Unter Spätzündern

Zu meiner Schande als streng der Tagesaktualität verpflichteter Journalist und Passivstmitglied von Greenpeace muss ich gestehen: Den Ausbruch dieses Vulkans auf Island und dessen zum Teil unglaublich dramatische Folgen habe ich erst realisiert, als schon fast alles wieder vorbei war. Am Sonntag nahm ich zum ersten Mal bewusst davon Kenntnis. In den Tagen zuvor hatte ich oberflächlich von hohen Staub- und Aschekonzentrationen in der Luft gelesen, dachte aber, es handle sich um das übliche Gehyster von Klimaforschern.

Vorsorglich sperrte ich trotzdem meinen Eisbären in die Kühltruhe. Damit war der Fall für mich erledigt.

Mit meiner Ignoranz war ich nicht alleine. Nachdem ich mir wegen meiner Ahnungslosigkeit von nicht wenigen Leuten Sprüche anhören musste, deren auch nur auszugsweise Widergabe sich hier verbietet, war ich nicht unglücklich, als sich gestern am Kebabstand meines Vertrauens folgender Dialog zwischen der mazedonischen Verkäuferin und mir entspann:

„Grosse Katastrophe!“

„Was meinst du?“

„Vulkan. Grosse Katastrophe. Ganz schlimm.“

„Wieso? Das ist nur die Natur.“

„So viel Rauch. Luft und alles dreckig.“

„Äh…“

„Alle nicht fliegen.“

„Du meinst den Vulkan auf Island.“

„Issland, ja.“ (zeigt mit einer ausladenden Handbewegung, wie so ein Vulkan explodiert)

„Der brennt ja gar nicht mehr. Fertig Rauch. Fast fertig. Alles in Ordnung.“

„Habe gesehen. Hier“ (zeigt ein Gratishefli, für dessen Lektüre schon 20 Sekunden die reinste Zeitverschwendung sind).

„Aber das ist von letzter Woche! Das ist alt.“

(schaut sich das Heftli genau an. Ihre Gesichtszüge entspannen sich.) „Aaaah! Ganz alt.“ (lacht).

„Ja. Ist kein Problem. Die Flugzeuge fliegen wieder. Niemand ist gestorben.“

Gut. Bin ich froh.“

Bitte zu Tisch

So: In wenigen Stunden ist klar, wieviele Leute wir am Samstag an unserem Mittelalter-Essen im Burgdorfer Schlosskeller kulinarisch und musikalisch verwöhnen dürfen. Akkreditiert haben sich Gäste aus Burgdorf, Zurzach, Dübendorf, Hünenberg, Stans, Langenthal, Basel, Bern, Winterthur, Beinwil am See, Thun, Krauchthal, Biel, Fraubrunnen, Hilterfingen, Meikirch und Rostock (jawoll: Rostock!). Ein Dutzend Helferinnen und Helfer aus vier Kantonen sorgt für einen reibungslosen Ablauf des Abends.

Die meisten Gäste sind sich jetzt noch völlig fremd. Aber übermorgen Abend sitzen sie alle, unabhängig von ihrer Herkunft , ihrem Alter, ihrem Status und ihrem Beruf, nebeneinander an langen Tischen, plaudern, versuchen, mit einem Holzlöffel und einem Stück Brot Salat zu essen, stochern in eigentümlichen Breien herum, verschlingen ungewohnt schmeckendes Fleisch, lauschen Lautenklängen aus einer längst vergangenen Zeit und folgen einer Fee in die zauberhaft-verwunschene Welt der Märchen. 

Um 18 Uhr beginnt der Anlass. Vier Stunden später werden sich Dutzende von Menschen kennengelernt und im besten Fall ein wenig angefreundet haben, die voneinander vier Stunden vorher noch nicht einmal wussten, dass sie existieren.

An der Première vor anderthalb Jahren nahmen 40 Menschen teil. Für die Zweitauflage haben sich bis jetzt 54 Personen angemeldet; darunter sind sieben Jugendliche und drei Kleinkinder. Möglicherweise kommen heute noch ein paar Mitesserinnen und Mitesser dazu. Wenn ja: wunderbar. Wenn nein: auch gut. Die Tafel-Gesellschaft macht auf dem Papier auch so einen ziemlich illustren Eindruck. Sie liefert nur schon von ihrer geografischen Zusammensetzung her den besten Beweis dafür, das Essen verbindet; auch wenn es weder gesalzen noch gepfeffert ist.

Nachtrag 23.4.: Jetzt ist es definitiv. Angemeldet sind 48 Erwachsene, 6 Jugendliche und 3 Kleinkinder.

Ein klarer Fall

 

Wasen bei Sumiswald ist nicht das, was Journalisten „ergiebig“ nennen. 

Doch am letzten Freitag wurde die Kleingemeinde innert Stunden schweizweit bekannt: Ein knapp 68-jähriger Mann erschoss seinen unmittelbar vor der Pensionierung stehenden Bruder und dann sich selber.

Die zwei Junggesellen waren zusammen durch ihr ganzes Leben gegangen. Dann haben sie es zusammen verlassen.

Das ist, eigentlich, nicht der beängstigendste Gedanke, den man im Zusammenhang mit dem Sterben haben kann.

Die Frage ist aber: Wie freiwillig gingen sie in den Tod?

Die Leute, mit denen ich am Tag nach dem Leichenfund in Wasen geredet habe,  können sich die Tat nicht erklären. Einige sagten zwar, dass es zwischen den Brüdern „schon ab und zu Spannungen“ gegeben habe. Nur: Dass man sich zwischendurch auf die Nerven gehe, sei nach so vielen gemeinsamen Jahrzehnten nicht weiter erstaunlich. Und schon gar kein Grund, um bei einem Streit gleich zum Gewehr zu greifen.

Also: Was dann?

Vielleicht war der eine unheilbar krank und bat den anderen, der Sache ein Ende zu machen. Der ältere Bruder erfüllte dem jüngeren diesen letzten Wunsch. Überwältigt von Trauer und Schmerz und schlechtem Gewissen, drückte er ein zweites Mal ab.

Vielleicht wollte der eine dem anderen seinen Karabiner zeigen, weil daran irgendetwas klemmte oder weil er sich fragte, ob man diese Flinte nicht weggeben könnte; man brauche sie hier, in diesem friedlichen Quartier, ja kaum mehr. Während er mit dem Gewehr hantierte, ging ein Schuss los. Von der Panik gesteuert, richtete der Überlebende, den toten Bruder vor Augen, die Waffe gegen sich und zog – diesmal halbwegs bewusst – noch einmal am Abzug.

Das Drama von Wasen konnte ein Liebesdienst, ein Unfall, ein Versehen…es konnte x etwas gewesen sein.

Doch während sich die Freunde und Bekannten der Brüder immer noch fragen, wie das passieren konnte und die Polizei damit beschäftigt ist, die Hintergründe der Tragödie aufzuklären, präsentierte der  „Blick“ sein Untersuchungsergebnis schon am nächsten Tag fett auf den Kioskplakaten: Ein „Brudermord im Emmental“ wars.

„Mord“? Das Bundesgericht spricht von Mord, „wenn der Täter besonders skrupellos handelt (und) namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind.“ Ein Mord zeichet sich für die höchsten Richter „durch aussergewöhnlich krasse Missachtung fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus“.

Ob und wenn ja wie „skrupellos“ der ältere Bruder gehandelt hat, wie krass er fremdes Leben missachtete und welche persönlichen Absichten er damit allenfalls verfolgte, bleibt möglicherweise für immer unklar: Ermittlungen gegen Verstorbene sieht das Gesetz nicht vor. Eine Gerichtsverhandlung wird es in diesem Fall nie geben. 

Und damit, rein juristisch betrachtet, auch keinen Schuldigen.