„Was letztlich zählt, ist das Füreinanderdasein“

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Wie neulich schon angekündigt: Hier ist die Laudatio, die ich am Eröffnungsabend der Burgdorfer Krimitage im vollbesetzten Casino Theater auf Bernhard Aichner, den Gewinner des Krimipreises 2014, halten durfte:

„Lieber Bernhard Aichner,
liebe Ursula Aichner,
liebe Mitglieder der Stadt- und Gemeindebehörden,
liebe Leserättinnen und –ratten,
liebe Importeure und Exporteure,
liebe Krimifreundinnen und –freunde,
liebe Liebhaberinnen und Liebhaber des Bösen,
lieber Max Broll,
lieber Johann Baroni

Durch rund 100 Bücher haben sich die Mitglieder der Jury, die alle zwei Jahre den Burgdorfer Krimipreis vergibt, gelesen. Vier Romane schafften es ins Finale – und nach einer für das mörderische Genre erstaunlich lebendigen Debatte stand für uns fest: The Winner is Bernhard Aichner mit ‚Leichenspiele‘.

Ich darf wegen des berüchtigten Schweizer Jurygeheimnisses nicht sagen, wen Sie alles – verzeihen Sie bitte den Ausdruck – ‚ausgestochen‘ haben. Aber ich kann Ihnen verraten, dass darunter Autorinnen und Autoren waren, die Fernseherinnen und Fernsehern, Radiohörerinnen und Radiohörern sowie Zeitungsleserinnen und -lesern – auch die gibts noch! – seit Jahren bestens bekannt sind.

Die Helden Ihres Krimis sind ein Totengräber, der von seinem Job genug hat, und ein ehemaliger Fussballer, der wegen seiner Spielsucht am Abgrund seiner Existenz steht. Das alleine ist schonmal eine interessante Ausgangslage. Die Geschichte selber spielt im Grunde eine Nebenrolle. Sie ist wie eine Staffelei, auf der Sie, lieber Bernhard Aichner, lustvoll mit Worten und Sätzen malen.

Die Handlung lebt von der Freundschaft der beiden Protagonisten, die mit erstaunlicher Regelmässigkeit in die haarsträubendsten Situationen geraten – und es miteinander immer wieder schaffen, sich auch aus der verzwicktesten Lage zu befreien.

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Mit ‚Leichenspiele‘ schenkten sie uns eine sehr, sehr schöne Erzählung, die sich extrem flüssig liest, mit aussergewöhnlich viel schwarzem Humor angereichert ist und die ohne den ganzen Sozialkitsch auskommt, der an immer mehr Fernseh-„Tatorten“ zur Grundausstattung gehört. Sie scheren sich einen Deut um Political Correctness, packen den Leser mit dem ersten Satz und lassen ihn bis zum letzten Abschnitt nicht mehr los.

Einer meiner früheren Deutschlehrer hat einmal gesagt, beim Schreiben gehe es nicht darum, ein bestimmtes Thema zu treffen, und auch nicht darum, den Leser oder die Leserin zu belehren, oder ihm vorzuspielen, man wisse weiss Gott nicht was alles. Was zähle, sei, den Leser bei der Stange zu halten. Ihn an der Hand zu nehmen und mit einem kaum merklichen Ziehen dazu zu bewegen, einem bereitwillig über staubige Strassen, in stacheliges Dickicht und durch dunkle Gassen an einen Ort hin zu folgen, den er nicht kennt.

Oder anders gesagt: Erlaubt sei beim Schreiben alles, nur eines nicht: den Leser zu langweilen. Dr. Gerhard van den Bergh, der besagte Lehrer und Philosoph, hätte am Träger des Burgdorfer Krimipreises 2014 seine helle Freude gehabt.

Wenn Sie, werter Herr Aichner und liebe Damen und Herren im Publikum, sich langsam zu fragen beginnen, wer hier eigentlich spricht – ein Mitglied der Jury oder ein Fan? – muss ich Ihnen sagen: Ich weiss es nicht. Aber das spielt hoffentlich auch keine zu grosse Rolle. Was ich weiss, ist, dass Aichners Figuren – allen voran natürlich Max Broll – es mir mehr angetan haben als viele andere Hauptdarsteller in anderen Romanen und Filmen; Börne und Thiel inklusive, und das will etwas heissen.

Dass unser Sieger zu Max Broll und seinem Kumpanen Johann Baroni ein ausgesprochen inniges Verhältnis haben muss, ist offenkundig. Wer mit soviel Verständnis und Herzblut über jemanden schreibt, den es gar nicht gibt, sieht in diesem Jemand sehr viel mehr als bloss eine Figur, die die Handlung vorantreibt. Ihn verbindet mit diesen Wesen etwas, was weit über eine ‚Arbeitsbeziehung‘ hinausgeht: eine wahre Freundschaft.

Der Begriff ‚Freundschaft‘ hat, seit jedermann und –frau sein Face in einem virtuellen Book präsentieren kann, an Wert verloren. In den paar Minuten, in denen ich hier stehe und rede, werden Millionen von Freundschaften aufs Geratewohl hin geschlossen oder beiläufig aufgekündigt; mit einem einzigen Mausklick. Sehr vielen Menschen ist nicht mehr wichtig, was für Freunde sie haben, sondern wieviele. Freundschaften sind für sie eine Zahl, mit der sie vor anderen Leuten angeben könnten, falls sie im realen Leben noch reale Leute treffen würden.

Doch was eine echte Freundschaft auszeichnet – das bedingungslose Sichaufeinanderverlassendürfen, das endlose Vertrauen in- und Verständnis füreinander, der unbrechbare Wille, zusammen durch Dick und Dünn zu gehen – zählt auf Facebook und artverwandten Plattformen nur am Rande. Das ist bemerkenswert in einer Gesellschaft, die zunehmend von Neid und Missgunst und Habgier geprägt ist.

Wenn alle mit ausgefahrenen Ellenbogen unterwegs sind, um jeden beiseitestossen zu können, der ihnen im Kampf um Geld und Macht und Ruhm im Wege stehen könnte, kann es doch kein beruhigenderes Wissen geben als jenes darum, jemanden in der Nähe zu haben, dem es völlig egal ist, welchen Beruf man ausübt, wieviel man verdient, wo und wie man wohnt oder ob man einen Schweizer Pass hat oder einen österreichischen oder einen nigerianischen oder gar keinen.

Dass Sie, lieber Bernhard Aichner, mit Max Broll und Johann Baroni zwei Typen geschaffen haben, die eine wahre Freundschaft leben – oder leben müssen, um überleben zu können – rechnet Ihnen die Jury des Burgdorfer Krimipreises ganz, ganz hoch an.

Ihre Helden sind liebenswürdige Vorbilder für uns alle, indem sie zeigen, dass es am Ende nicht auf einen faltenfreien Lebenslauf ankommt oder darauf, wer materiell wieviel zu bieten hat. Was letztlich zählt, klingt recht unspektakulär, ist aber mehr wert als alles Gold dieser Welt: Das Füreinanderdasein – in guten wie in schlechten Zeiten.

Ich weiss nicht, ob schon jemand plant, die ‚Leichenspiele‘ zu verfilmen. Zu gönnen wäre es nicht nur Ihnen, lieber Bernhard Aichner, sondern auch all jenen Unterhaltungsjunkies, die guten Stoff lieber im Kino oder im Fernsehen konsumieren, statt ihn sich lesend reinzuziehen.

Vor allen anderen zu gönnen wäre eine europa- oder gar weltweite Verbreitung der Geschichte Max Broll und Johann Baroni: Ihrer Art, eine Freundschaft zu pflegen, können nicht an genügend vielen Orten Denkmäler gesetzt werden.“

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Abschied ohne Tränen

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Was den einen der Frühlingsputz ihrer Wohnung, ist mir die Herbstausmistete meiner Freundesliste auf Facebook: 116 Damen und Herren löschte ich in den letzten Wochen mit einem Mausklick aus meinem virtuellen Bekanntenkreis.

Der Säuberungsaktion zum Opfer (wobei: „Opfer“ ist in diesem Zusammenhang ein grosses Wort; ich weiss) fielen zuerst all jene Voyeure und Voyeusen, die immer nur lesen, was andere schreiben, aber nie selber etwas über sich berichten. Ihnen folgten mehrere Leute, die ununterbrochen Dinge posten, die mich nicht interessieren. Am Schluss entledigte ich mich noch einiger Nervensägen, die mir irgendwann von irgendwoher zugelaufen waren und von denen ich auch Jahre später keine Ahnung hatte, was ich mit ihnen zu tun haben könnte oder zu tun haben möchte.

Aktuell umfasst mein Facebook-Freundeskreis jetzt noch knapp 200 Personen. Die meisten von ihnen kenne ich persönlich, und mit jenen, mit denen ich bisher keinen direkten Kontakt hatte, könnte ich mir ohne Weiteres vorstellen, zumindest einmal einen Kaffee trinken zu gehen. Ihre Texte, Bilder und Filmchen bringen mich zum Schmunzeln, Staunen, Kopfschütteln undoder Nachdenken. Sie geben mir manchmal Feedbacks, diskutieren gerne auch Nebensächliches und tragen mit ihren Aktivitäten und ihrem Interesse, kurz gesagt, einiges dazu bei, dass ich mich in der Online-Welt meist rundum wohlfühle.

Bemerkenswert ist: Einige meiner nun ehemaligen „Freundinnen“ und „Freunde“ habe ich in der Zwischenzeit live getroffen. Keinem und keiner einzigen von ihnen scheint aufgefallen zu sein, was ihm oder ihr widerfahren ist. Über die Entrümpelung hat sich jedenfalls kein Mensch beklagt oder auch nur gewundert.

Entweder hat also noch niemand mitbekommen, dass er oder sie für mich nur noch am Rande existiert, oder dann ist es den Gelöschten egal, dass sie in meinem Leben keine Rolle mehr spielen. Im Ergebnis läuft beides auf dasselbe hinaus: Die Trauer über den Verlust hält sich hüben wie drüben in sehr überschaubaren Grenzen.

Einfach so

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Wenn der Lokomotivführer nach der Abfahrt in Bern nur ein bisschen mehr Gas(?) gegeben hätte, hätte es die Billetkontrolleurin bis zur Einfahrt in Burgdorf nicht mehr bis zu mir geschafft. Das wäre mir insofern nicht ungelegen gekommen, als ich vergessen hatte, ein Billet zu lösen.

Der Lokomotivführer nimmts mit dem Tempo aber sehr genau, und deshalb steht die Kontrolleurin jetzt, nur wenige hundert Meter vor dem rettenden Ufer Bahnhof, vor mir.

Also knipse ich den treuherzigsten Blick an, den ich auf die Schnelle im Repertoire finden kann, und sage halblaut:

„Mist. Das wird teuer.“

„Wieso meinen Sie?“, fragt die Kontrolleurin.

„Ich habe kein Billet. Sonst habe ich immer eins, nur heute nicht.“

„Haben Sie einen Ausweis dabei? Das Halbtax oder so?“

„Ich habe alles: Halbtax, Streckenabo, Liberoabo, ID, zwei Kafipässe vom Kiosk und vom Spettacolo, Bankkarten, einfach alles, ausser dem Billet, leider.“

„Das ist ja nicht schlecht. Können Sie mir kurz das Halbtax…“

„…klar! Hier!“

(Die Kontrolleurin betrachtet das Abo, greift zur Umhängemaschine und beginnt zu tippen.)

„Fahren Sie einfach oder retour?“

„Einfach.“

„Und nur bis Burgdorf?“

„Ja.“

„Ab Bern.“

„Ja.“

„Gut.“

„Wie mans nimmt. Das wird die teuerste Einfachfahrt aller Zeiten.“

„Nein, nein. Macht fünf Franken.“

„Was? Nur…?“

„Jaja. Wir können so Sachen auch so erledigen.“

„Oho! Heute ist mein Glückstag. Dankedanke!“

„Kein Problem. Einen schönen Tag noch.“

„Läck, das fägt!“

Was für eine Premiere: Bei ihrem ersten Auftritt in der legendären Mühle Hunziken sorgen die Halunke für offene Münder, freudenfeuchte Augen und wackelnde Ohren. Die Taufe ihrer dritten CD „Grammophon“ gerät zu seinem zweieinhalbstündigen Fest für die Liebhaberinnen und Liebhaber von klug arrangierter und liebevoll betexteter Berner Mundartmusik.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht, als mit „Nimm nume“ auch die allerletzte Zugabe verklungen ist, strömen die Menschen durchgeschwitzt und lächelnd aus der Mühle Hunziken am Rande von Rubigen, in der in den letzten Jahrzehnten schon zig hochkarätige Musiker aus der ganzen Welt für magische Momente gesorgt haben. „Läck, das fägt“, sagen sie, oder „das isch ja wahnsinnig xii“, oder „das isch denn hittig.“

Mit „das“ meinen alle dasselbe: Die Musik der Halunke. Drei CDs – „Souerei“, „Houston, we are ok“ und „Grammophon“ – sind von der Band um Gründer, Komponist, Texter und Produzent Christian Häni bereits erschienen. Den ganz grossen Durchbruch auf dem hartumkämpften Mundartmarkt haben Häni, Simon Rupp (Gitarre), Marco Mazotti (Bass) und Christian Berger (Drums) in den vergangenen vier Jahren noch nicht geschafft. Doch mit Darbietungen wie jener, die ihnen an diesem Samstag mit der Taufe ihres jüngsten Werks „Grammophon“ gelungen ist, werden die Halunke nadisna fast ganz von alleine zu den ganz Grossen aufschliessen.

Aus einem Guss

Sieben Mann stehen auf der Bühne, um live umzusetzen, was Häni und seine Frau Anja für „Grammophon“ im Alleingang eingespielt haben. Die um zwei Bläser (Thomas Knuchel und Daniel Durrer) plus einen Keyboarder (Manuel Halter) verstärkten Halunke sind Profis genug, um das Solowerk ihrer Chefs klingen zu lassen, als ob es sich um eine gemeinsam konzipierte und eingespielte Produktion handeln würde. „Musig“, „Guatemala“, „Bye Bye“, „Elefante“, „Jackpot“ oder die aktuelle Single „Nidohnidi“ wirken wie aus einem Guss.

Abgerundet wird das Set mit älteren Nummern wie „Houston, we are ok“, „Gar ke Zyt“, „Kasseschlager“, „Hand ids Muul“, „Boulevard“, „100 Millionewatt“ oder „Me Meer“, und wenn man so dasitzt oder -steht und den kunterbunten Songreigen geniesst, fällt einem auf einmal auf, wieviele kleine Diamanten diese Truppe in ihrer vergleichsweise kurzen Geschichte schon geschliffen hat.

Auch Büne Huber von Patent Ochsner – mit Polo Hofer und Kuno Lauener von Züri West eines der Urgesteine der Berner Mundartszene – scheint neidlos zu anerkennen, dass ihm aus dem jungen Rudel ernstzunehmende Konkurrenz erwächst. Dass er seinen Ü100-Kilokörper während der Plattentaufe von der Mühle-Empore ins Parterre hinunterwuchtet, um mit Christian Häni in einem der ruhigeren Momente dieser denkwürdigen Nacht seinen Uralthit „Ludmilla“ vorzutragen, zeugt von dem Respekt, den der alte Leitwolf seinem potenziellen Nachfolger entgegenbringt.

Setlist Plattentaufe Mühle Hunziken

1. Next level
2. Hand ids Muul
3. Nidohnidi
4. Elefante
5. Houston we are ok
6. Bigengdawodunidbisch
7. Gar ke Zyt
8. Me Meer
9. Wo isch äch dr Summer
10. Jackpot
11. Musig

(Pause)

12. Guatemala
13. Ludmilla
14. Mini Stadt
15. Bye Bye
16. Pinocchio
17. Boulevard
18. Affebande

(Zugaben)

19. Kasseschlager
20. 100 Millionwwatt
21. Nimm nume

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Weitere Konzerte

Samstag, 25. Oktober: Nordportal, Baden

Freitag, 14. November: Braui-Center, Langenthal