Ganz alleine auf der Welt

22.40 Uhr: Ich gehe ins Bett.

0.00 Uhr: Starre immer noch an die Decke. Der Magen spinnt. Er weiss, dass ich abnehmen will. Heute habe ich damit begonnen. Würste? Schoggi? Weissbrot und Greyerzer? Chasch dänke. Stattdessen: Müesli, Knäcke, Hüttenkäse. Und mehr Bewegung. Das macht ihn hässig.

0.42 Uhr: Es hat keinen Sinn. Ich beschliesse aus dem fast hohlen Bauch heraus, aufzustehen.

0.43 Uhr: WC. Die erste Sitzung des noch sehr jungen Tages. Wenn ich der Tag wäre, würde ich grummeln: „Super Start. Vielen Dank auch. Wollen wir nicht noch einmal von vorne anfangen?“

0.47 Uhr: Was jetzt?

0.48 Uhr: Ich brenne für einen Kollegen „Ending on a high note„, das letzte (und fantastische) Doppelalbum von A-ha.

0.57 Uhr: Krämpfe. Wasser kochen für einen „Beste Freundinnen-Tee“.

1.05 Uhr: „1 gegen 100“ auf Schweiz 1. Noch nie gesehen. Sven Epiney hat gealtet. Die grauen Haare stehen ihm aber gar nicht so schlecht. Oh: Das ist ja René Rindlisbacher.

1.14 Uhr: Im NDR diskutiert „Beckmann“ mit Gästen über Guido Westerwelle. Es geht irgendwie darum, dass keine fünf Prozent der FDP-Wähler einen Tsunami vor Japan ausgelöst haben, weshalb in Libyen jetzt ein erbitterter Kampf um Herbert Grönemeyers neue CD tobt. Als ich Grönemeyer zum ersten und letzten Mal leibhaftig vor mir sah, stand er auf der Bühne der halb ausverkauften Mehrzweckhalle in Zofingen und sang über Männer. „Klarer Fall von One-Hit-Wonder“, dachte ich damals. Henu.

1.23 Uhr: Auf RTLII gibts „Ärger im Revier„. Hauptdarsteller ist ein Pole, der „ohne güldigen Füroschein“ in Deutschland unterwegs war und der jetzt, auf dem Polizeiposten, chli renitent tut. „Do hob ich kein Bock drauf“, sagt ein Beamter. Der Pole ist schwer beeindruckt.

1.31 Uhr: Feiner Tee. Gut, habe ich gleich einen ganzen Krug voll gemacht. Sollte ihn noch ein Weilchen ziehen lassen, mag aber nicht warten.

1.50 Uhr: Der Ärger im Revier nimmt kein Ende. Wegen „Sochbeschädigung“ fahnden Polizisten in einem etwas trostlos wirkenden Quartier erfolgreich nach „rechten Schlägern“. Einer der Neonazis erhält einen „Blotzverweis“ und macht sich vom Acker. Wenn das vor 70 Jahren nur auch so einfach gegangen wäre. Ein Zehnjähriger kann von Beamten in letzter Sekunde daran gehindert werden, seinen Hamster an die Wand zu werfen. Das sind sie wohl, die „blühenden Landschaften„.

1.54 Uhr: Wie getrunken, so gestunken.

2.02 Uhr: Im Vatikan habe es einen „geheimen Lustgarten“ gegeben, berichtet Arte. Die Päpste seien „wirklich grosse Sammler“ gewesen, sagt ein Sprecher. Sie hätten „alles gesammelt; auch Erotisches und Sexuelles“.

2.03 Uhr: Nimm das, Benedikt, und such mit Urbi und Orbi beim Deutschen Sportfernsehen zusammen, was dir in der Sammlung noch fehlt!

2.05 Uhr: Start eines Mailversuchs an die Bald-Verwandtschaft in Australien.

2.23 Uhr: Abbruch des Mailversuchs. Was es zu sagen gibt, haben mein Schatz und ich Nat, Sylvie und Eric schon am Sonntagmorgen am Telefon gesagt. But if you’re reading this, mates: You’re simply the fuckin‘ best!!!

2.35 Uhr: 131 „Freundinnen“ und „Freunde“ auf Facebook und dazu (oder vor allem) ein paar ohne Anführungszeichen im richtigen Leben. Aber wenn man mal einen oder eine brauchen könnte: tja. Kein Schwein ruft mich an. Niemand hat mich gern. Ich fühle mich ganz alleine auf der Welt.

2.37 Uhr: Zurück ins Bett. „You can get it if you really want“, behauptet Jimmy Cliff.

3.12 Uhr: Heieiei. „You can’t always get what you want“, wissen die Rolling Stones.

3.20 Uhr: Teatime mit Lou Reed.

3.22 Uhr: Von meinem Fenster aus sehe ich in fünf Unterstadt-Wohnungen Licht brennen. Aus zwei Zimmern flackert bläulich ein Fernseher. Was machen die Leute um diese Zeit? Man sollte einfach hinuntergehen, klingeln und fragen. Man sollte noch vieles. Schlafen, zum Beispiel. In fünf oder sechs Stunden werde ich auf der Redaktion erwartet.

3.26 Uhr: Schon wieder. Die hausgemachte „Tropfenmischung Leber-Galle“ von der Drogerie Ryser wirkt wie verrückt. Sie wandelt das Fett, das man trotz aller Fettaufnahmeverhütungsmassnahmen zu sich genommen hat, in Wasser um, das gleich durch die Kanalisation rauschen wird. Wieso erkennt man die Wunder dieser Welt mitten in der Nacht besser als am helllichten Tag? Und wieso kann man sich über diese Wunder trotzdem nicht so richtig freuen, weil…Moment.

3.36 Uhr: Internetrecherche auf fremdem Terrain. Ich brauche in diesem Jahr vermutlich zwei Hochzeitsanzüge. Am 13. Mai heiraten unsere Trauzeugen, irgendwann später dann Chantal und ich. Eines meiner Bürogespändli sagte, das bringe nichts und koste nur viel, zwei Anzüge zu postenn. Ich soll mich doch beim Stadttheater Bern erkundigen, ob sie in ihrem Fundus nicht etwas zum Ausleihen hätten. Bei jedem anderen Fest würde ich mir das überlegen. Aber in diesen Fällen…ich weiss nicht. Das heisst: Natürlich weiss ich. Das geht nicht, mit Theaterklamotten. Dann könnte ich für unseren grossen Tag auch gleich die Eheringe mieten.

3.43 Uhr: Liegts am Tee? Was macht einen Tee zum „Beste Freundinnen-Tee“? Was genau hats da drin? Wonach duften beste Freundinnen? Warum haben eigentlich Frauen immer beste Freundinnen und Männer nur selten beste Freunde? Weil die Männer Angst haben, gleich als schwul zu gelten, wenn sie sagen, „Fritz ist mein bester Freund?“ Falls ja: Was sagt das über die Männer im Allgemeinen aus? Und über Fritz im Besonderen?

4.00 Uhr: Eine gute Zeit, wenn amänd auch nicht unbedingt die passende Gelegenheit, um der Öffentlichkeit einen Blick in meinen Kühlschrank zu erlauben.

4.02 Uhr: Nächstes Mal schreibe ich von Anfang auf dem WC.

4.06 Uhr: Bauer sucht Frau. Journalist hat gefunden, und erst noch die beste von allen!!!

4.13 Uhr: Tea for one.

4.16 Uhr: Sehr wichtig: Zwischenmahlzeiten, damit der Bauch immer chli öppis zu tun hat. Die Frage ist nur: links- oder rechtsgebogen? Und: Wie schlau ist das, jetzt?

4.17 Uhr: Der Nachrichtensender N-TV berichtet über einen Comicfilm von Arnold Schwarzenegger. Hochinteressant.

4.20 Uhr: Ärger im Revier; diesmal unter Katern im alten Markt.

4.27 Uhr: Bald habe ich die Burgdorfer Kanalisation im Alleingang amortisiert.

4.29 Uhr: Ein Blinklicht am Himmel. Schöne Ferien, ihr Säcke!

4.31 Uhr: Was bloggen andere? Stefan Niggemeier zersägt die „Bunte“-Chefin, Herm würdigt gewohnt liebenswürdig den „Jubiläums-Musikantenstadl“ (hoffentlich liefert er bald Teil 2), Lukas Heinser blickt auf das erste Musikquartal 2011 zurück. Sehr lesenswert, alle drei; wie immer, eigentlich. Ebenfalls zu empfehlen: Die Stellungnahme der Schweizer PresserätInnen zur AuseinandErSiesetzung zwischen der gleichstellenden Doris Stump und dem „Blick“. Ich hätte dem „Blick“ – auch als Nicht-Elter – ein milderes „Urteil“ gegönnt.

4.37 Uhr: „Die folgende Sendung ist für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet.“ – Hopperla. Umschalten.

4.37 Uhr: Telebärn präsentiert die allwöchentliche Musig-Stubete. „Ich habe dich so lang vermisst, wusste, dass es Liebe ist“, singen „Silberstern“, und machen damit viele Menschen glücklich:

4.58 Uhr: Ein Kafi wäre ein Kafi wäre ein Kafi. Ich bleibe beim Tee. Der Magen zickt immer noch herum. Vielleicht hätte ich doch die rechtsgebogene Banane nehmen sollen.

5.26 Uhr: Ich will ja nicht jammern, tus aber trotzdem. Langsam wirds chli mühsam. Auch für die Leute im Wasserwerk, die jetzt nichts Böses ahnend ihren Dienst antreten.

6.26 Uhr: Die kühle Luft riecht wie frisch gewaschen. In den Bäumen und Sträuchern erwachen die Vögel. Unten, auf der Hauptstrasse, rauschen Lastwagen vorbei. An der Tankstelle stehen drei Autos. Hinter immer mehr Fensterläden und Vorhängen wirds hell. Langsam verblassen die Sterne. Der Magen? Ist immer noch stinksauer.

Aber:

The dark side of the Nachbarschaft

Bei allem Verständnis dafür, dass Katzen im Frühling noch anderes zu tun haben, als auf der Strasse zu sitzen und auf Menschen zu warten, denen sie um die Beine streichen können: Langsam mache ich mir ernsthaft Sorgen um unseren Quartiertiger.

Seit Wochen fehlt von ihm jede Spur. Merkwürdig ist: Das scheint, ausser mich und Chantal, keinen Menschen zu erstaunen. Es hängen keine „Vermisst wird…“-Plakätchen an Gartenzäunen und Hauswänden, es gibt keine Fahndungsaktionen am Radio und auf Telebärn, es kommt niemand am hellichten Tag klingeln und mit sorgenvoller Miene fragen, ob man vielleicht zufälligerweise… .

Nichts dergleichen passiert. Das Leben im alten Markt geht seinen gewohnten Gang.

Was kann das bedeuten? Dass „unsere“ Katze immer mal wieder wochenlang verschwindet, ohne zumindest eine Notiz zu hinterlassen, auf der steht, wann ungefähr sie wieder zurückkehrt?

Oder dass unsere Nachbarn gar nicht so freundlich sind, wie wir bisher dachten? Haben sie die Katze dem Besitzer des China-Restaurants in der Schmiedengasse verkauft? Oder sie in einer stockfinsteren Neumondnacht auf einem kalten Steinaltar unter dem Schloss, stundenlang Unverständliches murmelnd, irgendwelchen Oberstadtgöttern geopfert? Wenn ja: Welchen? Und wozu?

Ich merke gerade: Das bringt nichts, dieses Nachdenken. Es macht mich halb konfus. Es…wenn… qrk.tatsächlich…Kerzen…CRASHBOOMBANG!…in spirito santo…9eoriu h8w7 zewrw…///////+dontthinktwiceit’sallrightthetimestheyareachangin’…!hmpf!^…Wuhaaaaaaahihi…£==$$ösdfk,;52&%*….NIFlug538***CHT!!!…zi….

Die Freuden mit den „Freunden“

Nicht alle Leserinnen und Leser dieses Blogs sind BZ-Abonnentinnen und -enten. Und nicht alle sind bei Facebook.

Als kleiner Service für diese beiden Randgruppen stelle ich hier der Vollständigkeit halber noch rein, was ich in der BZ neulich über Facebook und die Leute, die auf Facebook miteinander verkehren, geschrieben habe.

Vom Albtraum zum Weihnachtsmärchen

Der Videoclip wirkt, als ob er gestern gedreht worden wäre. Dabei ist er schon beinahe zehnjährig:

Hauptdarstellerin ist Gunvor Guggisberg.

Das heisst: nein. Hauptdarsteller sind all jene, die der Sängerin und siebenfachen Schweizer Meisterin im Stepptanzen das Leben in den Jahren zuvor zur Hölle gemacht hatten.

Los war es damit gegangen, dass der „Blick“ 1998, unmittelbar vor Gunvors Auftritt am Eurovision Song Contest – der damals noch „Concours Eurovision de la chanson“ hiess – Nacktbilder der damals 23-Jährigen publizierte. Diese waren von einem luschen Fotografen mit dem Einverständnis der jungen Frau geschossen worden. Von einem Verkauf der Bilder an den „Blick“ war jedoch nie die Rede gewesen. Der Fotograf wurde später wegen verschiedener Mileu-Delikte zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt.

Vor einem zig millionenköpfigen Publikum ging Gunvor am europäischen Gesangswettberb mit „Lass ihn“ leer aus. Dafür brachen auf dem Boulevard alle Dämme: Jedes noch so intime Detail aus dem persönlichsten Bereich der Bernerin wurde mit einer bis dahin selten gesehenen Gnadenlosigkeit an die Öffentlichkeit gezerrt.

Gunvor tauchte ab.

Und wieder auf.

Im Musical „Storm“ spielte sie die

gunvorstorm

lesbische Geschäftsfrau Eve.

Später realisierte sie den oben gezeigten Videoclip, der Abrechnung, Psychohygiene und Gegendarstellung in einem gewesen sein dürfte. Und sie nahm das Doppelalbum „From A to Z“ auf.

All diese Aktivitäten zeigten: Da lässt sich eine ungeahnt starke Person von nichts und niemandem zu Boden drücken. Da steht eine Frau immer wieder auf. Da weiss eine Künstlerin, dass das letzte Wörtchen noch lange nicht gesprochen ist.

Und dass, wenn überhaupt, sie diejenige sein wird, die dieses Wörtchen spricht.

Doch trotz aller Bemühungen und ungeachtet ihrer von niemandem bestrittenen gesanglichen Fähigkeiten blieb sie für die Masse „die mit den null Punkten am Concours“. Die mit den Fotos und den Sexgeschichten und den Schulden und allem.

Der ganz grosse Durchbruch blieb aus. Auch von meinem Radar war Gunvor Guggisberg irgendwann verschwunden.

Aber dann…dann schlurfte ich vor ein paar Wochen planlos durchs Internet und stolperte dabei über den Facebook-Account einer gewissen „Gunvor Singer“. Es dauerte nicht lange, bis wir „Freunde“ waren.

Ich schrieb ihr, dass ich „From A to Z“ gerne haben möchte, aber weder in Plattenläden noch bei iTunes finden könne. Sie antwortete, die CD werde nicht mehr produziert. Also stürmte ich so lange herum, bis sie mir versprach, mir eines der letzten Exemplare aus ihrem Privatbestand zu schicken.

Heute Morgen ging ich an den Briefkasten – et voilà:

Ich drehte das Päckli um und war sehr erfreut, als ich sah, von wem es stammte:

Darin befand sich, wie die Absenderin versprochen hatte, eine ihrer

offiziell gar nicht mehr erhältlichen CDs

plus

eine liebevoll signierte Autogrammkarte.

Die CD selber…ich weiss nicht. Ich habe vorhin versucht, Gunvor zu erklären, wie die zwei Silberscheiben in meinen Ohren klingen. „Wunderschön“ war alles, was mir dazu einfiel. Die Sängerin interpretiert darauf knapp drei Dutzend mehr und weniger bekannte Lieder auf eine Weise, die – Achtung, Klischee! – Dauergänsehaut verursacht.

Bemerkenswert, aber wenig erstaunlich ist: Gunvor Guggisberg scheute für „From A to Z“ kein Risiko. Sie muss, als sie ins Studio ging, gewusst haben, wie gross die Gefahr ist, an Herausforderungen wie „Nothing compares 2 u“, „Endless love“, „Heaven help my heart“ oder „Power of love“ zu scheitern. Wer einen dieser Songs falsch gesungen hört, wird ihn sich nachher auch im Original nie wieder antun.

Doch Gunvor liess sich durch diese Vorgabe nicht beirren: Sie nahm die selbst aufgestellten hohen Hürden scheinbar locker und leicht – und schaffte es darüberhinaus noch, jedem einzelnen Lied eine ganz persönliche Note zu geben.

Im Moment weilt Gunvor, wie ich ihren Nachrichten auf Facebook entnehme, in Berlin. Sie schreibt über Treffen mit ihrem neuen Manager, Aufnahmen im Tonstudio, Videodrehs und andere Engagements und weist regelmässig darauf hin, wann sie wo auftritt. All diese Ankündigungen lassen darauf schliessen hoffen, dass sie auf dem besten Weg zurück ist ins ganz helle – und diesmal hoffentlich schattenlose – Rampenlicht. Wenn sie nichts Geschäftliches postet, lässt sie die Welt wissen, wie rundum glücklich sie mit ihrem Leben sei.

Fest steht: Am 10. Mai tauft sie ihre neue Single. Und Mitte Dezember träumt sie ihren eigenen „Weihnachtstraum“ im Winterzirkus in Wettingen.

Aus einem Alb- einen Weihnachtstraum zu machen: das schaffen nicht sehr viele Menschen.