Dass der Rentner aus Biel, der Ende letzter Woche einen Polizisten angeschossen hat, noch immer auf der Flucht ist, hat inzwischen auch Auswirkungen auf den kantonalen Politbetrieb.
Heute Nachmittag meldete sich mein Facebook-Freund und SP-Grossrat Hannes Zaugg-Graf aus dem Parlamentsgebäude in Bern:
„Habe gerade festgestellt, dass man sich offenbar nicht ganz sicher ist, was der Renitentner aus Biel noch alles will. Ums Rathaus und in der Halle sind jedenfalls Polizisten in Zivil aufgestellt worden. Irgendwie auch ein bisschen ein komisches Gefühl. Muss sagen, ist mir eigentlich lieber, als irgendwann einmal auf die Hilfe der Betreuungsindustrie angewiesen zu sein (falls ich das überhaupt noch bräuchte, sitze ich doch ziemlich nahe am Eingang).“
Auf Nachfrage teilte er mit, es sei ihm „nicht wirklich gschmuech. Aber allein die Tatsache, dass die Leute da sind, macht einem bewusst, dass man mit der Möglichkeit rechnet. Vorher hätte ich nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, aber wenn man es dann beobachtet, dann fängt man natürlich an, darüber nachzudenken. Ich bin auch überzeugt, dass es wohl sonst kaum jemandem aufgefallen ist, weil die Herren und Damen wirklich sehr diskret sind. Aber mir fällt natürlich auf, wenn ich mich plötzlich wie in einer Szene in einem amerikanischen Krimi wähne.“
Übrigens: Nach einer fünftägigen erfolglosen Suche nach Peter Hans Kneubühl versucht die Polizei nun, dem Mann mit Hilfe von Flugblättern auf die Spur zu kommen.
„Schwierig“ ist ein Wort, das Journalisten regelmässig benutzen, wenn sie über die Berner Mundartpopperin Natacha reden. Beim Gegenlesen von Interviews fummle Anita Schär (so heisst die Sängerin wirklich) oft nicht nur an den Antworten herum, sondern auch an den Fragen, heisst es, zum Beispiel.
Über die Bilder, die von ihr veröffentlicht werden, wolle die 48-Jährige die totale Kontrolle haben – auch über Aufnahmen von ihren Konzerten. In der Zeit, die sie vor einem Fototermin zum Schminken benötige, würden andere Sängerinnen eine Doppel-CD samt Begleitheft produzieren, erzählen Kolleginnen und Kollegen in einem Tonfall, in dem manchmal auch etwas Mitleid mitschwingt.
Aber letztlich geht es ja um die Musik. Auf ihrer Facebook-Seite lässt die Künstlerin ihr neues Werk „Startklar“ wie folgt würdigen (ich habe den Text im Original übernommen, auch wenn er da und dort etwas holpert):
„Voll freudig, klar und zärtlich, so klingt <Startklar>, das 11. Album der Berner Mundart-Rocksängerin Natacha. (…) Es birgt in sich das selbstbewusste Statement einer Frau, die nicht mehr zurück schaut, sondern sich auf die Gegenwart fokussiert und vom Morgen träumt. Die Akkorde der akustischen Gitarre klingen leichthändig, mit total locker aus den Fingern gezauberten Klängen zusammen mit Beats des Schlagzeugers die von mal zu mal kräftiger und wieder sanfter werden, im Gleichzug mit einem Bass der rhythmisch unterstützt, weiteren rockenden Gitarren, Backingvocals und einer tollen Stimme an der Front, die seit fast zwei Dekaden in der Schweiz für qualitativ und emotional geladenen Mundartrock bringen. (…) So klingt das ganze Album, einfach harmonisch im Gesang mit voller Begeisterung, hörbar und spürbar rüberkommend (…) Die akustischen Gitarren strahlen Wärme aus, die erdigen R&B-Backing Vocals haben Soul und eine urbane Qualität, die bestens zu Natachas Songs passen, die einmal mehr direkt aus dem Leben erzählen.“
Ganz so überschwänglich würde ich, bei aller Unvoreingenommenheit, nicht umschreiben, was ich soeben gehört habe. Die Melodien auf „Startklar“ sind so glattpoliert und überraschungsfrei wie seit dem ersten Natacha-Album vor einem Vierteljahrhundert und die Texte dazu so gspürig wie öde. Wobei: Wer hin und wieder englische Hits ins Deutsche übersetzt, entdeckt auch nicht in jedem Fall die ganz hohe Literatur.
Das Problem an „Startklar“ ist: Wäre diese CD der erste musikalische Gehversuch einer 18-Jährigen, würde man mit einigem Wohlwollen sagen, die Dame habe Potenzial. In Frau Schärs Alter hingegen haben Frauen mehr zu erzählen als pubertierende Teenager. In Frau Schärs Alter ist das Leben in aller Regel nicht bloss eine von gelegentlichen Affären unterbrochene Suche nach Mister Perfect. Sondern auch ein Kampf mit Rückschlägen, Depressionen, Langeweile und Frust. Von all dem ist in dem ganzen Zuckerwattengesäusel auf „Startklar“ nichts zu hören.
Heranwachsenden, die vor zwei Wochen knapp die Trennung von ihrem Sommerferienflirt überlebt haben, wird „Startklar“ ein dünnes Trostpflästerchen sein. Halbwüchsige, die an die ewig währende Ersteblick-Liebe glauben, können die Platte bis zum Beweis des Gegenteils als Beleg dafür betrachten, dass all you need tatsächlich love ist.
Alle anderen aber; all jene, die sich von einer Mutter von längst erwachsenen „Kindern“ auch ein paar Worte von jenseits des „Bravo“-Horizontes erhoffen, werden „Startklar“ nach einmaligem Durchhören auf Nimmerwiederhervornehmen im CD-Ständer oder im nächsten Flohmarkt entsorgen.
Anschliessend greifen sie zu „Close up“ von Suzanne Vega, „Fearless love“ von Melissa Etheridge oder „100 Miles from Memphis“ von Sheryl Crow: drei Werken von in Würde gereiften Frauen, die den Mut haben, zu ihren Ecken und Brüchen und – pardon! – Falten zu stehen.
68 Touristen – darunter 36 Schweizer – wurden beim Totentempel der Hatschepsut in Luxor am 17. November 1997 von arabischen Terroristen massakriert. Auf dem Flughafen Kloten versuchten Pfarrer und Psychologen, die Angehörigen und Freunde zu trösten, die vergeblich auf die Heimkehr ihrer Angehörigen warteten. „Careteam“ nannten die Medien die Helferinnen und Helfer, die sich tagelang um die Hinterbliebenen kümmerten.
Bald galt: Wo ein Unglück ist, ist auch ein Careteam. Der Satz „…werden professionell betreut“ ist zum unverzichtbaren Bestandteil von Polizeimeldungen über Morde, Entführungen, Banküberfälle und Verkehrsunfälle mit mehr als einem Leichtverletzten geworden. Von der Lawine in den Bergen bis zur Salmonelle im Heim – wers überlebt, kann davon ausgehen: Sie werden geholfen.
Dank der Wirtschaftskrise ist die Carebranche längst nicht mehr von bewaffneten Irren, betrunkenen Verkehrsteilnehmern und dem Schicksal abgängig: Nach einer Massenentlassung stehen vor den Türe der soeben geschlossenen Firma nicht Berufsberater oder Jobvermittler, sondern Psycho- und Soziologen, um den Betroffenen die Gelegenheit zu geben, darüber zu reden.
Was momentan in Biel passiert, ist für die Carerinnen und Carer vermutlich ein Freudenfest wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen – zumindest theoretisch: Seit Mittwoch sucht die Polizei einen bewaffneten Senior, der bei Bedarf auch auf Angehörige von Spezianeinheiten schiesst. Theoretisch ist also eine ganze Stadt betreuungsbedürftig. Nur: Für die Bielerinnen und Bieler bietet der Fall zwar rund um die Uhr Gesprächsstoff, aber offensichtlich keinen Anlass zur übertriebenen Sorge.
Entsprechend froh dürften die Gutmenschen vom Dienst gewesen sein, als am Freitagmorgen ein paar Bieler Kinder versehentlich zur Schule gingen, obwohl wegen des alten Mannes mit dem Gewehr gar kein Unterricht stattfand: die Kids wurden sofort betreut. Auf die Idee, die Kleinen einfach wieder nach Hause zu schicken, kam kein Mensch.
Vor ein paar Wochen (oder Monaten? Die Zeit vergeht in diesem Jahr wie in einer Sanduhr mit Speed drin) fragte mich
Claudia Fankhauser.
die mit ihrer Schwester
Karin
und
Katja Born
in Burgdorf das Theater Z betreibt, ob ich Lust hätte, ein Theaterstück für Kinder (mit) zu schreiben.
Lust ja, sagte ich. Aber leider wisse ich aus *räusper* Altersgründen beim besten Willen nicht, was die Kleinen von heute so beschäftigt. Die Gefahr, dass ich um Kilometer an der Zielgruppe vorbeitexte und sie so für den Rest ihres langen, langen Lebens kulturell traumatisiere, sei ziemlich gross.
Wir beschlossen dann spontan, ein Stück zusammen mit den Kids zu entwickeln. Nun machen wir den ersten Schritt Richtung Bühne: Heute Morgen treffen wir uns mit den Kindern, um das Thema festzulegen, uns eine Geschichte auszudenken, Figuren einzubauen und so weiter.
Ich habe keine Ahnung, wie sich die Dinge entwickeln werden, freue mich aber und grad darum riesig auf dieses Projekt.
Nachtrag: Die Kinder haben sich eine wunderschöne Geschichte ausgedacht. Sie dreht sich um einen bösen Zauberer, der einen Kinderspielplatz in einen Wald verwandelt hat und alle Bäume mit Efeu überwachsen liess. Nun scheint die Sonne nicht mehr; es regnet andauernd. Die Kinder sind deshalb immer traurig. Zusammen mit einem Zwerg klettern sie auf einen Baum, in dessen Krone die Waldkönigin lebt. Auf dem Weg zu ihr können sie Elfen, Feen, den Clownie Balloni, Jasskarten und andere Freunde überreden, ihnen beim Kampf gegen den Zauberer zu helfen. Am Ende…aber nein: das muss man sich dann selber anschauen. Ich werde mir die Aufführung jedenfalls nicht entgehen lassen.
(Für die Erwachsenen bietet das Theater Z in den nächsten Monaten übrigens „eine Mixed-Show, die sich gewaschen hat“. Details: siehe hier.)