Kinderkram

Vor ein paar Wochen (oder Monaten? Die Zeit vergeht in diesem Jahr wie in einer Sanduhr mit Speed drin) fragte mich

Claudia Fankhauser.

die mit ihrer Schwester

Karin

und

Katja Born

in Burgdorf das Theater Z betreibt, ob ich Lust hätte, ein Theaterstück für Kinder (mit) zu schreiben.

Lust ja, sagte ich. Aber leider wisse ich aus *räusper* Altersgründen beim besten Willen nicht, was die Kleinen von heute so beschäftigt. Die Gefahr, dass ich um Kilometer an der Zielgruppe vorbeitexte und sie so für den Rest ihres langen, langen Lebens kulturell traumatisiere, sei ziemlich gross.

Wir beschlossen dann spontan, ein Stück zusammen mit den Kids zu entwickeln. Nun machen wir den ersten Schritt Richtung Bühne: Heute Morgen treffen wir uns mit den Kindern, um das Thema festzulegen, uns eine Geschichte auszudenken, Figuren einzubauen und so weiter.

Ich habe keine Ahnung, wie sich die Dinge entwickeln werden, freue mich aber und grad darum riesig auf dieses Projekt.

Nachtrag: Die Kinder haben sich eine wunderschöne Geschichte ausgedacht. Sie dreht sich um einen bösen Zauberer, der einen Kinderspielplatz in einen Wald verwandelt hat und alle Bäume mit Efeu überwachsen liess. Nun scheint die Sonne nicht mehr; es regnet andauernd. Die Kinder sind deshalb immer traurig. Zusammen mit einem Zwerg klettern sie auf einen Baum, in dessen Krone die Waldkönigin lebt. Auf dem Weg zu ihr können sie Elfen, Feen, den Clownie Balloni, Jasskarten und andere Freunde überreden, ihnen beim Kampf gegen den Zauberer zu helfen. Am Ende…aber nein: das muss man sich dann selber anschauen. Ich werde mir die Aufführung jedenfalls nicht entgehen lassen.

(Für die Erwachsenen bietet das Theater Z in den nächsten Monaten übrigens „eine Mixed-Show, die sich gewaschen hat“. Details: siehe hier.)

Liebenswerte Halunken

Irgendwie startet man „Souerei“, die erste CD der „Halunke„, mit gemischten Gefühlen: Einerseits lässt sich die Frage, ob die Welt wirklich eine weitere Berner Mundartband braucht, ziemlich schnell und zuungunsten der Band beantworten.

Andrerseits: der Oberhalunke ist Christian Häni. Die ehemalige Kopf von „Scream“ ist nicht für unausgegorene Arbeiten bekannt. Und ein begnadeter Texter mit einem feinen Händchen für Melodien, die sich bisweilen mit fast bemühender Hartnäckigkeit im Gehörgang festsetzen.

Also klickt man auf „Play“…und merkt nach einer halben Minute, dass man gerade dabei ist, sich eine der besten Scheiben anzuhören, die in der Schweiz in den letzten, sagen wir: zehn Jahren veröffentlicht worden ist. Es fägt, und zwar zünftig, vom ersten Ton bis zum Schlussakkord.

„Wir haben das Rad nicht neu erfunden, nur drehen wir es manchmal
ein bisschen anders“, sagen die Halunke über sich selber. „Anders“ war konsequenterweise schon die Methode, mit der Häni, Oliver Müller,  Simon Rupp und Christoph Berger die Werbetrommel für ihren Erstling rührten. Das Geld fürs Marketing verteilten sie, bis zur Unkennlichkeit maskiert, in verschiedenen Städten unter die Leute. Die Medienschaffenden kamen, wie erwartet, fast von alleine, um ausführlich über die Aktionen zu berichten. Der Platz, den sie den Halunke einräumten, wäre in Inserateform kaum bezahlbar gewesen.

Auf die Musik bezogen, heisst „anders“: origineller als manche auf Hitparadenplätze spanifelnde Mitbewerber, aber nicht auf Teufel komm raus lustig; hintergründiger als viele Liebesfreuden- und -leiden besingende Kolleginnen und Kollegen, aber nicht verkrampft tiefenpsychologisch; und frischer als manch gut abgehangener Lokalmatador, aber nicht ums Töten alternativ (oder was auch immer für eine Schublade aufgezogen werden könnte, um etwas einzuordnen, was nicht wie Patent Hofer aus Züri West klingt).

Das Schöne an dieser bemerkenswert sauber produzierten Scheibe ist: Man kann sie genausogut konzentriert mit dem Kopfhörer geniessen oder als Begleitmusik zum Abstauben missbrauchen. Spass macht sie so oder so. „Mit eir Hand am Mik ur angere ir Trickchischte“ setzen die Halunke den „chline Fische, wo nid so vieu chöi mischle“, ebenso liebenswürdig ein Denkmal wie Sam, dem ersten Affen im All, oder dem „Värslischmied“ Mani Matter, „em beschte vo aune“.

Die „Souerei“ besteht aus zig Kleinoden, deren wirklicher Wert sich erst beim zweiten oder dritten Hinhören erschliesst. Dennoch wirken die Songs durchs Band weg, als ob sie aus dem Handgelenk direkt ins Mischpult geschüttelt worden wären. Solche Tricks beherrschen nur ganz ausgekochte Halunken.

www.halunkeonline.ch

Der Alte auf Achse

Auch wenn das Sprachbild ein wenig schief hängt: Seit Mittwoch Morgen hält tout Biel den Atem an: Im Lindenquartier hatte sich ein Senior in der Wohnung seines Elternhauses verschanzt, das zwangsversteigert werden sollte. Der Mann ist bewaffnet. Dass Peter Hans Kneubühl nicht im Traum daran denkt, widerstandslos aufzugeben und sich in den Fürsorgerischen Freiheitsentzug einweisen zu lassen, war spätestens dann klar, als er zu vorgerückter Stunde auf einen Polizisten schoss und diesen gemäss einer Mitteilung der Kapo Bern schwer verletzte.

Der in Biel lebende Leiter von BZ Online berichtet seit bald 24 Stunden live von dem Ereignis. Wer die Direktübertragung mitverfolgt, fragt sich bisweilen, ob er mitbibbern oder fassungslos den Kopf schütteln soll.

Natürlich: Leute, die unkontrolliert in der Innenstadt herumballern, wünscht man sich nicht unbedingt in der eigenen Nachbarschaft. Andrerseits: Der Rentner wird von unzähligen Polizisten aus vier Kantonen gejagt. Helikopter sind im Einsatz und Hunde und Sondereinheiten mit schwarzen Masken und Knöpfen im Ohr und kugelsicheren Westen und allem.

Da stemmt sich ein einfacher Bürger stundenlang gegen eine technisch hochgerüstete kleine Armee – und schafft es irgendwann, ihr zu entwischen. Wäre der Schuss auf den Polizisten nicht gewesen: Kneubühl würde mit Sympathiepunkten überschüttet.

Die Facebook-Freunde von Jon Mettler, dem BZ-Reporter im Krisengebiet, sparen im Internet nicht mit aufmunternden Worten:  „Unser Held!!! Was tut man nicht alles für seinen Arbeitgeber“, applaudiert eine Kollegin. Ein anderer Facebooker will von Mettler wissen, ob er „auch eine Kevlar-Weste und einen Helm“ erhalten habe. „Weiter so, Kommissar Mettler – fassen Sie den Amokschützen“, feuert ein weiterer User den Journalisten im Krisengebiet an.

Ein Ende des Dramas ist auch am Freitagmorgen nicht abzusehen. Der Senior schoss in der Nähe seines Hauses erneut auf die Polizei. Die Fahndung wurde längst auf die ganze Schweiz ausgedehnt.

Mettler selber hadert nach einer Nacht und einem Tag an der Fahndungsfront mit seiner Heimat: „Das isch nüm mis Biel“, teilt er auf Facebook mit.

Nachtrag 11. September: Der Senior ist immer noch flüchtig.

Nachtrag 12. September: Von dem Mann fehlt weiterhin jede Spur.

Nachtrag 14. September: Auch nach sechs Tagen: nichts. Die Polizei teilt mit, sie ermittle „auf Hochtouren“.

Nachtrag 15. September: Hopperla.

Nachtrag 16. September: Die Polizei untersucht „minutiös“ Gegenstände, die sie aus dem Haus des immer noch flüchtigen Mannes geholt hat. Der Berner Polizeidirektor nimmt seine Leute in Schutz. In Biel werden die Vorsichtsmassnahmen erhöht.

17. September: Soooli.

Aus der Hölle

Einmal, sagte die Frau um die 40, habe der Chef ihr geraten, „meine Reize ein bisschen besser zur Geltung zu bringen“; das hebe den Umsatz. Immer wieder habe er von ihr gefordert, den Leuten mehr Waren auf Kredit zu verkaufen. Doch das, sagte sie, sei ihr zuwider gewesen. „Vor allem bei jungen Leuten hatte ich Skrupel.“ An einer Weihnachtsfeier sei der Chef schon nachmittags um 3 betrunken gewesen. Als sie und eine Kollegin die Festivitäten vorzeitig verlassen wollten, habe er versucht, sie zu küssen.

Ein anderer Vorgesetzter habe sie wissen lassen, erzählte die Frau weiter, dass er sich durchaus vorstellen könnte, mit ihr etwas anzufangen – „ausserhalb der Arbeit“, versteht sich. Pausengespräche mit Kolleginnen seien faktisch verboten gewesen.

„Manchmal“, sagte die Frau heute Morgen vor Gericht, „war es die Hölle“.

Irgendwann meldete sich eine junge Frau, die ihr Geld ebenfalls in der Hölle verdiente, per Telefon bei der älteren Frau und teilte ihr schluchzend mit, der Chef habe sie sexuell belästigt. Sie wagte sich nicht mehr nach Hause. Die ältere Frau nahm die jüngere vorübergehend bei sich auf. Wenig später erzählten zwei weitere Mitarbeiterinnen ihr als inoffiziellen Team-Mami dasselbe.

„Jetzt längts!“, sagte sich die ältere Frau. Mit einem eingeschriebenen Brief orientierte sie die Chefs ihres Chefs über die Zustände in ihrem Betrieb. Am selben Tag, an dem die Beschwerde die Chefchefs erreichte, wurde sie ins Büro ihres Vorgesetzten zitiert. Eine Viertelstunde später stand sie, fristlos entlassen, vor der Türe. Die zwei Männer, die sie dorthin gebracht hatten, sagten zum Abschied, sie solle sich hier nie mehr blicken lassen.

Ob der Chef sich tatsächlich an Mitarbeiterinnen vergangen hat, wurde juristisch nie abschliessend erörtert. Zwei Frauen zeigten ihn zwar an. Doch das eine Verfahren wurde mangels Beweisen eingestellt, das andere endete mit einem aussergerichtlichen Vergleich. Beide Frauen – sie arbeiten inzwischen nicht mehr in der Firma – erhielten von vermeintlichen Täter Geld. Wofür und wieviel genau, ist nicht ganz klar.

Die ältere Frau aber lässt sich den Rauswurf nicht einfach so bieten. Sie hat die Firma wegen missbräuchlicher Kündigung verklagt.

Heute fand die erste Verhandlung zur Sache statt. Der Richter fragte die Parteien, ob sie sich allenfalls auch ohne Mitwirkung der Justiz einigen könnten. Ja, sagte der Anwalt der Frau: Wenn die Firma seiner Mandantin 12 000 Franken bezahle, sei die Sache vom Tisch. Nein, sagte die Firma. Die Frau habe ihre Geschichte schon dem Lokalfernsehen erzählt. Andere Medien hätten die Story aufgegriffen. Damit habe die Firma keinen Grund mehr, ihr entgegenzukommen.

Ein Direktor der Firma versicherte, die Mitarbeiterin sei nicht wegen dieses Briefes entlassen worden, sondern, weil sie ihre Leistung nicht gebracht habe. Abgesehen davon habe sie menschliche Dezifite gehabt. Bei einem Mitarbeitergespräch habe man sie gewarnt, dass ihr der Rauswurf drohe, wenn sie sich nicht bessere. Einen Monat später habe die Firma keine Fortschritte erkennen können. Also habe der Chef die Konsequenzen gezogen.

Die Firma liess das Gericht schriftlich wissen, man habe sich fristlos von der Mitarbeiterin getrennt, um ihr soviel Zeit wie möglich zu geben, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.

An den Vorwürfen gegen den Chef sei im Übrigen nichts dran, sagte der Chef des Chefs dem Richter. Eine interne Untersuchung habe ergeben, dass es keine Gründe gebe, gegen ihn Massnahmen zu ergreifen.

Der Chef, der der Frau das Leben zur Hölle gemacht hatte, arbeitet immer noch in der Firma.

Als Gerichtsberichterstatter hat man dazusitzen, zu schweigen und zu notieren, was die Leute sagen. Das ist normalerweise kein Problem. Doch heute Morgen hätte ich der Frau gerne zugerufen, sie solle doch froh sein, dieser Firma entronnen zu sein, auch wenn sie jetzt keinen Job mehr hat.

Ob die Kündigung unrechtmässig oder gerechtfertig war, weiss noch niemand. Das Gericht setzt die Verhandlung nächstes Jahr fort. Dann wird auch der Chef  aussagen müssen. Irgendwie kann ich mir heute schon vorstellen, wie seine Version der Geschehnisse klingen wird.

Wo eine Brille ist, ist auch ein Weg

Eben: Ich brauchte eine neue Brille.

Die Frau in dem Geschäft mit der tollen Fernsehwerbung

fragte mich, ob ich einen Sehtest machen wolle, weil der letzte schon über fünf Jahre zurückliege.

Unten im Keller, an einem Gerät, das ebensogut in der Kulisse eines Science-Fiction-Films stehen könnte, zeigte sich schnell: mit einem neuen Gestell wird es nicht getan sein. Die Zahlen habe ich nicht mehr im Kopf, aber es lief daraus hinaus, dass ich tiptopp sehen würde, wenn da nicht diese Hornhautverkrümmung hinter dem rechten Auge wäre. Dramatisch seis nicht, sagte die Optikerin. Aber besser werde es auch nicht. Neue Gläser wären deshalb keine schlechte Idee.

An der Hightech-Maschine hatte ich nicht nur einen tollen Einblick in den Ausschnitt der Verkäufern, sondern auch und vor allem gesehen, wie ich mit der neuen Brille sehen werde. Es war nicht gerade ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aber ich staunte schon, wie klar und deutlich ich Zahlen und Buchstaben erkennen konnte, die ich zuvor nur noch als Schemen und Schatten wahrnahm.

In zehn Tagen werde ich, um es einmal chli überspitzt zu formulieren, ein ziemlich neues Bild von der Welt haben. Ich freue mich sehr darauf, wieder ohne jede Anstrengung stundenlang lesen zu können, statt das Buch nach zehn Seiten, von einer merkwürdigen Müdigkeit übermannt, weglegen zu müssen. Von den Möglichkeiten, die sich schreibenderweise neu bieten, gar nicht zu reden. Dass ich nicht mehr jedesmal einen Pfader herbeipfeifen muss, wenn ich über die Strasse will, ist ein weiterer netter Nebeneffekt; auch für die Pfader.

Es klingt vielleicht etwas altväterisch. Aber ich kann jedem und jeder nur empfehlen, einigermassen regelmässig die Augen testen zu lassen – selbst oder gerade wenn es damit endet, dass man sich von der alten Sehhilfe verabschieden muss. Es tut nicht weh und kostet nicht die Welt; für den Check plus die Brille samt Gläsern und allem bezahlte ich tausend Franken und fünfzig Rappen.

Bei Menschen ab 40 lasse die Sehstärke alle drei bis fünf Jahre nach, sagte die Fachfrau. Das ist zwar etwas mühsam zu  akzeptieren, aber „et ess, wie’t ess“, singen Bap. Nur: Wenn man schon weiss, dass sich Mutter Natur mit einer halbstündigen Sitzung überlisten lässt: warum soll man dieses Fitzelchen Zeit nicht in ein erstaunlich grosses Stück Lebensqualität investieren?