Ansichtssache

JeansNicht, dass mich die Sache noch pausenlos beschäftigen würde.

Aber nachdem ich soeben zufällig auf das Plakat gestossen bin, mit dem Rifle seinerzeit für seine „Traumjeans“ warb…

…machen wirs kurz: Meine Eltern hatten mich damals in ein Internat im ansonsten sehr schönen Bündnerland outgesourced.  Die in der frischen Bergluft mit Hochdruck pubertierende Jungmännerhorde hatte wochenlang nur Augen für dieses Bild. Es hing weltformatgross in jedem Zimmer und hinter der Theke der Cafeteria und in der Garderobe der Turnhalle und weiss der Teufel Schulleiter, wo noch überall; vermutlich auch in seinem Büro.

Der einzige, dem das Poster nicht den geringsten Eindruck machte, war mein Zimmergenosse Marc W. aus Z. Er kannte den Anblick seit Jahren: Das Model war seine Schwester.

 

On the road again

Auf Einladung einer Zuger Stiftung war ich letzte Woche in Indien in den Ferien auf einer Pressereise. Woche triffts nicht ganz: es waren allesinallem nicht mehr als vier Tage, ein Kürzesttrip, was ihn aber nicht minder eindrücklich macht. Ziel der Reise: Karunalaya, ein Heim für Waisenkinder am Rand der 7-Millionen-Stadt Hyderabad im Süden. In unserem Fall – ich war in Begleitung zweier gesetzer Herren, Stefan und Andy – sollte sich erstmal der Weg als Hürde herausstellen, die wir nicht ganz so elegant nehmen sollten: zwischen Zug (minus 15 Grad Celsius) und Hyderabad (plus 30 Grad tagsüber) liegen nun mal himmelweite Unterschiede. Es sollten nicht die einzigen bleiben.

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Bekannt und unerhört

hydnewHyderabad riecht um 2 Uhr nach Frühling, gepaart mit Strassendreck. Ehe wir in die 16 Grad warme Nachtluft treten, nimmt uns in der Halle des Flughafens ein alter Bekannter in Empfang. Vor der Abreise verliere ich den Glauben an Zufälle:  das Stück dreht endlos im Airport-Ceedeepläier.

 

Das Spielzeug ist wieder wie neu, nur noch schöner und besser

iphoneDas war jetzt aber eine Überraschung: Eigentlich wollte ich nur mein iPhone synchronisieren – doch als ich es am Laptop anschloss, ging auf dem Bildschirm auf einmal ein Fensterchen auf, wie bei einem Adventskalender. Auf diesem Weg teilte mir Apple-Chef Steve Jobs mit, dass für mein Zaubergerätchen eine aktualisierte Software verfügbar sei; ob ich sie gleich herunterladen möchte.

Was für eine Frage, Stevie.

Ich weiss, ich weiss: Für die meisten anderen Leute sind solche Mitteilungen lästig. Sie bedeuten, dass sie ihr Handy in den nächsten zehn, fünfzehn Minuten nicht gebrauchen können, weils, eben, renoviert wird. Auf mich hingegen haben derlei Nachrichten eine fast magische Wirkung. Das iPhone erst vorsichtig mit dem Computer zu verbinden und dann zuzuschauen, was mit ihm passiert – obwohl: eigentlich sieht man ja nichts, ausser diesen kleinen, grünen Strichlein,  die von links nach rechts wandernd anzeigen, wies mit dem Aktualisieren vorwärts geht – das mitzuverfolgen, ist für mich so faszinierend wie für normale andere Menschen das Beobachten eines ausgestorben geglaubten Insekts im Amazonasgebiet oder die Teilnahme an einem Untervieraugen-Gottesdienst mit dem Papst.

Was in meinem iPhone in diesem mystischem Momenten vor sich geht, weiss ich nicht. Sobald mich Jobs darauf hinweist, dass er die bestehende Software nun „extrahiere“, malt meine Fantasie das Bild eines Pacman-artigen Wesens, das in einem höllischen Affenzahn durch das Datenmeer in meinem Wunderding saust und gierig wegfrisst, was alt ist und ersetzt werden muss. Sobald es alles verputzt hat, rülpst es zufrieden und sagt einem anderen Wesen, das verblüffend ähnlich aussieht wie der gute, alte Super Mario, es könne sich jetzt an die Arbeit machen. Daraufhin eilt Super Mario mit einer sagenhaft grossen Werkzeugkiste durch ein gigantisches Labyrinth aus blinkenden Bits und flackernden Bites, um hier etwas hineinzuschrauben und da etwas festzunageln, was die Welt noch nicht gesehen hat.

Irgendwann, wenn er alles montiert und justiert und kontrolliert hat, schreibt mir sein Boss, dass mein iPhone nun auf dem neusten Stand sei. Anschliessend schaltet er es kurz aus (damit es sich von den Strapazen erholen kann, vermute ich. Wer je erlebt hat, wie sein halber Magen und ein grosser Teil des Gehirns ersetzt wurden, weiss: ein Päuschen kann nicht schaden, bevor man seinen Betrieb wieder aufnimmt). Doch nur zwei, drei Minuten später beginnt es fröhlich zu leuchten, fragt mich, als ob nichts gewesen wäre, nach dem Pincode – und ist, kaum habe ich ihn eingetippt, voll da. Wie frisch gekauft. Aber viiiiiiel stärker als je zuvor.

Wenn ich es dann vorsichtig in die für diesen feierlichen Moment extra gewaschene Hand nehme und herauzufinden versuche, was genau alles anders ist, kann ich Menschen nachfühlen, die, sagen wir: die Sixtinische Kapelle neu streichen liessen und sich jetzt zum ersten Mal anschauen dürfen, wie die Gemälde bei Tageslicht wirken.

 

Der Prototyp und die Pegasüsschen

prototypFür einmal geht es jetzt nicht um die Hauptsache des Abends, die  Tatsache nämlich, dass Polo Hofer wieder da ist, und wie, potz!, man hätte das, eigentlich, nicht mehr unbedingt gedacht nach all den Geschichten und den Gerüchten und der langen Pause, aber dann stand er zu schon ziemlich weit vorgerückter Stunde auf einmal da oben, auf der Bühne der Chollerhalle in Zug, und startete mit „Zigünerhärz“ seine „Prototyp“-Tournee, wobei nicht wenige im Saal während der ersten Minuten von dem etwas irritierend-beängstigenden Gefühl beschlichen wurden, dass da jemand singt,  der irgendwie  nicht mehr oder noch nicht ganz auf der Höhe des Geschehens ist, was andere hingegen  kein bisschen erstaunte; immerhin wurde der Mann vor nicht sehr langer Zeit an den Stimmbändern operiert und ist, abgesehen von allem, bald 65, also: erst nachmachen, dann meckern, und überhaupt nahmen Polo und seine glänzend aufgelegten und musikalisch tiptopp aufgestellten Mannen ziemlich schnell ziemlich Fahrt auf und liessen die Post nach einem halben Stündchen recht rasant abgehen, ohne je aus der Kurve zu geraten; das hiess, man spielte sich, wie der Meister versprochen hatte, durch „Neues und Altes und ein paar Sachen aus der Mitte“, was – Überraschung! – auf einen gut  anderthalbstündigen Ritt durch 40 Jahre Mundartrockgeschichte  hinauslief, wobei der Vorreiter um den Kiosk und d Rosmarie und den Sennehund einen weiten Bogen machte, was  niemanden gross störte; es blieb auch so genug von all dem zum Mitsingen und Wiederentdecken übrig, was den lieben Siech im Lauf  der Jahrzehnte so gross gemacht hat, mit einer Version von „Memphis“ als Höhepunkt und Abschussrampe für die Schlussbouquetraketen zugleich; Pfarrer Green in Tennessee hätte gestaunt  (nein: ekstatisch mitgewippt), und schliesslich wars, nach dem Summer 68 und den Alperose und allem, halt doch irgendwann da, ds letschte Tram, ärdeschön, und nachher kam nichts mehr, nur die S-Bahn zurück  in die Stadt, aber darum geht es hier wie gesagt nicht, sondern darum, dass die paar hundert Leute, die nur wegen Polo da waren, erst eine halbe Ewigkeit lang eine Vorband namens Pegasus über sich ergehen lassen mussten, die schon im vorletzten Sommer als „Anheizer“ für Krokus dafür gesorgt hatte, dass im Stade de Suisse Tausende stehend ins Wachkoma fielen und die auch in Zug einfach nicht von der Bühne verschwinden und nach jedem zweiten Song wissen wollte, ob alle da seien, wie im Chaschperlitheater, und lustige Spiele veranstaltete, zum Beispiel einen Mitsingtest, weil sies sonst nicht schaffte, die Herzen der Leute zu berühren, jedenfalls nicht die Herzen der vielen, vielen Leute, die wegen jemand ganz anderem in der Chollerhalle waren und nicht wegen einer Handvoll Buben, gegen die Ritschi mit seinem Heimweh und seiner Schoggi und seinem Wii wie ein Gangsterrapper wirkt und die trotzdem oder grad deshalb zur besten Nachwuchsband der Schweiz gewählt wurden; man mochte an diesem Abend i Zug nicht daran denken, wies in diesem Wettbewerb auf den hinteren Plätzen getönt haben mag,  wenn die Sieger schon zum Davonlaufen gewesen wären, wenn man nicht gewusst hätte, dass der Protoyp Polo dann schon noch aus aus der Kulisse schlurfen und den Kleinen aus dem Stand zeigen würde, wo der Mundartgott rockt und wie der Mundartgott rollt.