Kleines Teilchen, grosser Aufwand

Jeden Morgen schleppe ich (oder, wenn ich nicht daheim bin, meine Nachbarin Susanne) mit einer grossen Kanne 30 bis 40 Liter Wasser auf den Balkon, um die Pflanzen zu giessen.

Das, sagte Susanne neulich, ginge amänd auch einfacher. Dafür benötige ich lediglich einen Gartenschlauch plus ein Verbindungsstück, mit dem sich selbiger an den Hahn in der Küche anschliessen lässt.

Ich fragte mich kurz, wieso ich nicht längst selber auf diese Idee gekommen war, und machte mich an die Realisierung des Projekts. Beim Kauf wollte ich auf Anhieb alles richtig machen.

Nichts lag mir ferner, als mich bei dieser Sommerhitze zigmal ins Fachgeschäft zu bemühen, bis ich das Passende habe. Deshalb montierte ich den Strahlregler – oder „Perlator“, wie wir Sanitärfachleute sagen – ab und fotografierte ich die komplette Anlage.

Dann begab ich mich ins örtliche „Do it+ Garten“-Geschäft in Burgdorf. Nachdem ich die Verkäuferin über mein Begehr unterrichtet hatte, schritt sie zielstrebig zu einem Gestell.

Sie wuchtete einen Schlauch aus dem Regal und legte ein kleines Päckli mit einem Plastikteil obendrauf. Damit, verkündete sie, hätte ich schon alles, was ich benötige. Ich ging zur Kasse, bezahlte knapp 60 Franken und fuhr heiteren Gemüts nach Hause.

Dort stellte ich fest: Der Anschluss passte nicht. So sehr ich auch hebelte und chnübelte: er liess sich nicht auf den Wassserhahn schrauben. Er war, schien mir, ein kleines bisschen zu gross, aber andererseits: ich hatte der Verkäuferin ja gezeigt, was ich brauche.

Eine Viertelstunde später stand ich mit dem soeben erstandenen Schlauchverbinder erneut vor der Verkäuferin. Sie schaute ihn sich von allen Seiten an und zog dann einen winzigen Plasticring heraus. Jetzt sollte es funktionieren, sagte sie.

Zuhause merkte ich, nur mässig überrascht: es funktionierte nicht, und begab mich zum dritten Mal in den Laden. Die Verkäuferin studierte die Gebrauchsansweisung auf der Verpackung und sagte schliesslich, vermutlich sei das Teil gar nicht für den Wasserhahn in der Küche gebaut. Ich soll es doch mit jenem im Badezimmer versuchen.

Eine weitere halbe Stunde später standen die Verkäuferin und ich uns erneut gegenüber, weil der Anschluss mit dem Hahn im Bad genausowenig kompatibel war wie mit jenem in der Küche.

Das tue ihr sehr leid, beteuerte die Verkäuferin. Auf meine Frage, was „wir“ jetzt machen sollen, wusste sie keine Antwort. Dieses Teil hier sei das einzige, das sie hätten, und eigentlich passe das immer, beteuerte sie.

An der Kasse gab ich den ganzen Plunder samt dem Schlauch zurück. Heute nehme ich einen neuen Anlauf, im Coop Bau+Hobby Jumbo-Center in Lyssach.

Es ist schon erstaunlich: Vor einem halben Jahrhundert schickte die Menschheit die ersten Leute auf den Mond. Etwas zu konstruieren, womit sich ein Gartenschlauch an unterschiedliche Hahnen stecken lässt, schafft sie jedoch auch 2023 nicht.

Springsteen, leicht verwirrt

Das Vorhaben meiner Schwägerin Judith Wernli war ziemlich ambitioniert: Sie wollte Bruce Springsteen dazu animieren, an seinem Konzert in Zürich „My Hometown“ zu singen. Dieses Lied hat „The Boss“ auf seiner aktuellen Welttournee nicht im Programm…aber de gliich (oder, natürlich, grad drum).

Auf allen möglichen Kanälen und with a little help from ihrer Arbeitgeberin SRF3 motivierte sie zig Konzertbesucherinnen und -besucher, Schilder zu malen, auf denen der Songtitel steht, und mit ins Letzigrundstadion zu bringen.

Nachdem er mit dem Konzert begonnen hatte, blickte Springsteen auf einmal auf einen Wald von „My Hometown“-Plakaten. Ungefähr in der Halbzeit seines Auftritts fragte er sich coram jubelndem publico, wieso hier soviele Schilder mit ‚My Hometown“ hochgehalten würden. Er sei deswegen, fügte er an, „leicht verwirrt“.

Aber dann konstatierte der Superstar, „das Volk hat gesprochen“. Und spielte mit seiner E Street-Band waseliwas?

Wieder auf den Beinen

Update für alle, die sich in den letzten Tagen und Wochen nach meinem Befinden erkundigten (tuusig Dank😘): Ich legte die Krücken nun weg, um die ersten Schritte zurück in die Normalität zu gehen. Das klappte so gut, dass ich mich ein paar Stunden später aufs Velo setzte, um mit Tess an der Leine – quasi als Stütze – ein Ausfährtli zu machen.

Kurz: Zwei Monate nach dem Oberschenkelhalsbruch bin ich schon wieder fast wie vorher auf den Beinen.

Schritt für Schritt in die Normalität

Gelegentlich kommt es mir vor, als ob ich mich schon vor Monaten in dieser Klinik einquartiert hätte. Tatsächlich sind seit der Reparatur meines Oberschenkelhalses aber erst drei Wochen vergangen.

Die Zeit spielt hier ein seltsames Spiel. Mal lässt sie die Stunden zu Minuten gerinnen, mal dehnt sie Minuten zu Stunden. Ob Montag oder Mittwoch ist, spielt in meiner Wahrnehmung – wie schon während der Corona-Lockdowns – keine Rolle mehr.

Die Tage laufen immer gleich ab: Nach dem Zmorge gehts ab in die Physiotherapie, dann in den Kraftraum, dann zurück in den Speisesaal zum Zmittag, dann wieder in die Physio, dann zurück an die Fitnessgeräte und schliesslich in die Kompressen-Abteilung, wo die Wunde mit eiskaltem Salz gepflegt wird.

Abends verziehe ich mich aufs Zimmer. Um plusminus 21 Uhr lösche ich das Licht, wobei: ich könnte es genausogut brennenlassen, denn mit dem Schlafen haperts. Sobald ich mich im Bett bewege, stichts oder klemmts oder rupfts in der oberen Hälfte des linken Beins. Aber henu: Das zeigt, dass die Muskeln und Sehnen arbeiten. Und genau das sollen sie ja so schnell wie möglich wieder tun.

Das Duschen, Anziehen und der Toilettenkram waren vor dem Sturz etwas unumständlicher zu bewerkstelligen als heute. Wenn ich Glück habe (und das habe ich immer), sitzt an der Rezeption eine gute Seele, die mich schon vor dem Frühstück mit einem Kafi versorgt.

Die restliche Freizeit verbringe ich, an einer Cola Zero nippend und einer elektrischen Zigi nuckelnd, im Park, wo ich den Vögeln lausche und den Tulpen beim Blühen zuschaue.


Fern sah ich zum ersten- und letzten Mal am Sonntagabend, wegen des Tatorts, doch nach zehn Minuten war mir klar: draussen im Dunkeln Blumen zu gucken, wäre spannender.

Dass sich die Tage hier so ähneln, hat durchaus Vorteile: Einerseits komme ich dank des Aufbau- und Pflegeprogramms gar nicht (oder äme nur selten) auf die Idee, Wellnessferien zu geniessen. Ich habe, wie der Psychologe sagen würde, eine Struktur, der entlang ich mich durch meine Zwangspause hangeln kann.

Andererseits spüre ich nadisna, wie es mit meinem Bein obsi geht. Nachdem ich in der Klinik eingecheckt hatte, war ich beispielsweise nicht imstande, meine linke Socke anzuziehen. Inzwischen konnte ich mir eine Frau von der Spitin genannten Patientenbetreuung organisieren, die mir dabei hilft.

A propos „Patienten“: Zu meinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern habe ich nur sporadisch Kontakt. Ich mag mir nicht rund um die Uhr Krankengeschichten anhören, bekomme jedoch mit, weshalb es die Leute hierherverschlagen hat, und kann deshalb mit einem gewissen Unfehlbarkeitsanspruch behaupten: den von langer Hand geplanten und raffiniert in die Tat umgesetzten Selbstunfall gibt es nicht.

Den meisten passierte etwas Saudummes im Alltag, während sie Dinge taten, die sie zuvor schon zigtausende Male unfallfrei prästiert hatten; eine Treppe hinuntergehen zum Beispiel, eine Birne auswechseln oder – wie in einem mir bestens bekannten Fall – durch die Küche schlurfen. Bei anderen funktionierte von einer Sekunde auf die nächste das Gehirn nicht mehr richtig.

Die Schicksale schwanken zwischen komisch und tragisch: Ein Mann zog sich bei einem Fitnesskurs für Senioren Bänderrisse in beiden Waden zu. Eine apathisch in ihrem Rollstuhl sitzende Frau, die höchstens noch 40 Kilo wog und deren Augen jeden Glanz verloren hatten, fehlte eines Tages im Speisesaal. Wenig später machte die Nachricht die Runde, dass sie verstorben sei.

Mit meinen 57 Jahren gehöre ich zu den jüngsten Kunden der Klinik. Deshalb muss ich bei Tische immer darauf hinweisen, dass ich eine grosse Portion haben möchte. Würde ich das nicht tun, bekäme ich einen halbvollen Teller, weil sich in meinem aktuellen Umfeld die meisten Leute altersbedingt nach dem FDH-Prinzip verpflegen.

Um die 300 Personen kümmern sich in Bad Schinznach um das Wohl und Wehe der Patientinnen und Patienten. Das tun sie nicht nur höchst kompetent, sondern auch mit ungekünstelter Freundlichkeit und so aufmerksam, als ob es sich um ihre eigenen Familienangehörigen handeln würde.

Kaum hatte ich mein Zimmer bezogen, wussten auch Mitarbeitende meinen Namen (und zwar den richtigen; Hostettler nannte mich bisher niemand), die mit mir in den nächsten zwei Wochen gar nichts zu tun haben würden.

Die Angehörigen des multidisziplinären Careteams kennen die Vorlieben jedes Gastes. Als mich am Wochenende mein Schatz besuchte – sie feierte am Freitag Geburtstag – lagen auf ihrem Bett eine Glückwunschkarte plus ein Gutschein. Unser Tisch war mit einem roten Läufer gedeckt. Darauf stand eine brennende Kerze.

Natürlich: Für 270 Franken pro Tag darf man ein Mindestmass an Anstand erwarten. Was die Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, Servicefachangestellten und Raumpflegerinnen ihrer – zum Teil sehr, sehr anspruchsvollen bis nervigen – Klientel praktisch rund um die Uhr bieten, ist mit Geld jedoch nicht aufzuwiegen. Mit ihrem Da-Sein für andere sorgen sie für eine Atmosphäre, die der Genesung wohl ebenso förderlich ist wie Therapien und Tabletten.

Heute um 8 besuche ich zum letzten Mal meine Ärztin. Morgen werde ich nach Hause entlassen. Ich kann es – trotz der Annehmlichkeiten, die mir hier zuteil werden – kaum erwarten, die ersten Schritte zurück ins normale Leben zu machen, auch wenn ich dafür noch ein paar Wochen lang Stöcke benötige.

Simpel: the Best

In den letzten zwei Wochen wurde ich in dieser Klinik kulinarisch dermassen verwöhnt, dass ich bisweilen glaubte, in einem Kochbuch für extrem Fortgeschrittene zu wohnen:

Den eigentlichen Höhepunkt erlebte ich allerdings heute: