Im Bus oder im Zug fragt man sich oft: Bei wievielen Leuten hängt wohl so ein Schild im Bad?
Die Ballade der Kandidatin Manuela F.
Nennen wir sie Manuela F..
Weil sie fand, sie könne nicht immer nur zuschauen, wie sich die Welt um sie herum verändert oder eben nicht und dachte, sie wolle „lieber agieren statt reagieren“, wie sie ihrem Schwager, dem Herausgeber und Chefredaktor der Dorfzeitung in einem Interview sagte, schloss sich Manuala F. kurz nach ihrem 30. Geburtstag der lokalen Sektion der Freisinnig-Bürgerlich-Sozialen Partei (FBS) an, wobei sie an deren Versammlung am 1. November 2007 nicht nur in die Partei aufgenommen, sondern auch gleich noch zur zweiten Beisitzerin gewählt wurde, was Manuela F. als Zeichen dafür wertete, dass ihr für die politische Selbstverwirklichung nicht nur verschiedene Wege, sondern ganze Autobahnen zur Verfügung stehen würden, womit sie nicht völlig falsch lag, denn nur zwei Jahre später, als es an einer Ausserordentlichen Versammlung ihrer FBS im neuerdings rauchfreien Säli des „Rössli“ um die Nominationen für die Grossratswahlen ging, fiel sehr bald der Name „Manuela F.“, die zwischenzeitlich zur Vizepräsidentin der Sektion aufgestiegen war und als Ehefrau eines Unternehmers, Mutter von zwei nicht wegen Körperverletzung mehrfach vorbestraften gefreuten Söhnen, Teilzeitleiterin der örtlichen Kinderkrippe und regelmässige Leserbriefschreiberin prädestiniert schien, für die FBS am grossen Rad der Geschichte zu drehen.
Manuela F. zögerte nicht lange und sagte zu. „Per Akklamation“ sei sie von ihren Parteifreundinnen und -freunden zur Kandidatin ernannt worden, notierte das Dorfblatt, dessen Herausgeber und Chefredaktor an der Versammlung als Aktuar der FBS zugegen war.
Nachdem sie und die anderen Vorstandsmitglieder lange Stunden über einen knackigen Slogan nachgedacht hatten, stand fest: Manuela F. soll den Leuten als engagiert, kompetent und sozial angepriesen werden. „Engagiert, kompetent und sozial – darauf muss man erst einmal kommen“, strahlten die Wahlhelfer, als sie das „Rössli“ zu inzwischen schon sehr vorgerückter Stunde verliessen.
Kaum war das Gremium wieder nüchtern, prangte das strahlende Gesicht von Manuela F. mit den in leuchtendem Rot geschriebenen Worten „Engagiert. Kompetent. Sozial.“ darunter auf unzähligen Plakaten in Wiesen und an Wänden. Darüber hinaus investierte die Partei knapp tausend Franken, um für sie zwei briefmarkenkleine Inserate in der Tageszeitung zu schalten; der Verleger des Dorfblatts publizierte die Werbung zu einem Sondertarif. Flankierend verteilte Manuela F. in der zugigen Bahnhofunterführung an zehn bitterkalten Morgen jeweils zwei Stunden lang selbstgebackene Guetsli und von ihrem Schwager produzierte Flyer. Während sie die Menschen desinteressiert an sich vorbeihasten sah, dachte sie immer wieder an die Worte ihres grossen Vorbildes John F. Kennedy: „Überlege nicht, was dein Land für dich tun kann. Überlege, was du für dein Land tun kannst.“
Höhepunkt von Manuela F.’s Wahlkampf war ein Auftritt an einem überparteilich besetzten Podiumsgespräch in der Stadt, an dem nebst ihr sechs weitere Kandidatinnen und Kandidaten teilnahmen, die als Dorfpolitiker, Gewerkschafter und Geschäftsleute zum Teil schon im Lokalfernsehen zu sehen gewesen waren; einer hatte als Fragesteller aus der dritten Reihe sogar „Arena“-Erfahrung.
Gegen Ende der zweieinhalbstündigen Veranstaltung, als sie sich schon damit zu trösten begann, wenn auch nichts zu sagen, so doch einen tollen Sitzplatz zu haben; als der Anlass also schon beinahe vorbei war, wurde sie vom Moderator gebeten, sich und ihr Programm in einem Satz vorzustellen: „Ich würde mich als engagiert, kompetent und sozial bezeichnen“, sagte Manuela F. zu jenem Teil des Publikums, der tapfer ausgeharrt hatte. Der Satz war noch nicht in der Mehrzweckhalle verhallt, als sie wusste: „Ich schaffs.“
Das Dorfblatt berichtete über die „Elefantenrunde“ mit einem langen Text und illustrierte den Artikel mit einem grossen Bild, das Manuela F. beim Versuch zu zeigen schien, ein Mikrofon zu essen. Darunter stand: „‚Ich bin engagiert, kompetent und sozial‘ – Manuela F. hatte am Wahlpodium ihren grossen Auftritt.“
Am Tag nach der Wahl wurde sie von den Zeitungen kleingedruckt unter „nicht gewählt“ erwähnt. Das Dorfblatt widmete ihr ein grosses Porträt unter dem Titel „Wenigstens habe ich es versucht“.
Als grosser Sieger ging der Inhaber eines kleinen Reisebüros hervor, der keinen Rappen für Inserate ausgegeben und von sich nur ein Plakat aufgehängt hatte, mitten im Wald, an einem Baum. Diese Aktion hatte „Robin Wood“, wie der Parteilose alsbald genannt wurde, eine Medienpräsenz beschert, von der Manuela F. und ihr Anhang damals, im „Rössli“, nicht zu träumen gewagt hätten.
Vielleicht, analysierten die FBS-Leute, lags aber nicht nur an diesem einen Plakat und den damit verbundenen Schlagzeilen. Möglicherweise lags auch am Motto.
Der Mann hatte für sich mit einem einzigen Wort geworben: „Lernfähig“.
Hallo, Nachbar
Man braucht nicht extra eine CD mit den Daten von grossbritannischen Steuerzahlern zu klauen kaufen besitzen, um zu behaupten: Jon Lord hat im Verlauf seiner jahrzehntelangen Karriere als Tastenmann bei einer der erfolgreichsten Rockbands aller Zeiten und später als Solo-Künstler soviel Geld zur Seite gelegt, dass es für das eine und andere Leben reicht.
Davon geht offensichtlich auch ein gewisser Andrew Walker aus. Er meldet sich heute, für den Mitbegründer von Deep Purple wohl ziemlich überraschend, per Facebook-Nachricht bei Lord: „Jon, do you remember me?“, schreibt Walker. Er, Walker, sei „the boy who lived next door to you in Avril Road“ und habe seinerzeit Lords Vater nach einem Gartenunfall geholfen. Um zu beweisen, dass er die Familie Lord aus dem Effeff kennt, fügt er an, er wisse, dass ihre Katze Sammy hiess und der Hund Jake.
Bevor er noch weitere Details aus dem Lord’schen Privatleben ausplappert, kommt Walker zum Punkt: „I need your help now“, lässt er den Gott der Hammond-Orgel wissen. Die Angelegenheit sei „important“. Deshalb: „Please contact me.“
Dass Walkers einen Klavierlehrer für ihr Töchterchen suchen, ist nicht anzunehmen. Und für Gartenarbeiten werden sie kaum jemanden aus dem Lord-Clan engagieren wollen. Also gehts wohl um Geld. Irgendwo in Leicester sitzt vermutlich ein Opfer der Wirtschaftskrise, das sich auf einmal daran erinnert hat, dass da doch mal jemand war, dems irgendwann viel besser ging als all jenen, die damals missmutig ihrer Arbeit in der Fabrik nachgingen oder auf dem Arbeitsamt anstanden und in jeder Pause und nach jeder Absage darauf hofften, dass die besseren Zeiten schon kommen würden, irgendwie.
Sie kamen nicht.
Deshalb ging ihr Mitbürger Jon Lord, und zwar erst in die Übungskeller und dann in die Plattenstudios und dann auf eine Welttournee nach der anderen, bis er sagen konnte: „Ich habs geschafft. Ich habe mit meiner Musik einen Weg aus diesem verdammten Leicester gefunden. Ich bin frei.“
Und dann: taucht wie ein Gespenst aus der Vergangenheit dieser Typ aus dem Haus nebenan auf.
Was macht man als Star in so einem Fall? Den Mann ignorieren? Einen Check schicken? Die Polizei einschalten? Die Geschichte, die hinter der Bitte steckt, vertonen und die Einnahmen aus dem Song diesem Andrew Walker überweisen, der, wie man sich womöglich erinnert, schon als Kind ein furchtbarer Plaggeist gewesen war? Der immer wie am Spiess brüllte, wenn er nicht bekam, was er haben wollte, bis alle Quartierbewohner genervt ihre Köpfe aus den Fenstern streckten um nachzusehen, was mit dieser Nervensäge jetzt wieder los ist?
Ein Lied über den Fall zu schreiben, wäre die beste Lösung: Walker bekäme sein Geld, Lord hätte seine Ruhe – und erst noch etwas produziert, über das sich alle Nichtbeteiligten dieser kleinen Geschichte von Herzen freuen könnten.