Ha! Gut ein Jahr, nachdem sie mit mir eine Woche in einem Davoser Hotel verbrachte, holte die US-Langläuferin Jessica Diggins in Peking Olympiabronze.
Im sandinavischen Winter

Glühwein statt Glace und Faserpelz statt FKK: Auf Gran Canaria herrscht tiefster Winter.
Das heisst: abrupte Temperaturstürze auf bis zu 18 Grad, nächtliche Nieselregen und tagsüber Winde, die alles, was herumsteht, -sitzt und -liegt, porentief saharasandstrahlen.
Das „Calima“ genannte Phänomen habe mit dem Klimawandel rein gar nichts zu tun, versicherten meine Gewährsleute in der „Klamotte“ schon bei meinem ersten Aufenthalt hier. Das gehe seit Millionen von Jahren so, immer im Januar und Februar und manchmal auch im März, und sei folglich kein Grund zur Panik.
Das Gute daran ist: Wenns z Grächtem chuutet u hudlet, wie die Bernerin und der Berner sagen, ergibt das Maskentragen im Freien auf einmal auch dann einen Sinn, wenn man nicht Schulter an Schulter in Rudeln umherstreift.
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Wenn mans ganz genau nehmen würde (woran ich jedoch nicht im Traum denke), müsste ich den nächsten Flug zurück in die Schweiz buchen. Nicht wegen des Wetters, sondern wegen sonst. Einer der Hauptgründe dafür, auch in diesem Jahr für ein paar Wochen nach Gran Canaria auszuwandern, war für mich bekanntlich oder auch nicht der Umgang meiner Landsleute mit Corona im Allgemeinen und das helvetische Endlostheater um die Pandemiekämpfungsmassnahmen im Besonderen. Kaum war ich auf der Insel angekommen, beschlossen unsere Diktatoren und Dikteusen Diktierenden die zuständigen Leute jedoch, fast alle Regeln schwuppdiwupp aufzuheben.
Nun sitze ich hier, im Openair-Beizli des Hotels, in dem ich mein Homeoffice eingerichtet habe, mit einer Maske am Handgelenk, dem Impfzertifikat hinten rechts in der Hose und einem Plakat im Blickfeld, auf dem steht, was in Spanien wegen der Seuche erlaubt ist und was nicht (wenn ich Tess

wäre, würde ich den Inhalt des Aushangs mit „nüt tafme!“ zusammenfassen), und wundere mich in einem nicht als gering zu bezeichnenden Ausmass über etliche Medienschaffende in der fernen Heimat, die in den vergangenen Wochen nicht müde wurden zu betonen, dass Länder wie Spanien in Sachen „Lockerung“ schon sehr viel weiter seien als die Schweiz, dabei gelten hier immer noch plusminus dieselben strikten Vorschriften wie vor einem Jahr, als der Chäfer viel strüber wütete.
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Kleines Quiz zwischendurch: Welche Vogelarten sind auf den Kanaren am Verbreitetsten? Genau: Girlitze, Finken und Meisen. Insgesamt leben auf dem Archipel über 50 verschiedene Vögel. Mehr zum Thema gibts hier.
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+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News++++++Breaking News+++Breaking News+++Breaking News usw., usf.
Mein Inder ist nicht mehr da. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich nun mit Kleidern und allem eindecken soll. In den Umkleidekabinen des Swingerclubs schräg gegenüber käme ich sicher sehr preisgünstig zu Hosen, T-Shirts und Duschzubehör. Nur verkehren da a) scheints ziemlich gspässige Leute und tut der Laden dem Vernehmen nach b) erst gegen Mitternacht auf. Dann schlafe ich tief und fest.
Als ich meinen Lieblingsverkäufer das letzte Mal sah, sprach er davon, einen Supermarkt zu eröffnen. Aber auch für ihn scheint gegolten zu haben, was schon so mancher Glücksritter vom Festland erfahren musste: Businesspläne lösen sich auf Gran Canaria schneller in Luft auf als, sagen wir, jene Meeresfrüchtesalätli, von denen ich mich in diesen Tagen hauptsächlich ernähre.

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Für leisen Kummer sorgt nebst dem Mangel an Shoppinggelegenheiten mein Handy. Ich weiss nicht, ob es auf einmal etwas gegen mich hat (was mich eingedenk dessen, was ich schon für ihns getan habe – schicke Hülle, Kratzschutz, nie unter 97 Prozent geladen, mit der besten Musik der Welt gefüttert – , sehr erstaunen würde), mit seinen Innereien etwas nicht stimmt oder es einfach nur pubertiert.
Tatsache ist: Ob in Burgdorf, Beinwil am See, Brisbane oder Baden (oder, um noch ein paar Ortschaften ohne B zu erwähnen: in London, Paris, Maskat oder Aefligen) – wo auch immer ich war und bin, zeigt(e) es mir meinen Standort an. Hier hingegen, in Playa del Inglés, der inoffiziellen Hauptstadt der LBGQRSTUVWXYZ-Bewegung, ignoriert es kalten Chips alles, was ich ihm zu den Themen „Toleranz“, „Gendern“ und „Wokeness“ zu vermitteln versuchte:

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A propos „Pubertieren“ und „Prognosen“: Es gibt Gespräche, deren Verlauf man, sobald man selber aus dem Gröbsten heraus ist, vorhersagen kann, bevor der erste Satz gefallen ist. Eines davon bekam ich gestern Nacht von meinem Balkon aus mit:
Gegen halb drei kehrten drei Frauen, die sich noch lange keine Gedanken darüber machen müssen, was sie an der Jungbürgerfeier anziehen könnten, zum Hotel zurück. Begleitet wurden sie von zwei ungefähr gleichaltrigen Herren. Eine der Damen ging zum geschlossenen Eingang, um den Nachtportier herauszuläuten. Auf dem Trottoir versuchten die *räusper* Männer derweil, sich last minute Zugang zu den Herzen Zimmern der Damen zu verschaffen:
„Na? Wollnma noch was trinken?“
„Nö, muss nich sein. Wir sind müde.“
„Da gibts doch ne Bar da drin, so gross wie das ist.“
„Nö. Da is nix. Wir sind müde.“
„Hm…“
(Allgemeines Zubodenstarren)
„Sehn ma uns morgen wieda?“
„Vielleich.“
„Vielleich is nich.“
„Morgen gemma mitnem Schiff Delfine gucken. Keine Ahnung.“
„Wär schön.“
„…“
„Sehn ma uns späta?“
„Mal sehn. Wir sind müde.“
„Alles kla. Schön wärs.“
„Kann sein. Weiss nicht.“
„Na dann…“
„Na dann…“
„Schönen Abend noch. Und viel Spass aufm Schiff.“
„Danke, ihr auch.“
(Abgang der Herren. Kaum sind sie ausser Hörweite, sagt eine der Frauen: „Keine Angst, Mädels. Uns fällt schon was ein.“ Grosses Hallo, als der Portier kommt. Dann: Stille vor dem Haus.)
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Zum Schluss, völlig zusammenhanglos, wie eigentlich alles hier: Im Taxi hörte ich dieses Lied. Der Fahrer sagte, da sei alles drin, was die original echte kanarische Musik ausmache. Ich find es irgendwie cheibe guet, auch weil es zeigt, was Schönes passieren kann, wenn viele Menschen unmaskiert etwas miteinander unternehmen.
Ein 12 Minuten-Wunder
Während ein paar Gedenkstunden für den kürzlich verstorbenen Meat Loaf wurde mir bewusst: Wenn jetzt ein Ausserirdischer neben mir stehen und sagen würde, ich hätte genau 12 Minuten, um ihn für Musik zu begeistern, und wenn mir das nicht gelinge, nähmen er und seine Gspändli an mir Experimente vor, die sehr, sehr weit über das hinausgingen, was Die Regierungen im Verbund mit Der Pharmaindustrie und Den Medien gerade mit der Menschheit veranstalten – ich wüsste, was ich mieche:
Rotz und Wasser ohne Wurst
Forrest Gump hat ja Vieles gesagt, was für die Ewigkeit gilt. Das taten allerdings auch der Dude Lebowsky oder der Pate. Deshalb kann ich den Satz „Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann eben tun muss“ beim besten Willen niemandem zuordnen, was insofern chly blöd ist, als er gleich noch einmal eine Rolle spielen wird.
(Jetzt fällts mir wieder ein: „Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann eben tun muss“ konstatierte John Wayne im Western „Ringo“, und weil man heutzutage ja nichts mehr publizieren darf, ohne dazu mindestens eine Quelle zu nennen: voilà).
Für mich bedeutete das „Was“ an diesem lazy sunday afternoon am Hotelpool gestern: wieder einmal ins Musikarchiv zu steigen, um mit dem Telefonapparat alte Platten durchzuhören, bevor sie meinem Vergessen anheimfallen (nur am Rande: vor nicht allzu Langem hätte ein Teil dieses Satzes noch ähnliche Irritationen ausgelöst wie Marty McFly, als er die Besucherinnen und Besucher eines Schulballs 1955 mit einem Rock’n’Roll-Heuler aus dem Jahr 1959 überraschte).
Auf dem Gang durch die verwinkelten und unterschiedlich gut ausgeleuchteten Flure meiner Vergangenheit stiess ich auf Schätze, die für mich einst die halbe Welt bedeuteten, irgendwann aber nur noch den Wert einer Swissair-Aktie Anfang Oktober 2001 hatten.
„Eve“ vom Alan Parson’s Project, „Wind and wuthering“ von Genesis, „The Kick inside“ von Kate Bush, „Break up the concrete“ von den Pretenders, oder „Premonition“ von Peter Frampton: Heiterefahne, war das eine Freude!
Während ich mich mit den Füssen im Wasser und der Sonne im Nacken durch die Jahrzehnte lauschte, blitzten in meinem Kopf videoclipartig Erinnerungen auf. Den längsten Film spulte das Gedächtnis bei „The battles that you’ve won“ (siehe und höre ganz oben) von Dare ab.
Einverstanden: Zwischendurch – genaugenommen: von A wie Anfangsakkord bis Z wie Zämepacke der Instrumente – klingt das Lied, als ob es von den Hauswänden einer Stadt widerhallen würde, in der the streets have no name, aber ist das eine Generation später wirklich noch von Belang? Eben.
Mit „The battles…“ schufen Dare eine der schönsten Balladen aller Zeiten, obwohl man wegen des Textes Rotz und Wasser heulen könnte, oder vielmehr: auch darum.
1989 veröffentlichte die Band ihr erstes Album „Out of the Silence“. Im Hallenstadion durfte sie es als Vorgruppe von Europe einer grösseren Öffentlichkeit präsentieren. Europe waren damals das Mass aller Rockdinge, also hiess es für Dare nach einer halben Stunde, huschhusch, von der Bühne, und dann ging für mich das grosse Hoffen und Bangen los, denn zwei Wochen vorher hatte mich meine Freundin C. ohne langes Konsultativerfahren freigestellt, aber nach Zürich war sie trotzdem mitgekommen.
Ich ahnte, dass das weniger mit mir zu tun hatte als damit, dass ich für uns in glücklicheren Zeiten Tickets für die zäntume als „Konzert des Jahres“ angepriesene Veranstaltung organisiert hatte, was damals ein ziemlich aufwändiges Prozedere war: Erst musste man im „Blick“ einen Coupon ausscheiden und darauf vermerken, wie viele Billete man haben möchte. Anschliessend schickte man den Talon dem Veranstalter – Good News oder Free&Virgin sel. – und eines schönen Tages lag im Briefkasten dann eine gelbe Nachnahmesendungsabholungseinladung. Mit dieser ging man zu Herrn Brehm oder Eichenberger an den PTT-Schalter, wo einem gegen Unterschrift und Bargeld ein Couvert ausgehändigt wurde, in dem die Tickets steckten.
Heute läuft das viel einfacher: Heute ordert man das Billet per Handy. Nachher braucht man nichts weiter mehr zu tun, als sich alle paar Monate zu notieren, auf wann das Konzert coronabedingt erneut verschoben wurde. Wer die neuen Termine nicht gewissenhaft nachträgt, läuft Gefahr, etwas zu verpassen, was nach etlichen fruchtlosen Versuchen, wie es im Minigolf heisst, tatsächlich stattfindet; den Gig von Edoardo Bennato in Solothurn zum Beispiel.
Als C. mich anrief, um zu fragen, ob die Einladung ungeachtet unseres neuen Status immer noch gelte, war das, als ob sie mir durch den Trümmerhaufen unserer Beziehung einen dünnen Lichtstrahl ins Dunkel geschickt hätte.
Vielleicht, dachte ich, kommt C. an diesem sicher einzigartig-fantastisch-magischen Abend auf ihren Entscheid zurück. Kaum schon in den ersten zehn Minuten und schon gar nicht mitten in einem allfälligen Schlagzeugsolo, aber bei „Carrie“ könnte es klappen, redete ich mir solange ein, bis aus dem „Könnte“ ein „Müsste“ geworden war.
Statt wie zufällig meine Hand zu berühren, rupfte sie dann aber, „please don’t ask for more“, „this might be our last goodbye“ und „things they’ve change my friend“ mitsingend, einen Blätz nach dem anderen aus meinem ohnehin längst kaputtgetrampelten Seelenteppich, und als sie im Flackern von 10 000 Feuerzeugflämmchen auch noch „maybe we’ll meet again“ summte, obwohl sie offensichtlich keine Sekunde darüber nachzudenken geruhte, sich zu überlegen, ein neuerliches Zusammensein mit mir auch nur in Erwägung zu ziehen, gab mir das dermassen den Rest, dass ich die Halle noch vor den Zugaben verliess, um meinen Frust mit einer Bratwurst hinunterzustopfen und in Bier zu ertränken.
Der Snackstand war – natürlich – geschlossen. In wenigen Minuten würden auch Europe Feierabend machen. In der Halle bejubelten die Leute frenetisch „The final countdown“.
Draussen, auf dem fast menschenleeren Platz vor dem Stadion, wurde mir klar: Meiner ist soeben abgelaufen.
Keep cool

So kanns gehen: Gestern Morgen sass ich in aller Herrgottsfrühe in langen Jeans und im Kapuzenpulli vor dem Flughafenhotel in Zürich und freute mich darauf, 3000 Kilometer südwestlich in Shorts und im Tiischi Zmittag zu essen.
24 Stunden später sitze ich in aller Herrgottsfrühe in langen Jeans und im Kapuzenpulli vor meinem Hotel in Playa del Inglés und hoffe, mit meinem Zähnegeklapper nicht alle Nachbarinnen und Nachbarn zu wecken.
Auf die Minute genau Punkt ein Jahr, nachdem ich mein Homeoffice zum ersten Mal nach Gran Canaria verlegt hatte, landete ich am Freitag in einer Art Privatjet der Edelweiss Air

erneut auf der Insel, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden – mit einem Unterschied: 2021 quartierte ich mich für drei Monate hier ein. Diesmal lohnt es sich fast nicht, auszupacken: am 1. April fliege ich schon wieder zurück.
Ich wohne und arbeite im selben Hotel wie damals. Das Zimmer ist chly kleiner geworden, hat keine Badewanne mehr und liegt in einem anderen Stockwerk, aber abgesehen davon und wenn man das mit dem Wetter ausklammert, ist alles tupfgenaugleich.
Coronamässig gibts nadisna kleine Änderungen: Die 7 Tages-Inzidenz liegt auf Gran Canaria bei 730. Das ist deutlich weniger als auch schon. Die spanische Regierung färbte die Alarmstufe deshalb von Rot auf Lila um.
Davon profitieren in erster Linie die Nachteulinnen und -euler (to whom it may concern: für Eulen gibts keine männliche und weibliche Form. Ich will mir aber keinesfalls vorwerfen lassen müssen, es nicht wenigstens versucht zu haben): Die Ausgangssperre von 22 bis 6 Uhr ist aufgehoben. An öffentlich zugänglichen Plätzen gilt weiterhin eine generelle Maskenpflicht, und zwar drinnen und draussen.
Auf den Mund- und Nasenschutz darf lediglich bei sportlicher Betätigung verzichtet werden oder in der freien Natur, wenn man einen Mindestabstand von anderthalb Metern einhält (an dieser Stelle: beste Grüsse an die Swingercommunity in den Dünen von Maspalomas, wobei: vielleicht läuft das, was ihr da treibt, ja unter Sport).
Im Freien – auch in den Aussenbereichen der Beizen – ist das Rauchen verboten, falls der Abstand von zwei Metern nicht eingehalten werden kann. Komplett untersagt ist das Qualmen beim Gehen. Auf der Strasse darf kein Alkohol konsumiert werden. Nach 22 Uhr verkauft der Einzelhandel nichts Promillehaltiges mehr.
Ein Erkundungsbummel quer durch die Stadt an den Strand hinunter ergab: Es sind mehr Touristen hier, als ich gedacht hatte, aber immer noch sehr viele weniger, als sich die Einheimischen wünschen. Laut Miguel vom Empfang lief es in meinem Hotel zwischen Herbst und Weihnachten nach ziemlich rund, doch dann habe Omikron den Sprung auf die Insel geschafft, und zack.
Einige Shops, Clubs und Restaurants, die bei meiner letzten Temporäraus-, bzw. -einwanderung coronabedingt geschlossen waren, sind wieder aufgegangen, andere machten endgültig dicht. Was mit meinem Lieblingsinder passiert ist, weiss ich nicht. Bei meinem letzten Besuch sprach er davon, sein Lädeli zu einem Supermarkt auszubauen. Heute gehe ich nachschauen, was aus diesem Plan geworden ist.
Bis die Geschäfte öffnen, dauert es allerdings noch ein Weilchen. Ich verkrümele mich nochly ins Zimmer, an die Wärme, und geniesse die Aussicht aus meinem Büro:
