In einem Paradies auf Zeit

Nach zwei Wochen Australien ist es an der Zeit, diesem Land und seinen 22 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern einen dicken Kranz zu winden: freundlichere, zuvorkommendere, aufgestelltere und – für Schweizer sehr wichtig! – reinlichere Menschen gibt es vermutlich auf der ganzen Welt nicht.

Wo auch immer wir hinkommen, werden wir nicht wie wandelnde Bancomaten behandelt, die nur darauf warten, geleert zu werden. Sondern wie alte Bekannte, die man nach vielen Jahren wieder einmal sieht. Das leicht bis sehr hochnäsige Getue und Gehabe, mit der viele Schweizer auf ihre zahlenden Gäste zu- oder losgehen, ist den Aussies fremd.

Natürlich freuen sich auch die Australier über das viele Geld der Touristen. In erster Linie schätzen sie jedoch das Interesse, das man ihnen und ihrer Heimat entgegenbringt. Seis die Polizistin im Notfalldienst, die Frau an der Supermarktkasse, der Mann am Autobahnraststättengrill oder der Kunde im Plattenladen: sie alle scheinen mit einem angeborenen Lächeln durchs Leben zu gehen, das ungleich ehrlicher wirkt als das oft aufgesetzte „How loveley, my dear!“-Gehyster vieler Amerikanerinnen und Amerikaner.

Wenn einen ein Australier fragt, wie es einem so geht, tut er das in der Regel nicht, weils die Höflichkeit gebietet, sondern, weils ihn wirklich wunder nimmt. Und wenn man darauf antworten würde, man sei gerade nicht so gut drauf, würde er alles unternehmen, um das auf der Stelle zu ändern. Während „der Amerikaner“ sagt, „wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind“, sagt „der Australier“, „dein Freund ist mein Freund“.

Die Hilfsbereitschaft ist grenzenlos: Vorgestern zum Beispiel verlor ich in Byron Bay mein Portemonnaie samt 160 Dollar Bargeld und der Kreditkarte. Das Betreiberpaar des Motels, in dem wir erst am Vorabend eingecheckt haben, stellte mir, noch bevor ich darum gebeten hatte, sein Telefon zur Verfügung, rief die Restaurateure im Umfeld jenes Platzes an, auf dem der Geldbeutel vermutlich verschwunden war und gewährte mir kostenlosen Zugang zu seiner Internetleitung, damit ich den ganzen administrativen Kram erledigen konnte. Tags darauf erkundigten sie sich, ob es mit dem Kartensperren und so geklappt habe. Als ich sagte, es sei alles in Ordnung, freuten sie sich, als ob es sie persönlich betroffen hätte.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob derselbe Service auch in der Schweiz mit derselben Selbstverständlichkeit geboten worden wäre. In der Schweiz hätten die Hoteliers zuerst einmal gefragt, ob wir die Rechnung jetzt trotzdem bezahlen könnten und wenn nein, wen man dafür haftbar machen könnte. Das Internet koste zehn Stutz; wenns geht, bitte cash.

Abgesehen davon gilt es, mit dem einen und anderen Vorurteil aufzuräumen: Die Australier sitzen nicht den ganzen Tag an der Sonne, um ein Bier nach dem anderen in sich hineinzuschütten. Zweifellos haben auch sie es gerne gemütlich; und ganz bestimmt sind sie nicht die ersten, die gehen, wenns am Schönsten ist. Aber den grössten Teil ihrer Zeit verbringen sie mit zum Teil sehr harter Arbeit auf Dächern, in Gärten, auf staubigen oder überschwemmten Landstrassen und in Spitälern.

In den Beizen gelten alkoholausschankmässig mindestens so strikte Regeln wie in der Schweiz. Und wer zuviel intus hat, fliegt raus, ohne der Bedienung „Noch eines!“ zulallen zu können. Für Nikotinjunkies ist Australien die Hölle: das Rauchen ist nicht nur in den Restaurants, sondern weitestgehend auch in Strassencafés verboten. Ein Päckli Zigaretten kostet 17 Franken. Wer eine Zigi auf die Strasse wirft und sich dabei erwischen lässt, muss sein Monatsbudget neu überdenken.

Sicher: Wir sehen hier nur die touristische Seite eines Landes, das noch Hunderttausende von anderen Facetten hat. Auch in Australien gibt es Mord und Totschlag und Männer, die ihre Frauen verprügeln. Ich sage nicht, dass die Australier bessere Menschen sind als wir Schweizer oder die Griechen oder die Kroaten. Aber die Art und Weise, wie sie mit dem Leben umgehen und die Herzlichkeit, mit der sie Wildfremden begegnen, ist einzigartig. Für uns Nordhalbkugler scheint sie fast unwirklich, doch für die Aussies ist sie offensichtlich selbstverständlich.

Aber auswandern? Hierbleiben? Lieber nicht. Vermutlich ist es mit Australien wie mit allem Schönen: man realisiert es nur, wenn man auch das Unschöne kennt. Und soviel Wunderbares, wie wir hier fünf Wochen lang unbeschattet von allem Hässlichen erleben und sehen dürfen: das ist in der Realität auf Dauer nicht zu haben. Auch nicht in Australien.

So oder so oder so

Kängurus gibt es in Australien in den unterschiedlichsten Formen.

So sieht man sie allpott:

So trifft man sie seltener; und wenn, dann mit der Stossstange:

So schmecken sie am besten:

(Bilder: eins von Chantal, zwei von mir)

Snack attack

Er ist da draussen. Niemand kann ihn sehen. Niemand kann ihn hören. Er wartet. Er hat Zeit. Er denkt nicht in Begriffen wie „Heute“ und „Morgen“. Er denkt überhaupt nicht.

Wir sind hier drinnen, in Zimmer 7 des „Dolphin“-Motels in Byron Bay. Niemand kann uns sehen. Niemand kann uns hören. Wir warten. Wir haben Zeit. Wir denken nicht in Begriffen wie „Heute“ und „Morgen“. Wir denken überhaupt nicht.

Wenn die Wäsche trocken ist, gehen wir an den Strand. Die Luft vibriert vor Hitze. Der Asphalt glüht. Sobald wir am Meer sind, stürzen wir uns ins Wasser.

Dann teilen wir den selben Lebensraum, er und wir. Er wähnt sich mit seinem Heimvorteil auf der sicheren Seite. Für ihn sind wir ein Snack. Wir aber haben gehört: ein paar Schläge auf die Schnauze vertreiben jeden Hai.

Man kann also sagen: Wir haben die besseren Karten.

(Bild: Chantal)
   

Vor und hinter Dugong

In den Minuten, in denen ich das hier auf einer Motel-Veranda im Grünen schreibe, erwacht gerade ein neuer Tag. In den Bäumen zwitschern und keckern unzählige unsichtbare Vögel. Die Luft riecht süsslich, als ob in den Nähe ein riesiges Honigfass umgekippt wäre. Hinter der Anlage weckt ein Trucker sein Monster. 

Auf dem Weg in den Norden brausten wir gestern durch atemberaubend schöne Gegenden voller Seen, Tümpel, Hügel und Wälder. In einem ziemlich sehr abgelegenen Ort namens Dugong legten wir einen Zwischenhalt ein. Dugong muss man vorstellen wie eine dieser Städte aus den Wlldwestfilmen, auf deren Hauptstrasse sich ständig zwei übelgelaunte Männer mit den Händen an den Revolverhalftern gegenüberstehen, während Staubkugeln durch die gottverlassenen Gassen rollen und vor der einzigen Bar ein zerfurchter Alter seine letzte Luft in die zerbeulte Mundharmonika bläst. In der Apotheke von Dugong erhielt ich nicht nur ein Deo und Rasierklingen; ein Lächeln mehr, und die mittelalterliche Chefin mit ihren roten Pfuusbacken hätte sich selber mit eingepackt.

Ohne die desperate businesswive auf dem Rücksitz, aber mit Bruce Hornsby und Eric Clapton in den Ohren, fuhren wir auf holprigen Landstrassen und auf dem Pacific Highway weiter. Eine unserer Hauptbeschäftigungen unterwegs ist das Öffnen und Schliessen der Autofenster. Denn das Wetter hier ist ein Fall für sich: Stundenlang ist es sonnig oder leicht bedeckt…und dann, wie aus dem Nichts, beginnt es zu regnen. Aber nass wird man nie, oder jedenfalls nicht richtig: das Wasser scheint zu verdunsten, bevor es den Boden berührt. Nur: Wenns dann einmal richtig schifft, stehen gleich ganze Landstriche unter Wasser. Gestern zum Beispiel wurde das Gebiet um Waga-Waga geflutet. Das liegt auf der Landkarte ganz in der Nähe. Doch „Nähe“ ist in Australien ein sehr relativer Begriff: zwischen uns und Waga-Waga liegen zig Hunderte von Kilometern. Also: don’t worry, drive on.   

Im Tierpark von Billabong streichelten wir den Koala, der an diesem Tag Touristendienst hatte. Er erledigte seinen Job mit der diesen Schnügeln eigenen Gleichmut, war aber trotzdem ganz froh, als er nach fünf Minuten schon Feierabend hatte und sich auf seinen Eukalyptusbaum verziehen konnte, weil sich die meisten Leute lieber mit mir fotografieren lassen wollten. Als mich all die Japaner und Amerikaner fertig gestreichelt hstten, fütterten wir Kängurus und einen Strauss. Weiter gesehen: zwei Dingos, einen Wombat, Echsen, Kröten, allerlei Fische und eine Taipan, die allerallergiftigste Schlange der Welt. 

Gegen Abend checkten wir im „Motor Inn“ vor Kempsey ein. Der ebenso freundliche wie redselige Besitzer sagte, er habe einen sagenhaft guten Koch, nur sei der leider vor ein paar Stunden schwer verunfallt, weshalb die Küche geschlossen sei.  
   

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