Hupende Autos, lachende Frauen, grölende Männer und überall Musik: so klangen die Nächte in Playa del Inglés bis vor einem Jahr. Nun ist es schon Stunden vor Mitternacht ruhig, nein: fast totenstill. Im Kampf gegen die Seuche hat die spanische Regierung eine Ausgangssperre verhängt. Sie gilt von 22 bis 6 Uhr.
Seit bald einer Stunde gucke ich von meinem Balkon aus auf die Stadt hinunter. Alles, was ich höre, ist das Rauschen des Meeres und von Palmenblätten. In der Bungalowsiedlung gegenüber mööggen rollige Katzen. Ein einsamer Vogel singt den Coronablues:
„I fly down the street no people to meet. All folks are at home right here and in Rome
and Zug and Lucerne and Burgdorf and Berne. Livin‘ in pandemy. dyin‘ in lethargy.“
Das ist jetzt also mein Büro. Bis am 2. Mai wohne und wärche ich in diesem Appartment eines Hotels in Playa del Inglés. Dazu gehören eine Küche, ein Bad, ein Bett und ein Balkon. Mein Arbeitsumfeld in Gran Canaria unterscheidet sich somit kaum von jenem am Hauptsitz in Burgdorf.
Zuhause würde jetzt jedoch die Heizung laufen. Hier summt kaum hörbar die Klimaanlage. Wenn ich daheim auf den Balkon gehe, sehe ich die Hofstatt und das Schloss. Von meinem aktuellen Standort blicke ich aufs Meer und auf Palmen.
Dass Corona auch in die Gastro- und Shoppingmeile am Strand von Maspalomas Lücken gerissen haben muss, war mir klar. Mit einem Kahlschlag, wie er sich mir nun präsentierte, hätte ich jedoch nie gerechnet: mindestens die Hälfte der Souvenirläden, T Shirt-Shops, Nagelstudios, Coiffeursalons, Pizzabuden und Steakhouses ist verschwunden.
Bis vor einem Jahr war auf dieser Promenade vom mittleren Morgen bis am späten Abend bisweilen kein Durchkommen. Heute streunen darauf noch ein paar verloren wirkende Touristen und Schwarzafrikaner umher. Letztere priesen vor der Virenkrise zu Dutzenden original echte Rolex-Uhren und Gucci-Brillen zu Spottpreisen an. Nun flüstern sie einem beim Vorbeigehen „Weed? Coke? Girls?“ ins Ohr.
Hilfe vom Staat dürfen weder die Ladenbesitzer und Beizer noch – schon gar nicht – die Einwanderer erwarten. Die spanische Regierung unterstützt Covid-betroffene Unternehmen zwar mit Kurzarbeitergeld und Bürgschaften. Zu den Voraussetzungen dafür gehören jedoch eine halbwegs transparente Geschäftsführung und legale Arbeitsverhältnisse.
In der „Klamotte“, meiner Lieblingsbeiz, gibts zwar immer noch die weltbeste Paëlla und fangfrisches Getier aus dem Meer, aber möglicherweise nicht mehr lange. Der Personalbestand schwand innerthalb eines halben Jahres von neun auf drei. Wo die sechs entlassenen Mitarbeiter – die zum Teil ihr halbes Leben in diesem Lokal verbrachten – geblieben sind und wie sie sich und ihre Familien über Wasser halten, wissen ihre Ex-Kollegen nicht.
Triste sei es, einfach nur triste, sagt einer der Kellner. Solange „nix turistas“, solange „no money“.
„Jeder Krise wohnt auch eine Chance inne“, werden Exponentinnen und Exponenten der Lebensberatungsindustrie nicht müde zu wiederholen.
Im Fall „Corona auf den Kanaren“ besteht die Chance darin, sich zu jeder beliebigen Tageszeit an den Hotelpool fläzen zu können, ohne schon morgens um 4 ein Tüechli auf eine Liege klammern zu müssen.
Dann schauen wir doch mal, was auf Gran Canaria erlaubt ist und was nicht. Drinnen und draussen sind Masken Pflicht. Das gilt auch für das Spazierengehen am Strand und auf den Strandpromenaden. Das Rauchen auf der Strasse und in Beizen ist verboten, weil dafür der Mund- und Nasenschutz abgezogen werden müsste.
Von 22 bis 6 Uhr herrscht Ausgangssperre. In privaten oder öffentlichen Räumen dürfen sich maximal 4 Personen auf einmal treffen. Die Kapazitäten des öffentlichen Verkehrs wurden auf 50 Prozent heruntergefahren.
Zwischen Strandliegen und Sonnenschirmen muss ein Abstand von 2 Metern bestehen. Die Innenräume der Restaurants sind geschlossen. Sport ist nur einzeln oder paarweise gestattet. Liegen oder Hängematten müssen nach dem Gebrauch desinfiziert werden.
Wer auf die Insel einreisen will, muss gleich nach der Landung einen höchstens 72 Stunden alten negativen Corona-Test vorweisen. Im Flughafen messen an mobile Radarfallen erinnernde Geräte die Körpertemperaturen der Ankommenden. Beim Einchecken im Hotel hält der Gast noch einmal zum Fiebermessen hin.
Gemäss den unregelmässig veröffentlichten Daten der spanischen Gesundheitsbehörde sind die Fallzahlen langsam am Sinken. Weitere Infos dazu gibts hier.
Es ist ja nicht uninteressant: die lebenslustigen Südländer kämpfen mit ungleich schärferen Waffen gegen den Virus als wir sicherheitsversessenen Schweizerinnen und Schweizer.