Aus dem Leben eines Playaboys (V)

(Der Palmenmann wollte auf keinen Fall, dass er bei seiner Tüechliherunterholaktion fotografiert wird. Deshalb muss ein notdürftig improvisiertes Symbolbild als Illustration genügen.)

Etwas vom Schönsten an Orten wie diesem ist ja, dass einen hier keine Sau kennt; und auch kein Mensch.

Dazu nur ein spontan aus dem ärmellosen T-Shirt geschütteltes und entsprechend absurdes Beispiel: Wenn der Wind ein Tüechli von der Terrassenbrüstung in den zweiten Stock der nächsten Palme weht und sich der Mann, zu dessen Zimmer die Terrasse gehört, gewungen sieht, das Tüechli zechelend und sich streckend und unter allerlei Verrenkungen vom Baum zu holen, mag das bei den vielen Leuten, die ihm, hocherfreut über die Abwechslung, dabei zugucken, für Heiterkeitsausbrüche sorgen, die nach Ansicht des Mannes an der Palme eher nicht angebracht sind.

Doch sobald die Misson accomplished ist, wendet das Gafferpack (ist doch wahr. Man könnte ja meinen, es fliege hier nie ein Gebrauchsartikel von A nach B) sich wieder seinen ursprünglichen Tätigkeiten zu: Es versucht, den komplexen Handlungssträngen in seinen Utadanellaromanen zu folgen, tippt Kurznachrichten („Roberto ist voll süss! Im Winter kommt er uns besuchen! Du wirst ihn liiiiieben!“) und erörtert, ob man es heute, am vierten Tag in diesem Hotel, jetzt vielleicht doch einmal riskieren könne, am Abend auswärts essen zu gehen, oder ob man nicht doch noch einmal hier speisen und morgen entscheiden wolle, ob man in die Stadt fahre.

„Stadt!“, sagt der Mann mit dem kümmerlichen Rest Autorität, den er sich in 15 Jahren Ehe mit einer Frau bewahren konnte, die, seit die Kinder aus dem Gröbsten heraus und bald fertig mit dem Studium sind, eine wie verrückt florierende Kita leitet und seit langer, langer Zeit im Gemeinderat sitzt, wo sie sich mit straffer Hand um das Soziale kümmert.

„Hotel!!“, sagt die Frau, und erinnert ihren Gatten daran, was die Begrüssungsapérodelegierte nach dem Einchecken zu den neuen Gästen gesagt hat; an das mit den Taxifahrern und den Appartmentverkäufern und den Mördern.

Mit Blick auf die nächsten 15 Ehejahre einigt man sich darauf, noch einmal innerhalb der Anlage zu tafeln.

Dieses Paar und all die anderen Menschen im Hotelgarten haben die Tüechlisache schneller vergessen, als der Palmenmann das Stück Stoff wieder über die Terrassenbrüstung legen und mit dem Aschenbecher, der so gut wie unbenutzt auf der Veranda des Nebenzimmers steht, beschweren kann. Wenn der Palmenmann das mit dem Beschwerenmüssen vorher gewusst hätte, wäre ihm etwas erspart geblieben, das bei ihm daheim auf Hundert und zurück Langzeitfolgen gehabt hätte. Er wäre im Quartier für immer und ewig derjenige gewesen, der sich vor zig Fremden einen von der Palme schütteln musste. Dass er nicht „einen“ von der Palme schüttelte, sondern „etwas“, und das von „schütteln“ keine Rede sein konnte – geschenkt. Das Stigma wäre er nie, nie mehr losgeworden.

Hier aber, in der Anonymität der Touristenmasse, in der es im Grunde jedem wurst ist, was der andere tut, braucht er sich nicht einmal für sein Missgeschick rechtzufertigen versuchen, indem er jeden und jede darauf hinweist, dass niemand – nicht einmal jemand, der fast drei Jahrzehnte lang an einem See lebte, an dessen Ufer alle fünf Minuten die Sturmwarnung losgeht – habe ahnen können, dass an so einem himmlischen Fleckchen Erde derartige Monsterböen um die Ecke geschossen kommen könnten.

Weniger schön an Orten wie diesem sind gewisse bauliche Eigenheiten. Diesen Fall

habe ich schon beim Landeanflug auf Las Palmas stirnrunzelnd studiert. Seither bin ich am Werweissen, ob da, unbemerkt von den Medien (und vertuscht von der Regierung!), einmal etwas ziemlich Grosses hineingeflogen (worden) sei, oder ob der Bauherr irgendwann einfach kein Geld mehr hatte, worauf die Handwerker ihr Wärli packten und sich daran machten, etwas weiter rechts das nächste Bijou aus dem sandigen Boden zu stampfen.

Erst jetzt, mit ein paar Jahren Abstand, fällt mir auf: Neun von zehn Männern bestellen an Bars etwas Alkoholisches.

Ich mag das nicht vertiefen. Ich wills und kanns auch nicht werten. Es ist einfach so.

Wenn das kein Schnappschuss vor den Bug des Pulitzerpreis-Komitees ist: Mit diesem Bild zeige ich weltexklusiv – und erst noch farbig! – den Mann, der auf den Kanarischen Inseln das Wetter macht.

Daran, dass er sein Handwerk versteht, gibts keine Zweifel: Drei Stunden, nachdem ich ihn (Notiz an den Presserat: Ohne sein Wissen und nicht im Traum daran denkend, ihm zu erklären, dass ich das Bild unverpixelt veröffentlichen werde. Wenn ichs ihm gesagt hätte, wärs kein Schnappschuss mehr gewesen. Und mit gestellten Bildern muss man den Pulitzerleuten nun wirklich nicht kommen) fotografiert habe, wars auf der Insel schon nicht mehr so frostig:

Erkenntnis des Tages: Ich muss mich politisch noch stärker engagieren als bisher, und zwar mit den Schwerpunkten Finanzen, Währungen, Weltfrieden. Darauf bin ich gekommen, als im im Supermercato Zigaretten holte. Für vier Päckli Camel blätterte ich 9.60 Euro hin. In Sydney bezahlte ich für dieselbe Menge Stoff gleicher Qualität 68 australische Dollar. Das sind umgerechnet…Sekunde, ich habs gleich…68 Franken.

Auf dem Weg zurück in meine Behausung dachte ich intensiv darüber nach, worin der Grund für diese Diskpranz liegen könnte. In dem Moment, in dem ich die durchgezogene Sicherheitslinie überquerte, fiel es mir wie Schuppen von den Fischen in der Hotelküche: Je weniger ein Land mit Europa zu tun hat, desto teurer sind dort die Zigaretten. Australien etwa hat mit Griechenland nichts gemeinsam, ausser dem schönen Wetter und viel Meer an den Rändern. Das auf dem Suchtmittelsektor wesentlich kundenfreundlicher operierende Gran Canaria hingegen würde glatt als Zwilling von Griechenland durchgehen (Melonen, Esel, Antiquitäten).

Es gilt folglich, enger zusammenzurücken, auch wenn das im Fall Australien und Griechenland auf den ersten Blick leichter gesagt scheint als getan. Es geht darum, jene Nationen, bei denen die Städte am Südpol den Grossteil der Zentrumslasten tragen, stärker an Europa zu binden und langfristig in die Preispolitik nördlich des Äquators zu integrieren.

Das schaffen wir nur, wenn wir alle – ich betone: alle! Auch die Kita-Leiterinnen, Taxifahrer und Appartmentverkäufer – uns auf unsere Stärken besinnen und gleichzeitig mit allen Mitteln versuchen, die Schwächen der anderen zu eliminieren. Die Zeiten, in denen jeder nur für sich selber eine Grube schaufelte und darob völlig vergass, dass es primär darum geht, was der Nachbar mit dem Balken im Auge für einen tun kann, sind vorbei.

Heute Abend: Grosse Akrobatik-Show. Da ist überdurchschnittlich viel Gelenkigkeit gefragt, und viel Gleichgewichtsgefühl, und ein Übermass an Koordinationsvermögen.

Sobald ich den Tigertanga gefunden habe, gehe ich Keulen mieten.

(Morgen live von der Insel: Eine Wasserleiche für den Billigchinesen. Verhör unter Bernern. Ärger am Strand.)

Bereits erschienen:

„Das Leben am Pool ist kein Zuckerschlecken, wenn das Kolosseum in Trümmern liegt und Neil Young „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ singt.

„Das Vollbeschäftigunsprinzip der kanarischen Kellner, ein frustrierter Lebensabschnittspartner und neue Perspektiven für Galerien“.

„Die Dünen von Maspalomas: Gigantisches Openair-Sexparadies oder überdimensionierter Sandhaufen? – Ein Selbsterfahrungsbericht.“

„Ohrfeigen im Dutyfree-Shop, künstlicher Regen und Flugzeuge mit Untergewicht“

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