Ein klarer Fall

 

Wasen bei Sumiswald ist nicht das, was Journalisten „ergiebig“ nennen. 

Doch am letzten Freitag wurde die Kleingemeinde innert Stunden schweizweit bekannt: Ein knapp 68-jähriger Mann erschoss seinen unmittelbar vor der Pensionierung stehenden Bruder und dann sich selber.

Die zwei Junggesellen waren zusammen durch ihr ganzes Leben gegangen. Dann haben sie es zusammen verlassen.

Das ist, eigentlich, nicht der beängstigendste Gedanke, den man im Zusammenhang mit dem Sterben haben kann.

Die Frage ist aber: Wie freiwillig gingen sie in den Tod?

Die Leute, mit denen ich am Tag nach dem Leichenfund in Wasen geredet habe,  können sich die Tat nicht erklären. Einige sagten zwar, dass es zwischen den Brüdern „schon ab und zu Spannungen“ gegeben habe. Nur: Dass man sich zwischendurch auf die Nerven gehe, sei nach so vielen gemeinsamen Jahrzehnten nicht weiter erstaunlich. Und schon gar kein Grund, um bei einem Streit gleich zum Gewehr zu greifen.

Also: Was dann?

Vielleicht war der eine unheilbar krank und bat den anderen, der Sache ein Ende zu machen. Der ältere Bruder erfüllte dem jüngeren diesen letzten Wunsch. Überwältigt von Trauer und Schmerz und schlechtem Gewissen, drückte er ein zweites Mal ab.

Vielleicht wollte der eine dem anderen seinen Karabiner zeigen, weil daran irgendetwas klemmte oder weil er sich fragte, ob man diese Flinte nicht weggeben könnte; man brauche sie hier, in diesem friedlichen Quartier, ja kaum mehr. Während er mit dem Gewehr hantierte, ging ein Schuss los. Von der Panik gesteuert, richtete der Überlebende, den toten Bruder vor Augen, die Waffe gegen sich und zog – diesmal halbwegs bewusst – noch einmal am Abzug.

Das Drama von Wasen konnte ein Liebesdienst, ein Unfall, ein Versehen…es konnte x etwas gewesen sein.

Doch während sich die Freunde und Bekannten der Brüder immer noch fragen, wie das passieren konnte und die Polizei damit beschäftigt ist, die Hintergründe der Tragödie aufzuklären, präsentierte der  „Blick“ sein Untersuchungsergebnis schon am nächsten Tag fett auf den Kioskplakaten: Ein „Brudermord im Emmental“ wars.

„Mord“? Das Bundesgericht spricht von Mord, „wenn der Täter besonders skrupellos handelt (und) namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind.“ Ein Mord zeichet sich für die höchsten Richter „durch aussergewöhnlich krasse Missachtung fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus“.

Ob und wenn ja wie „skrupellos“ der ältere Bruder gehandelt hat, wie krass er fremdes Leben missachtete und welche persönlichen Absichten er damit allenfalls verfolgte, bleibt möglicherweise für immer unklar: Ermittlungen gegen Verstorbene sieht das Gesetz nicht vor. Eine Gerichtsverhandlung wird es in diesem Fall nie geben. 

Und damit, rein juristisch betrachtet, auch keinen Schuldigen.

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