Dur d Suisse (III)

Mittwoch, 21. September 2022: Von Wil nach Rümlang

Es ist schon erstaunlich: Meinem Geografielehrer lag sehr viel daran, dass seine Eleven sämtliche russischen Gewässer von A bis Z oder dem Sauerstoffgehalt nach herunterbeten konnten. Von 95 Prozent der Ortschaften, die ich auf meinem Tüürli durch die Schweiz in diesen Tagen durchquere, habe ich jedoch noch nie gehört. Soviel, to whom it may concern, zum Thema „Ihr lernt für das Leben, nicht für die Schule.“

Heute zum Beispiel durfte ich Hofen, Hurnen, Bichelsee, Höfli oder Seelmatten (was für ein schöner Name!) entdecken. Das sind lauter Dörfer mit schmucken Häuschen, liebevoll gepflegten Gärten, jahrhundertealten Kirchen, anmächeligen Beizen, prächtigen Bauernhöfen und so weiter, und so fort, und auch wenn ich mich nicht in jedem dieser Orte für den Rest meines Lebens niederlassen möchte: Sie haben Charme und Cachet und verströmen nur schon damit etwas, was zig prominenteren Gemeinden fehlt.

Eine steife Bise begleitete mich vom Start in Wil bis zur Zielankunft in Rümlang. Weitere Gefährten auf der sich 60 Kilometer-Etappe waren Schafe, Schweine, Hühner und Kühe sonder Zahl. Andere Bikerinnen und Biker sah ich hingegen kaum.

Der grösste Teil der Strecke führte der Töss entlang durch sommerlich grüne Wälder, in denen Vögel pfiffen, Hundlis ihre Herr- und Frauchen spazierenführten und Jogger joggten.

Getrübt wurde die Idylle nur einmal, dafür aber z Grächtem, wie der Ämmitauer sagt: Kurz vor Winterthur gings plötzlich steilst hoch auf den Winterberg. Wäre ich nachtragend, würde ich diese einfältige Strasse mit ihren elenden Kurven, hinter denen immer ein noch tödlicherer Abschnitt lauerte (mein Pulsmesser zeigte einmal 164 an, was mich dann doch an den Rand einer leisen Beunruhigung brachte), jetzt noch verfluchen, aber ich bin ja nicht so.

Sehr empfehlenswert, besonders nach einer solchen Er-Fahrung: Ein Halbeli Mineral mit im Café Rubus in Effretikon.

Je näher ich der Agglomeration Zürich kam, desto zum Unguteren veränderte sich das Landschaftsbild: Bassersdorf, Kloten, Opfikon: Es sieht überall gleich deprimierend aus. Durch volle Massenmenschhaltungsanlagen schlurfen Männer, Frauen und – wirklich schlimm – Kinder mit leeren Gesichtern.

Doch ausgerechnet in Kloten widerfuhr mit eines der lässigsten Erlebnisse der an lässigen Erlebnissen nicht armen letzten Tage. Ich hatte mich heillos verfahren und erkundigte mich aufs Geratewohl hin in einer Papeterie nach dem Weg. Die Frau an der Kasse konnte mir nicht helfen, der sicher schon vor 50 Jahren pensionierte Italiener, der bei ihr gerade einen Block bezahlen wollte, hingegen schon; und wie.

„Wisse ich!“, sagte er mit einer rührenden Mischung aus Stolz und Freude, und fügte an, „du warte. Io zahlen. Dann zeige.“

Eine Minute später hötterlete ich auf meinem E-Bike hinter ihm auf seinem Uraltgöppel her aus der Innenstadt bis zu einem Platz, an dem die Strecke wieder ausgeschildert war. Ich reichte dem Mann die Hand und bedankte mich für seinen Einsatz, worauf er strahlend erwiderte: „Immer helfe wenn du Problem!“

Jetzt bin ich im Rümlang und frage mich, was es über dieses Dorf lange zu rühmen geben könnte. Am Himmel über mir stehen, Wirtschaftskrise hin, die Flugzeuge Schlange, auf der Hauptstrasse unter mir wälzen sich, Benzinpreis her, in einem fort Lastwagen und Autos über die Hauptstrasse.

Ich kann das Zimmerfenster nicht öffnen, die einzige Kafimaschine des Hauses ist ausser Betrieb und der junge Diensthabende an der Rezeption wirkt auf mich so vertrauenserweckend wie die Männer am Nebentisch: Sie tragen Businessanzüge, haben aber auf Hundert und zurück noch nie ein Büro von innen gesehen – es sei denn, es handle sich um eines der Staatsanwaltschaft.

Einen Vorteil hat die Behausung allerdings: Sie liegt direkt an der Strecke, auf der ich morgen nach Aarau radle. Auf diese Fahrt freue ich mich besonders: Einerseits führt sie mich in meine alte Heimat.

Andererseits sehe ich dann weitere der bemerkenswert vielen Flüsse, deren Namen mit T beginnen: Die Thur und die Töss liegen schon hinter mir; in wenigen Stunden gehts a Tlimmat, a Treuss und a Taare.

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