sperrgutdeponie zweckentfremdet. Vieles ist mit „Gratis“ beschriftet und anderes mit „Zum Mitnehmen“. Manches steht einfach so da, nicht selten tagelang.
Pünktlich zu Ostern wurden wir nun mit einer besonders grossen Überraschung bedacht:
Millionen von Franken, Tonnen von Kleidern und Spielsachen, Quadratkilometer von Wohnraum: Um Kriegsopfern in und aus der Ukraine zu helfen, scheuen zahllose Schweizerinnen und Schweizer weder Kosten noch Mühen.
Das sollte in einem der reichsten Länder auf dem Globus als selbstverständlich vorausgesetzt werden dürfen, ist es aber nicht: Wer sich an die mitleids- und würdelosen Diskussionen erinnert, die während der „Flüchtlingskrise“ 2015 geführt worden waren – damals strömten vor allem Menschen aus Syrien, Somalia, Eritrea und Afghanistan nach Europa – stellt fest, dass es offenkundig verschiedene Klassen von Vertriebenen gibt: geduldete und willkommengeheissene.
Diese Differenzierung bekommen auch die Flüchtlinge zu spüren, die seit 2020 in der Siedlung „Uferweg“ in Burgdorf lebten: Sie werden nun „fortlaufend in andere Regelstrukturen des Kantons platziert, damit die Unterkunftsplätze für Schutzsuchende aus der Ukraine zur Verfügung stehen“, wie es in einer Mitteilung des Kantons heisst.
Um die Betreuung kümmert sich soll sich die ORS Service AG kümmern. Zweifel daran, dass sie für diese Aufgabe qualifiziert ist, sinderlaubt.
Die stetig wachsende Gruppe der Helfenden lässt sich ebenfalls in zwei Lager unterteilen: Die meisten wirken im Stillen. Sie telefonieren und organisieren, füllen Formulare aus, zeigen ihren Gästen die Läden, Spielplätze und Poststellen in der Gegend, holen für sie Schulbücher vom Estrich, fahren mit ihnen in die Brocki, stocken die Kühlschränke immer wieder bis zum Anschlag auf und denken keine Sekunde daran, ihre Aktivitäten im Schaufenster der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Andere halten ihr Umfeld nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ fast rund um die Uhr via Instagram, Twitter oder Facebook und mit Newslettern über ihre Engagements auf dem Laufenden. Dagegen ist gemäss Andy Warhol nichts einzuwenden, nur: Die Selbstgefällig- und -rechtigkeit, die einige von ihnen dabei an den Tag legen, erachte ich – um es mit der gebotenen Zurückhaltung auszudrücken – als zunehmend bemühend.
Es kann nunmal nicht jede und jeder 5000 Franken für die Glückskette aus dem Ärmel schütteln. Es verfügen nicht alle über halbleerstehende Häuser. Nicht wenige Schweizerinnen und Schweizer hätten zweifellos die räumlichen, zeitlichen und finanziellen Kapazitäten, um Flüchtlinge zu beherbergen, ahnen aber, dass ad hoc-Wohngemeinschaften mit seelisch zum Teil schwerstverwundeten Menschen irgendwann zu einer Belastungsprobe für alle Beteiligten werden können.
Die Tücken der Instant-Solidarität schildert Miriam Behrens, die Chefin der Schweizer Flüchtlingshilfe, in einem leider kostenpflichtigen Interview mit der BZ. Nebst anderem sagt sie:
Falls jemand sich fragen sollte, ob er oder sie gerade richtig gelesen habe: Doch, doch – Behrens sagte tatsächlich, „es gibt Gastfamilien, die sich mehr Dankbarkeit wünschen“.
Offen bleibt, ob sie diese Dankbarkeit von den Menschen erwarten, die sie frei von Eigeninteressen zu unterstützen vorgeben.
Oder von den Leuten, denen sie Tag für Tag unter die Nase reiben, was für vorbildliche Mitbürgerinnen und Mitbürger sie doch sind.
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Nachtrag 27. Juni: Nicht völlig unerwartet sorgt die Firma ORS Service AG auch in Burgdorf für Schlagzeilen.
Von einem „Kopf an Kopf-Rennen“ sprach der vielbemühte „Politanalyst“ Mark Balsiger vor den Berner Regierungsratswahlen, als er auf Tele Bilingue gefragt wurde, wer die besseren Chancen habe: Astrid Bärtschi (Mitte) oder Erich Fehr (SP).
Bärtschi machte dann 22 000 Stimmen mehr als ihr Mitbewerber.
Für den Experten lag die Erklärung für die haushohe Niederlage des Bieler Stadtpräsidenten auf der Hand:
Bei strahlendem Sonnenschein entstiegen die Neuen gestern Nachmittag dem Car, der sie vom Flughafen zum Hotel gebracht hatte. Als sie heute Morgen aus dem Fenster guckten, mussten sie jedoch zur Kenntnis nehmen, dass es auch mitten auf den Kanaren regnen und kühl sein kann.
Statt am Pool zu dösen, am Strand zu sünnele oder mit dem Jeep zu den Kamelen zu safahren hiess es für sie: erstmal ausgiebigst zmörgele mit allem, was sie zuhause nie essen würden (Cipollata mit weissen Bohnen an Tomatensauce zum Beispiel samt Blattspinat und Rührei und einem Kiwisaft plus Schoggigipfel oder sonst etwas traditionell Spanisches) und dann, 13 Tage vor der Rückreise, die langen Hosen und Hoodies aus den eben im Schrank verstauten Koffern zu kramen und sich im überdachten Openairbeizli ein windgeschütztes Eggeli zu suchen, in dem sie sich für den Rest des Tages eher unterbegeistert Tätigkeiten hingaben, die sich als Zeittotschläger schon während der Lockdowns I und II bewährt hatten: der Lektüre eines „guten Buches“ (Charlotte Link) und dem Trunke (Serwessa für ihn, Moschito für sie).
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Überhaupt, die Lockdowns: Je länger sie zurückliegen, desto wehmütiger denke ich an die Monate zurück, in denen man all die Verhaltensauffälligen, die einem schon aus 150 Metern Distanz die Fremdschamesröte ins Gesicht treiben, sicher in deren eigenen vier und mehr Wänden verwahrt wusste.
Jetzt, wo die Coronaregeln zäntume aufgehoben wurden, kommen sie rudelweise aus ihren allviertelstündlich durchgelüfteten Löchern in England, Österreich, Schottland, Holland, Deutschland, Irland und – ja – der Schweiz gekrochen, um die grosse neue Freiheit zu geniessen und auszuleben, was sie unter „Normalität“ verstehen.
Aber gut: Wegen ihnen geht das Abendland nicht unter, und falls doch, hat es es halt nicht anders verdient. Dann legen wir uns, in lustige T Shirts
gewandet, eben mit in die Gruft, in der sich schon die alten Römer stapeln, und singen miteinander „I hätt no viu blöder ta„.
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Für jene Leserinnen und Leser, dies mehr mit guter Musik haben – hier sind drei nigelnagelneue Alben, die ich dringend zum Kauf oder zumindest zum Durchhören empfehle:
John Mayalls „The sun is shinging down“ dürfte – trotz des gelegentlichen Einsatzes einer Elektroukulele; was es nicht alles gibt! – einer der letzten grossen Würfe des Meisters aller Bluesrockklassen sein.
Bryan Adams‘ „So happy it hurts“ hält exakt, was der Titel verspricht und ermöglicht für wenig Geld eine gedanklich-emotionale Zeitreise in die glorreichen und sorgenarmen 80er des vergangenen Jahrhunderts (was sage ich: -tausends!).
Marillions „An hour before it’s dark“
ist einfach wunderschön; auch bei Tagesanbruch oder sonstwann.
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Wenn der Hotelmanager aus seinem freien Wochenende zurückkehrt und einen fragt, ob es mit der Gaschtig „irgendwelche besonderen Vorkommnisse“ gegeben habe, kann man sich fragen, ob man vielleicht scho chly lange hier sei, oder sich mit ihm über eine Festanstellung unterhalten.
Weil ich an meinem Budeli nach wie vor schwer den Plausch habe, trifft es sich so betrachtet ganz gut, dass der Abschied von der Homeoffinsel tatsächlich naht. Am Freitag um 15.40 Uhr landet meine Edelweiss-Maschine mit der Flugnummer LX 8201 in Zürich-Kloten. Gegen 16 Uhr schlurfe ich mit meinen Habseligkeiten am „Nichts zu verzollen/Rien à déclarer“-Schild vorbei in die Ankunftshalle (aber nein: es braucht mich wirklich niemand abzuholen), und schon zweieinhalb Stunden später höckle ich mit oberlässigen Menschen bei einem oberfeinen Znacht in einem obergemütlichen Restaurant.
In dem Zimmer, in dem ich gerade schreibe, hat sich bis dann jemand anders eingenistet. Er oder sie wird nie erfahren (oder sich auch nur peripher dafür interessieren), wer in den letzten zwei Monaten in seiner oder ihrer Unterkunft hauste und was diese Person hier tagein und -aus machte.
Das ist, irgendwie, kein völlig unseltsamer Gedanke. Aber vor allem einer, der aufs Schönste zeigt, dass die Chinesen mit ihrem Panda Rei schon richtig liegen.