Heiter weiter

Coronabedingt abgesagt: Veranstaltungshinweise in Burgdorf. (Bild: Urs Hofstetter)

„Das ist wie in einem Land vor unserer Zeit!“, staunte mein Brüetsch, als er mich vor ein paar Wochen besuchte. Wir standen vor einer Vitrine, in der Plakate für Anlässe hingen, die wegen Corona abgesagt wurden.

Inzwischen ist zumindest in Burgdorf alles anders: Während es anderswo darum geht, die Menschen voneinander fernzuhalten, um ein Ausbreiten der Seuche zu verhindern, führen die hiesige Stadtverwaltung und private Veranstalter Leute zusammen.

In der Schmiedengasse fand neulich eine Buchvernissage statt. Dutzende von Interessierten standen arglos diskutierend beisammen und verpflegten sich Schulter an Schulter an einem Buffet. Später dislozierten sie unter die Marktlauben an ein Konzert.

Am selben Abend richtete ein Restaurant am Hofstatt-Platz einen „Balztanz“ samt DJ, Bar und „feinem Futter“ aus. „Einige Verwegene wagten auf dem holprigen Naturboden ein Tänzchen, ansonsten wurde einfach das ‚Zämesi und Ploudere‘ genossen“, rapportierte die Lokalzeitung.

Und – judihui! – es geht heiter weiter: Mitte Oktober steigt am Schlossfuss die 15. Kulturnacht. Deren Reiz besteht darin, von Lokal zu Lokal zu bummeln und dort aller Gattig Kunst vorgesetzt zu bekommen.

Zwei Wochen zuvor öffnen an der 1. Industrienacht Burgdorfer Unternehmen ihre Türen „für alle Interessierten aus der Bevölkerung“. Zusätzlich bauen rund 20 Firmen in der Markthalle eine „Industriearena“ auf, um „der Region ihre Arbeits- und Ausbildungsplätze zu präsentieren“.

Für den Herbstanlass der Regionalkonferenz Emmental in der Burgdorfer Markthalle liess sich „Mr Corona“ Daniel Koch als Zugpferd einspannen. Ein übertriebenes Gerangel um die Plätze scheint bisher trotzdem nicht zu herrschen:

Ende August offeriert das OK der Burgdorfer Krimitage seinen Dutzenden von Helferinnen und Helfer ein Fest. Zu Feiern gibts allerdings wenig: Die Krimitage, die jeweils Tausende von Besucherinnen und Besuchern aus dem In- und Ausland nach Burgdorf locken, wurden längst abgesagt. Zu behaupten, die Macherinnen und Macher hätten diesen Entscheid einstimmig gefällt, wäre zuverlässigen Quellen zufolge falsch.

Und so weiter, und so fort, und darüberhinaus: Seit das Schloss wiedereröffnet wurde, schlendern täglich zig Touristinnen und Touristen durch die Stadt. Sie vermischen sich ungeniert mit Eingeborenen, die in der Migros oder auf dem Markt eben noch Gemüse betatscht und Bekannten die Hände geschüttelt hatten.

Wenn die amtlichen Angaben stimmen (Zweifel daran sind erlaubt) gab es in Burgdorf bisher ein Dutzend Corona-Infektionen. Das ist kein Grund, um in Hysterie zu verfallen.

Aber es könnte ein Anstoss dafür sein, zu überdenken, was wirklich wichtig ist und was nicht. Oder, um eine längst ausgelutschte Redewendung zu bemühen: das Wünschbare frei von Eigeninteressen vom Machbaren zu trennen.

Davon ist in der Zähringerstadt jedoch wenig zu spüren. Für viele Menschen scheint das Virus seit der umfassenden Lockerung der Corona-Bekämpfungsmassnahmen am 6. Juni verschwunden zu sein.

Erstaunlich ist das nicht. Die Stadtregierung ignoriert das Thema ja auch. Während sich Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten oder andere Exekutivmitglieder überall in der Schweiz schon während des Lockdowns per Mail, Medienmitteilung oder Videobotschaft an „das Volk“ wendeten, um ihm zu signalisieren, dass sie in dieser Krisenzeit an die Menschen denken und mit ihnen fühlen, ging und blieb Burgdorfs politische Führungsriege auf Tauchstation.

Den Kontakt mit den 16 000 Corona-Betroffenen überliess sie der Verwaltung. Sie sorgte mit Mitteilungen auf der städtischen Website und grossflächigen Inseraten dafür, dass die Einwohnerinnen und Einwohner über den schnell wechselnden „Stand jetzt“ der Dinge auf dem Laufenden blieben.

Sowenig Interesse die lokale Politik am Befinden der Burgdorferinnen und Burgdorfer an den Tag legte und legt, soviel Beachtung schenkt sie hoffentlich einem Anlass, der für den 12. November geplant ist: Dann lädt das Forum für Architektur und Gesellschaft zu einem Diskussionsabend zum Thema „Lehren aus der Corona-Krise“.

Dabei gehe es um Fragen wie „Was bedeutet Corona für eine Kleinstadt wie Burgdorf? Ändert sich etwas? Was könnte/sollte/müsste sich ändern in unserem Kleinstadtleben?“, teilt das Forum mit.

Wobei: Es ist ja nicht so, dass die Ansteckungszahlen sinken würden; ganz im Gegenteil. Und bald beginnen die Herbstferien. Anschliessend findet das Leben zum Entzücken des Virus weitgehend drinnen statt. Bis am 12. November kann also noch Vieles passieren.

Auch und ganz besonders in Orten wie Burgdorf.

5 Kommentare

  1. Wenn es darauf hinausläuft, dass in der von mir so geliebten Stadt eine Sause nach der anderen mit abwegigen „Schutzkonzepten“ abgeht und fahrlässig Infektionensherde kreiert werden, während ich auf dem Hoger in Kleinstzimmern bis 24 Kinder bis 8 Lektionen pro Tag mit Maske (für SuS und Lehrkräfte, im Unterricht!!) selbst bei Scheisshitze unterrichte: Dann könnte es mir den Nuggi heraustätschen.

  2. Dass du ohne Maske zmitts ins Schwarze fötelest isch imfau richtig maskulin ????. Umsomehr als die Hugigäste quasi deine begrenzten Nachbarn sind… zeitlich begrenzten, meine ich türli ????.

  3. Ja Hannes, ich muss Dir Recht geben.

    Die Krimitage sind abgesagt aber jede Menge kulturelle Veranstaltungen finden statt.

    Wenn zumindest gesagt würde: „Teilnahme nur mit Maske“ wäre bereits ein wichtiges Signal gegeben.

    Andererseits verstehe ich, wenn die Leute wieder einfach leben wollen. Leider realisiert aber kaum jemand, dass dies in einer neuen Realität stattfindet!

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