„Schiinsch deheim z sii“, schrieb mir neulich eine Freundin (um Gerüchten vorzubeugen: eine, nicht meine), nachdem ich ihr mit einem Kurzfilm gezeigt hatte, wies in meinem Hotel aussieht. Auch wenn mein eigentliches Home da ist (und bleibt), wo dasCastle is – falsch liegt sie mit ihrer Vermutung nicht.
14 Wochen habe ich in nun schon als „remote worker“ vor der Küste Westafrikas verbracht. Bei einem Stromausfall würde ich mich in meiner Bleibe auf Zeit im Dunkeln zurechtfinden. Vom Direktor bis zu den Putzfrauen Facility Managerinnen kenne ich sämtliche Mitarbeitenden. Hin und wieder ergeben sich mit ihnen Gespräche, die zwei, drei Mü über das hinausgehen, was Hotelangestellte mit ihrer Kundschaft normalerweise besprechen:
Ich weiss, wo A baden geht, bin im Bilde über den Stand der sich nun schon über drei (in Worten: drei!) Jahre hinziehenden Umbauarbeiten am und im Haus von B, könnte das eine und andere Detail aus dem Leben der Familie C erzählen und wurde von D noch vor ihrem Chef darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie erwägt, sich beruflich neu zu orientieren.
Niemand macht ein Strichli, wenn ich mir in der Poolbar ein Kafi zapfe, und falls ich einen Extrawunsch an die Küche hätte – sagen wir: Wurstsalat – hiesse das, offene Türen nach Athen zu tragen, aber warum auch in den Wurstsalat schweifen, wenn das Gute liegt so nah?
(Zwiebeln und Chnobli in Suppengemüse andünsten. Muscheln dazugeben, Lorbeerblatt reinlegen. Mit Weisswein oder Bouillon ablöschen und aufkochen. Auf mittlerer Hitze ein Viertelstündchen garen. Ein Sprutz Zitrone sowie Kräuter oder Pesto oder nichts drüber – und fertig.)
Wobei: Ich bin nicht naiv. Mir ist bewusst, dass sich die Leute nicht in erster Linie wegen meines unwiderstehlichen Charmes oder meiner wunderschönen grünen Augen (+41 76 537 74 84) so liebevoll um mich kümmern, sondern, weil ich sie dafür bezahle.
Trotzdem: Nicht einer von zig Gästen zu sein, die erst umständlich einchecken (die ID, die sie dabei überraschenderweise vorzeigen müssen, ist grundsätzlich 5 Minuten lang unauffindbar und wann wo das Zmorge serviert wird, für jeden Neuankömmling von höchster Wichtigkeit) und zwei Wochen später ratternden Rollkoffers wieder verschwinden, fühlt sich gut an.
Glühwein statt Glace und Faserpelz statt FKK: Auf Gran Canaria herrscht tiefster Winter.
Das heisst: abrupte Temperaturstürze auf bis zu 18 Grad, nächtliche Nieselregen und tagsüber Winde, die alles, was herumsteht, -sitzt und -liegt, porentief saharasandstrahlen.
Das „Calima“ genannte Phänomen habe mit dem Klimawandel rein gar nichts zu tun, versicherten meine Gewährsleute in der „Klamotte“ schon bei meinem ersten Aufenthalt hier. Das gehe seit Millionen von Jahren so, immer im Januar und Februar und manchmal auch im März, und sei folglich kein Grund zur Panik.
Das Gute daran ist: Wenns z Grächtem chuutet u hudlet, wie die Bernerin und der Berner sagen, ergibt das Maskentragen im Freien auf einmal auch dann einen Sinn, wenn man nicht Schulter an Schulter in Rudeln umherstreift.
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Wenn mans ganz genau nehmen würde (woran ich jedoch nicht im Traum denke), müsste ich den nächsten Flug zurück in die Schweiz buchen. Nicht wegen des Wetters, sondern wegen sonst. Einer der Hauptgründe dafür, auch in diesem Jahr für ein paar Wochen nach Gran Canaria auszuwandern, war für mich bekanntlich oder auch nicht der Umgang meiner Landsleute mit Corona im Allgemeinen und das helvetische Endlostheater um die Pandemiekämpfungsmassnahmen im Besonderen. Kaum war ich auf der Insel angekommen, beschlossen unsere Diktatoren und DikteusenDiktierenden die zuständigen Leute jedoch, fast alle Regeln schwuppdiwupp aufzuheben.
Nun sitze ich hier, im Openair-Beizli des Hotels, in dem ich mein Homeoffice eingerichtet habe, mit einer Maske am Handgelenk, dem Impfzertifikat hinten rechts in der Hose und einem Plakat im Blickfeld, auf dem steht, was in Spanien wegen der Seuche erlaubt ist und was nicht (wenn ich Tess
wäre, würde ich den Inhalt des Aushangs mit „nüt tafme!“ zusammenfassen), und wundere mich in einem nicht als gering zu bezeichnenden Ausmass über etliche Medienschaffende in der fernen Heimat, die in den vergangenen Wochen nicht müde wurden zu betonen, dass Länder wie Spanien in Sachen „Lockerung“ schon sehr viel weiter seien als die Schweiz, dabei gelten hier immer noch plusminus dieselben strikten Vorschriften wie vor einem Jahr, als der Chäfer viel strüber wütete.
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Kleines Quiz zwischendurch: Welche Vogelarten sind auf den Kanaren am Verbreitetsten? Genau: Girlitze, Finken und Meisen. Insgesamt leben auf dem Archipel über 50 verschiedene Vögel. Mehr zum Thema gibts hier.
Mein Inder ist nicht mehr da. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich nun mit Kleidern und allem eindecken soll. In den Umkleidekabinen des Swingerclubs schräg gegenüber käme ich sicher sehr preisgünstig zu Hosen, T-Shirts und Duschzubehör. Nur verkehren da a) scheints ziemlich gspässige Leute und tut der Laden dem Vernehmen nach b) erst gegen Mitternacht auf. Dann schlafe ich tief und fest.
Als ich meinen Lieblingsverkäufer das letzte Mal sah, sprach er davon, einen Supermarkt zu eröffnen. Aber auch für ihn scheint gegolten zu haben, was schon so mancher Glücksritter vom Festland erfahren musste: Businesspläne lösen sich auf Gran Canaria schneller in Luft auf als, sagen wir, jene Meeresfrüchtesalätli, von denen ich mich in diesen Tagen hauptsächlich ernähre.
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Für leisen Kummer sorgt nebst dem Mangel an Shoppinggelegenheiten mein Handy. Ich weiss nicht, ob es auf einmal etwas gegen mich hat (was mich eingedenk dessen, was ich schon für ihns getan habe – schicke Hülle, Kratzschutz, nie unter 97 Prozent geladen, mit der besten Musik der Welt gefüttert – , sehr erstaunen würde), mit seinen Innereien etwas nicht stimmt oder es einfach nur pubertiert.
Tatsache ist: Ob in Burgdorf, Beinwil am See, Brisbane oder Baden (oder, um noch ein paar Ortschaften ohne B zu erwähnen: in London, Paris, Maskat oder Aefligen) – wo auch immer ich war und bin, zeigt(e) es mir meinen Standort an. Hier hingegen, in Playa del Inglés, der inoffiziellen Hauptstadt der LBGQRSTUVWXYZ-Bewegung, ignoriert es kalten Chips alles, was ich ihm zu den Themen „Toleranz“, „Gendern“ und „Wokeness“ zu vermitteln versuchte:
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A propos „Pubertieren“ und „Prognosen“: Es gibt Gespräche, deren Verlauf man, sobald man selber aus dem Gröbsten heraus ist, vorhersagen kann, bevor der erste Satz gefallen ist. Eines davon bekam ich gestern Nacht von meinem Balkon aus mit:
Gegen halb drei kehrten drei Frauen, die sich noch lange keine Gedanken darüber machen müssen, was sie an der Jungbürgerfeier anziehen könnten, zum Hotel zurück. Begleitet wurden sie von zwei ungefähr gleichaltrigen Herren. Eine der Damen ging zum geschlossenen Eingang, um den Nachtportier herauszuläuten. Auf dem Trottoir versuchten die *räusper* Männer derweil, sich last minute Zugang zu den Herzen Zimmern der Damen zu verschaffen:
„Na? Wollnma noch was trinken?“
„Nö, muss nich sein. Wir sind müde.“
„Da gibts doch ne Bar da drin, so gross wie das ist.“
„Nö. Da is nix. Wir sind müde.“
„Hm…“
(Allgemeines Zubodenstarren)
„Sehn ma uns morgen wieda?“
„Vielleich.“
„Vielleich is nich.“
„Morgen gemma mitnem Schiff Delfine gucken. Keine Ahnung.“
„Wär schön.“
„…“
„Sehn ma uns späta?“
„Mal sehn. Wir sind müde.“
„Alles kla. Schön wärs.“
„Kann sein. Weiss nicht.“
„Na dann…“
„Na dann…“
„Schönen Abend noch. Und viel Spass aufm Schiff.“
„Danke, ihr auch.“
(Abgang der Herren. Kaum sind sie ausser Hörweite, sagt eine der Frauen: „Keine Angst, Mädels. Uns fällt schon was ein.“ Grosses Hallo, als der Portier kommt. Dann: Stille vor dem Haus.)
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Zum Schluss, völlig zusammenhanglos, wie eigentlich alles hier: Im Taxi hörte ich dieses Lied. Der Fahrer sagte, da sei alles drin, was die original echte kanarische Musik ausmache. Ich find es irgendwie cheibe guet, auch weil es zeigt, was Schönes passieren kann, wenn viele Menschen unmaskiert etwas miteinander unternehmen.
Während ein paar Gedenkstunden für den kürzlich verstorbenen Meat Loaf wurde mir bewusst: Wenn jetzt ein Ausserirdischer neben mir stehen und sagen würde, ich hätte genau 12 Minuten, um ihn für Musik zu begeistern, und wenn mir das nicht gelinge, nähmen er und seine Gspändli an mir Experimente vor, die sehr, sehr weit über das hinausgingen, was Die Regierungen im Verbund mit Der Pharmaindustrie und Den Medien gerade mit der Menschheit veranstalten – ich wüsste, was ich mieche: