Unter Wiederkäuern

Jean-Martin Büttner gehört zu den letzten „Edelfedern“ der Schweiz. Der langjährige Inland- und Kulturredaktor des Tagesanzeigers, der inzwischen als freier Journalist arbeitet, kann sich aussuchen, worüber er schreibt, und hat gemäss seiner eigenen Einschätzung „den besten Beruf, den es gibt“.

Über das neue Abba-Album „Voyage“ urteilte er Anfang November: „Ach, hätten sie es doch nur gelassen.“ Die Scheibe sei „gründlich missraten“. Jeder der aktuellen Songs klinge „wie eine gescheiterte Version der alten“. Alles wirke „wie vorverdaut“.

Mit Vorverdautem kennt sich Büttner aus. 2013 notierte er zur Eröffnung des Abba-Museums in Stockholm über das „Heiratsquartett aus Schweden“:

„In zehn Jahren fabrizierten die vier Popmusik in hoher Kadenz und Qualität, von ‚Waterloo‘ bis ‚The Day Before You Came‘, von Schlagerliedern bis zu Scheidungsvollzügen.“ Benny Andersson und Björn Ulvaeus nannte er „zwei singende Akkordarbeiter, die solange miteinander spielen, bis sie eine Melodie hatten und diese Melodie solange ausformulierten, bis er einen Song ergab“. Im Studio hätten sie diese Lieder dann „ausprobiert, umformuliert, instrumentiert und aufgenommen, die besten Jazzmusiker Schwedens spielten mit“.

Abba seien „die weisseste, biederste Band der Welt“ gewesen; „man brauchte sich nur ihre Plattenhüllen und Videos anzusehen“. An dieser Band, schnödete Büttner, „ging einem alles auf die Nerven: Das bleckende Lachen, die Fransen, die Latzhosen und Stiefel, diese stampfenden Takte, die ganze selige, gefahrlose, drogenfreie Familienpackung. Und diese Songs, denen nicht zu entkommen war. Weil man sie überall hörte, von Rimini bis Glasgow. Und sie nicht mehr vergessen konnte.“

Acht Jahre später doziert er in seiner „Voyage“-Besprechung:

„Das Heiratsquartett aus Schweden fabrizierte innert zehn Jahren Popmusik in hoher Kadenz und Qualität, von ‚Waterloo‘ bis ‚The Day Before You Came‘, von Schlagerliedern bis zu Scheidungsvollzügen. Björn Ulvaeus und Benny Andersson, die Akkordarbeiter der Band (…), spielten so lange miteinander, bis sie eine Melodie hatten. Um diese Melodie dann zu verfeinern, bis sie einen Song ergab. Den brachten sie dann ins Studio (…). Dort wurden die Lieder ausprobiert, umformuliert, instrumentiert und aufgenommen, die kompetentesten Jazzmusiker Schwedens spielten mit.“

Abba seien „die weisseste, biederste Band der Welt“ gewesen; „man brauchte sich nur ihre Plattenhüllen und Videos anzusehen“. An dieser Band, schnödet Büttner, „ging einem alles auf die Nerven: Das bleckende Lachen, die Fransen, die Latzhosen und Stiefel, diese stampfenden Takte, die ganze selige, gefahrlose, drogenfreie Familienpackung. Und diese Songs, denen nicht zu entkommen war. Weil man sie überall hörte, von Rimini bis Glasgow. Und sie nicht mehr vergessen konnte.“

Vor lauter Vonsichabschreiben vergisst er zu erwähnen, dass Abba in einem Fall tatsächlich auf Archivmaterial zurückgriffen: Auf dem 1994 erschienenen Album „Rarities“ sind im Medley „Abba undeleted“ Liedfragmente aus Proben im Studio aneinandergereiht. Darunter befindet sich auch eine Rohfassung von „Just a notion“.

Diese Skizze zogen Andersson und Ulvaeus nun aus der Schublade, um sie für ihren jüngsten – und mutmasslich letzten – gemeinsamen Wurf zu vollenden.

Wer behauptet, Abba hätten bei ihrem Comeback ein paar Deziliter alten Weins in neue Schläuche abgefüllt, hat also recht.

Nur sollte darüber nicht ausgerechnet jemand die Nase rümpfen, der seiner Kundschaft selber Reste von vorgestern als Frischware verkauft.

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