Am Schwanenzugersee

Auch wenn die Schwäne wegen ihres nur mässig ausgeprägten Reinlichkeitssinnes nicht von allen Menschen gleichermassen gemocht werden: schön und herzig und elegant und alles sind sie. Dieser Familie, die in aller Ruhe das Zugerseeufer nach Essbarem absuchte, hätte ich stundenlang zuschauen können. Aber dann standen beim Bootsverleih 50 Meter weiter links auf einmal Kinder mit vielen, vielen Brotresten – und weg waren die Vögel.
 

Nächstes Mal bringe ich ihnen eine Kirschtorte mit.

Alles und doch nichts verpasst

Das war aber auch wieder eine Aufregung in den letzten Tagen:

Die Schweiz habe „eine neue Fichenaffäre“, stand am Donnerstag in den Zeitungen.

Tags darauf überraschte der ehemalige Geheimdienstchef mit der Aussage, „Politiker wollen sich profilieren“. Und die Möchtegern-Miss Schweiz mit dem Statement, „Tierquälerei törnt mich ab“. Weiter wurde berichtet, dass Nayla Hayek den Job ihres Vaters übernehme.

Am Samstag erfuhr „das Volk“, es müsse „Millionen für das Bärenpark-Debakel zahlen“ und dass ein paar Kantone Mühe mit der Lehrerrekrutierung haben. Die Berner Regierungsräte gaben ihre Ferienziele bekannt.

Gestern: Abschied von Hayek, Auftritt von Collins.

Von all dem habe ich nichts mitbekommen. Denn seit letztem Donnerstag bis und mit heute Morgen habe ich keine einzige Zeitung durchgeblättert und nicht eine Nachricht im TV gesehen. Die Fussball-WM findet sowieso ohne mich statt.

Stattdessen: Sonne, See und Schwäne. Glacé, Bücher, Hängematte. Friede, Freude, Pfirsichwähe.

Eigentlich müsste ich micht jetzt fast hintersinnen, so vieles verpasst zu haben.

Aber ich mir sicher: genau deswegen habe ich wunderbarerweise sehr vieles nicht verpasst.

Ein runder Tag

Am Himmel ist kein Wölkchen zu sehen. Im Baum in Nachbars Garten bespricht eine Vogelfamilie die heutige Ämtliverteilung. Die Luft duftet nach Gras und Geissen und Sommer. Schon beim Erwachen weiss man: das gibt einen Prachtstag, an dem von A wie Aufstehen bis Z wie Zubettgehen einfach alles stimmt.

Am liebsten würde man…ja, was?

„Perfect day“ singen, wenn mans könnte:

In die Gegend hinaus juchzen. Wie ein Kind in die Hände klatschen.
Oder einfach chli herumhüpfen vor Freude:

Das Monster am Fenster

Bisher kam sie nur in den Abendstunden vorbei,  um vor einem meiner Fenster wie ein schnurloses Jojo auf und ab zu schweben und helmutkohlmässig vor sich hinzubrummen.

Aber heute ist die Hornisse schon am frühen Morgen da. Vielleicht will sie nur wissen, ob in meiner Wohnung alles in Ordnung ist. Vielleicht hat sie sich aber längst ausgerechnet, dass der Typ da drin als Vorrat bis weit in den Winter hinein reichen würde und fragt sich in diesem Moment, ob sie genügend Gift intus habe, um ihn mit einem gezielten Stich in die Halsschlagader zu töten.

Hinein kam sie erst einmal. Als ob sie zuviel getrunken hätte, sauste sie in einem merkwürdigen Zickzackflug unter den alten Holzbalken und hinter dem Sofa durch. Dann flog sie hoch auf die Galerie, wo mein Bett steht. So gelassen wie möglich schaute ich ihr bei ihrem Erkundungsflug zu. In der Sonntagsschule hatte ich gelernt, dass jedes Tier seine Daseinsberechtigung hat. Also , dachte ich mir, wird auch diese Hornisse für etwas gut sein. Abgesehen davon warten in ihrem Nest bestimmt ein lieber Mann oder eine tolle Frau und herzige Kinder auf sie. Und wie sang schon Bob Marley? „Let’s get together and feel alright.“  

Doch dann musste ich aufs WC. Als ich nach zwei oder drei Minuten wieder herauskam, war sie nicht mehr zu sehen. Und nicht mehr zu hören. 

Erst dachte ich: schön. Sie ist weg. Doch dann flüsterte in meinem Hinterkopf eine leise, aber unüberhörbare Stimme: „Täusch dich nicht, mein Lieber. Sie ist nach wie vor in der Wohnung. Du kannst sie nur nicht sehen. Sie hat sich versteckt. Sie wartet. Auf dich.“

Das mit dem „feel alright“ hatte sich damit erledigt. Der Gedanke, dass irgendwo in meiner Wohnung eine Hornisse mit geladener Waffe darauf wartet, mich hinterrücks zur Strecke zu bringen, klebte für den Rest des Abends wie Sirup in meinen Gehirnwindungen. 

Haie sterben, wenn sie sich nicht bewegen. Wie ist das bei Hornissen? Wie lange kann eine Hornisse reglos dasitzen, ohne wegen Sauerstoffmangels bleibende Schäden zu riskieren? Wobei: Welche Rolle spielt es für das Opfer, ob sein Killer einen Schaden hat oder nicht?

Falls mich jemand beim Schlafengehen beobachtet haben sollte, dürfte er sich Gedanken gemacht haben, die sich kaum von einer forensischen Diagnose unterscheiden. Wie ein kleines Kind, das in den Kleiderschrank guckt, um sicherzugehen, dass darin auch heute Abend kein Monster sitzt, das sich mit seinen nadeldünnen gefletschten Spitzzähnen aufs Lichterlöschen freut, schaute ich hinter dem Schäftli und – ja – unter beiden Decken und Kissen nach, ob das Vieh vielleicht…aber es war nicht. Es dauerte trotzdem ein Weilchen, bis ich im insektenlosen Traumland angekommen war.

Und jetzt, eben: Seit einer halben Stunde möchte ich am Fenster eine Zigarette rauchen. Aber solange sie da ist, lasse ich das schön bleiben.

Zu ihren Gunsten gehe ich jetzt einfach einmal davon aus, dass Hornissen genau dafür geschaffen wurden: um die Menschen vom Rauchen abzuhalten.